EVP setzt georgische Regierung erneut unter Druck

Wie unabhängig darf die georgische Justiz sein?
Ein aktueller Kommentar

Die Tinte unter dem Assoziierungsabkommen (AA) zwischen der EU und Georgien ist noch nicht einmal trocken und schon wird das Abkommen parteipolitisch missbraucht. Nicht in Georgien, vielmehr in EU-ropa. Was ist geschehen? Der frühere Tifliser Oberbürgermeister Gigi Ugulawa wurde, als er Georgien per Flugzeug verlassen wollte, vorläufig festgenommen. Ugulawa war einer der engsten Vertrauten von Mikhail Saakaschwili und ist derzeit Wahlkampfmanager der UNM (United National Movement) auch für im Juli noch bevorstehenden Stichwahlen in den Kommunen. Gegen Ugulawa, der bereits wegen verschiedener Korruptionsvergehen angeklagt ist, wurden seitens der Staatsanwaltschaft neue Anklagen vorgebracht, u.a. wegen Nötigung des Vorsitzenden einer Bezirkswahlkommission. Der zweite Vorwurf: Ugulawa soll den Wahlkampf der UNM mit illegalen Geldern finanziert haben. Ugulawa war für Mittwoch Nachmittag um 16.00 Uhr zu einer staatsanwaltlichen Vernehmung geladen, frühmorgens wollte er mit einem Parteifreund nach Kiew fliegen, angeblich um nachmittags zur Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft wieder zurück zu sein. Der Staatsanwalt traute dem Rückflugticket Ugulawas nicht, nahm in fest und beantragte Untersuchungshaft. Mit Erfolg, am Freitag bestätigte das Tifliser Stadtgericht den Antrag. Ugulawa sitzt seither in Untersuchungshaft.

Für den Polen Jacek Saryusz-Wolski, Mitglied des Europaparlaments und Vizepräsident der EVP (Europäischen Volkspartei), war dies der Anlass zu einer harschen Intervention. Er wertete das Vorgehen der Justiz als einen „Versuch der derzeitigen georgischen Regierung, ihre Vergeltung gegen die wichtigste Oppositionspartei, die UNM fortzusetzen“, die Mitglied der EVP ist. Und dies weniger als eine Woche nach der Unterzeichnung des AA mit der EU. Der Pole wird in Agenturen wörtlich zitiert: „Überflüssig, zu erwähnen, dass das AA von der georgischen Regierung eine zusätzliche Verantwortung verlangt, für grundsätzliche Normen und Prinzipien Europas zu haften. Deshalb rufe ich im Namen der EVP die georgische Regierung auf, alle solche politisch motivierten Aktionen einzustellen, die Georgiens europäische Zukunft unterminieren können, und sich statt dessen auf die Umsetzung der Reformen zu konzentrieren, die im AA vereinbart wurden.“

Irgendetwas ist da bei dem EVP-Polen wohl durcheinander geraten. Viele EU-Granden haben zum Abschluss des AA immer wieder betont, dass Georgien in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gerade im Rechtsstaatsbereich gemacht habe. Ein Grund übrigens für die Beschleunigung des Assoziierungsabkommens. Warum werfen Sie dann, Herr Saryusz-Wolski, den unabhängigen Justizorganen Georgiens – Staatsanwaltschaft und Gerichten – vor, sich zu Handlangern einer „regierungsamtlichen politischen Verfolgung“ machen zu lassen? Warum fordern Sie die georgische Regierung auf, Einfluss zu nehmen auf Handlungen der Justizbehörden? Warum drohen Sie indirekt Konsequenzen an, wenn die georgischen Justizbehörden genau das machen, was europäischer Standard ist, nämlich unabhängig von Rang und Namen von Personen zu ermitteln und das alles vor Gerichten zu verhandeln? Gigi Ugulawa ist kein Kandidat bei den Kommunalwahlen, er ist Partei-Manager. Entspricht es EU-Standards, für einen Partei-Manager, der verschiedener Straftaten im Zusammenhang mit diesem Amt verdächtig ist, Immunität zu verlangen? Entspricht es EU-Standards, vor der letztinstanzlichen Entscheidung eines unabhängigen Gerichts das gesamte Verfahren als politische Verfolgung abzukanzeln? EU-ropa muss sich irgendwann einmal entscheiden, ob seine Werte und Standards wirklich gelten und zwar immer und überall oder ob sie für parteipolitische Zwecke zurecht gebogen werden dürfen. Georgiens Parlamentspräsident Davit Usupaschwili hat dem Polen die richtige Antwort gegeben: „Wir müssen uns alle daran gewöhnen, dass das letzte Wort ein unabhängiges Gericht hat.“ Höchste Zeit, dass sich die Rechtsstaatler in der EU, auch die in der EVP, von Leuten wie Saryusz-Wolski distanzieren. Damit in Georgien nicht das Vertrauen in die Werte und Normen der EU verloren geht. Denn bis zum Beweis des Gegenteils gilt: Die georgische Justiz ist heute viel unabhängiger als sie in Zeiten der Präsidentschaft Saakaschwili jemals war.

Rainer Kaufmann

PS.: Ist das Vorgehen der französischen Justiz gegen Nicolas Sarkozy ebenfalls politische Verfolgung? Sarkozy und Gigi Ugulawa setzen in ihrer Verteidigung anscheinend auf diese Karte. Das ist ihr gutes Recht. Nur: Wem, außer dem letztinstanzlichen Gericht steht es zu, dies zu beurteilen?