Eduard Schewardnadse gestorben

Der frühere georgische Präsident Eduard Schewardnadse ist im Alter von 86 Jahren verstorben. Das erklärte seine persönliche Assistentin am Montag. Die KaPost wird das Wirken Schewardnadses in Kürze ausführlich würdigen. Hier der Abdruck eines Artikels vom März 2012 über einen Besuch bei Eduard Schewardnadse. Es war in einer Reihe von vielen Begegnungen über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg das letzte Gespräch, das die Redakteure der KaPost mit Schewardnadse führen konnten.

Besuch beim früheren Präsidenten der Kaukasus-Republik

Es gab Zeiten, da gehörte es zum Pflichtprogramm eines jeden deutschen Besuchers in Georgien, zumindest einen Toast auf Eduard Schewardnadse auszubringen, einen der Architekten der deutschen Wiedervereinigung, wenn er es denn nicht schaffte, von Schewardnadse selbst empfangen zu werden. Schewardnadse war es auch, dem Hans-Dietrich Genscher am 11. April 1992 als Dank für dessen Beitrag zur Überwindung des Kalten Krieges den ersten Botschafter im postsowjetisch-unabhängigen Georgien präsentierte.

Am 7. März, also nur einen Monat zuvor, war Eduard Schewardnadse, der frühere Außenminister der UdSSR, in seine Heimat Georgien zurückgekehrt. Elf Jahre später wird er selbst gestürzt mit einer eher inszenierten Veranstaltung, die als so genannte „Rosenrevolution“ in die Geschichte Georgiens eingegangen ist.

Besuch bei Eduard Schewardnadse im Februar 2012. Er wohnt noch immer in seiner alten Präsidentenvilla oberhalb der Stadt in der Regierungsresidenz Krzanissi, wo sich in jüngster Zeit viele Botschaften angesiedelt haben. Ein eher bescheidenes Haus, das Besucherzimmer voll mit Gemälden georgischer Künstler und Fotos aus seiner glanzvollen Zeit. Bush senior, Genscher, Baker und viele andere lassen grüßen. Auf dem Besprechungstisch ein Gesteinsbrocken aus der Berliner Mauer mit der Aufschrift: „Danke Eduard“.

Die Bildzeitungs-Ente mit der Grundig-Villa in Baden-Baden, die er sich kurz vor seinem Sturz gekauft haben soll und die noch immer in Deutschland herumgeistert, wird hier widerlegt. Im Garten ist das Grabmal seiner Frau Nanuli, wie könnte er je dieses Haus verlassen, sagt er seit Jahren jedem, der ihn auf Baden-Baden anspricht. Neben der Politik war Nanuli sein Leben. Sie hatte oft mehr Einfluss auf ihn als manch einer aus dem Präsidialbüro, sagen enge Vertraute des früheren Staatschefs.

Es ist einsam geworden um den 84-jährigen, der in seiner großen Zeit daran mitgewirkt hat, den Kalten Krieg zu überwinden und den Warschauer Pakt ohne größere tektonische Verwerfungen aufzulösen. Es ist auch nicht eben einfach, sich mit ihm zu unterhalten. Seine schon immer leicht nuschelnde Sprache ist nur noch dem verständlich, der ihn seit Jahrzehnten persönlich kennt. Immer wieder greift die Sekretärin im Hintergrund ein, erklärt und ergänzt den großen alten Mann der Diplomatie. Nur noch selten empfängt er Besucher, es sind ohnehin nicht mehr viele, die ihm seine Aufwartung machen wollen. Im heutigen Georgien hat er nicht mehr allzu viele Freunde. Immerhin: Einmal pro Woche kommt ein Redakteur einer georgischen Zeitung zum Kurzinterview. Zu seinem Geburtstag im Januar kamen ein paar Glückwunschschreiben, natürlich auch eines „meines Freundes Genscher.“ Und jetzt kam Westerwelle zum Anstandsbesuch.
Als Schewardnadse vor zwanzig Jahren in Tiflis ankam, wurde er an der Gangway begrüßt von den beiden Warlords Tengis Kitowani und Dschaba Josseliani, die in einem blutigen Staatsstreich drei Monate zuvor den ersten frei gewählten Präsidenten des Landes, Swiad Gamsachurdia, aus dem Amt geputscht hatten. Dramatische Wochen im Kaukasus, das Land war in völliger Anarchie. Schewardnadse fuhr vom Flughafen direkt zum georgischen Patriarchen, der einzig verbliebenen Autorität im Lande.

„Eduard Schewardnadse ist als gläubiger Mensch zurückgekehrt“, hat Ilia II., das Oberhaupt der autokephalen orthodoxen Kirche, an jenem 7. März 1992 erklärt und ihm damit den Segen für seine nahezu unmögliche Mission erteilt, das zerstrittene und geschundene Land zu einen und zu heilen. Später hat er ihn, den langjährigen Kommunisten, auf den Namen Eduard Giorgi getauft, Giorgi, weil Eduard im Heiligen-Kanon der Orthodoxie nicht vorkommt. Ob er sich als früherer KP-Chef Georgiens eine solche Wendung seines Lebens habe vorstellen können? Oder dass er einmal Präsident eines unabhängigen Georgiens sein würde? Letzteres auf keinen Fall, aber das mit dem Glauben, das  habe er immer irgendwie im Herzen verspürt.

„Wenn mein Volk mich ruft, werde ich kommen“ hatte der Außenminister außer Diensten kurz nach dem Putsch gegen Gamsachurdia im russischen Fernsehen verkündet. Gerufen haben ihn damals zunächst zwei Gestalten mit zwielichtiger Vergangenheit, die Mitglieder des Militärrates, die nach Gamsachurdia die Macht übernommen hatten.  Dschaba Josseliani, Chef der paramilitärischen Einheit Mchedrioni – auf Deutsch: die Ritter -, hatte eine ansehnliche Knastkarriere hinter sich und Tengis Kitowani, Befehlshaber der damaligen Nationalgarde, war ein eher dumpfer Draufgänger, der sich von seinem Mentor Gamsachurdia losgesagt hatte. „Sowohl Josseliani als auch Kitowani hatten ein schwieriges Verhältnis zum Gesetz“ charakterisiert Schewardadse selbst in seinen Memoiren die beiden damaligen Mitstreiter, die ihn in einer verfassungsrechtlich höchst obskuren Konstruktion zum Vorsitzenden des Militärrates machten. Ein Vorsitzender ohne Macht, denn Kanonen und Panzer dirigierten die beiden anderen auch in dem kurz darauf folgenden ersten Abchasienkrieg, in den ihn die beiden Führer dieser Privatarmeen gegen seinen ausdrücklichen Willen hineingezogen haben.

Der damalige deutsche Botschafter in Tiflis, Günther Dahlhoff, antwortete auf die Frage, warum Deutschland schon im April 2002 mit Schewardnadse an der Spitze eigentlich eine Militärjunta diplomatisch anerkannte: „Was bleibt Schewardnadse anderes übrig, als den Tiger Josseliani zu reiten. Und wenn es einen gibt, der ihn reiten kann, dann Schewardnadse.“

Es gehört zu den herausragenden Leistungen des Politikers Schewardnadses, wie er die beiden Privatarmeen behutsam entwaffnete, ihre Warlords erst politisch kalt stellte, dann, als er Macht genug hatte, ihrem kriminellen Treiben ein Ende zu setzen, sie hinter Gitter brachte, um sie Jahre später dann großzügig zu begnadigen. Josseliani, der einen der drei Attentatsversuche auf Schewardnadse heimlich abgesegnet hatte, erwies er nach dessen Tod sogar die letzte Ehre. „Im Grunde genommen war er doch auch nur ein georgischer Patriot!“. Das Attentat, das Josseliani zu verantworten hatte, galt weniger seiner eigenen Person als vielmehr dem Tag, an dem es stattfand. Auf dem Wege zur Unterzeichnung der neuen, demokratischen Verfassung wurde Schewardnadses Auto attackiert. Das Ziel war also die Verfassung, ein Werk Schewardnadses, mit dem sich das Land unumkehrbar vom Sozialismus verabschiedete.

Ein Rückblick auf die elf Jahre, die Schewardnadse das unabhängige Georgien regierte, muss zwiespältig ausfallen. Außenpolitisch hatte er die Konflikte um Südossetien und Abchasien zumindest soweit entschärft, dass nicht mehr geschossen wurde. Alle Seiten hatten sich im Status quo eingerichtet, bis zum Sommer 2008.

Innenpolitisch steht auf der einen Seite eine grundsätzliche und unumkehrbare Weichenstellung zu Demokratie, einer offenen Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Grundordnung. Viele Rechtsreformen, auf die sich auch sein Nachfolger berufen kann, wurden von Schewardnadse eingeleitet. In seiner Partei, der Bürgerunion, hatte er geschickt neben alten Betonköpfen aus dem Sicherheitsapparat, die er brauchte und aus seiner Zeit als sowjetisch-georgischer Innenminister noch kannte, viele junge Reformer eingebaut. Michael Saakaschwili und Surab Schwania zum Beispiel, die sich später von ihm abwandten und ihn stürzten. Jahrelang waren sie seine reformerischen Speerspitzen in Parlament oder Regierung gewesen.

Auf der Bilanz steht aber auch Vetternwirtschaft und Korruption, die am Ende seiner Amtszeit das Land mit einem lähmenden Schleier überzogen. Schewardnadse, der sich zu Sowjetzeiten als einer der ersten Vorkämpfer gegen Korruption profilierte, hatte die Raffgier seiner eigenen Regierung und seines familiären Umfeldes nicht mehr im Griff, ohne dass man ihm selbst persönliche Bereicherung im Amte wird nachweisen können. Das Land stagnierte, internationale Finanzhilfen wurden eingefroren, die Bevölkerung hatte den Klüngel, der sich im Schatten Schewardnadses Macht, Geld und Einfluss gesichert hatte, satt. Nur mit massiven Wahlmanipulationen konnte sein verzweifeltes, letztes Aufgebot an Ministern im Jahr 2003 die letzte Parlamentswahl der ohnehin auslaufenden Präsidialära Schewardnadse noch einmal gewinnen. Die jungen Reformer hatten die Bürgerunion längst verlassen und standen in Opposition zu ihrem früheren Mentor. Sein Sturz war unausweichlich, sogar engste Mitarbeiter Schewardnadses waren offensichtlich in die Umsturzpläne eingeweiht, sie begleiteten hohe Posten in der nachfolgenden Regierung der Rosenrevolution, stehen heute jedoch wieder in der Opposition zu Saakasschwili. Dass diese Tage unblutig verlaufen sind, muss der Besonnenheit seiner engsten Mitarbeiter zugeschrieben werden, auch der Besonnenheit Schewardnadses, der darauf verzichtete, sein Amt mit Waffengewalt zu verteidigen.

Über Tiflis ragt seit 2004 eine riesige, neue Kathedrale. „Jede Zeit hat ein großes Bauwerk hinterlassen. Das mussten wir doch auch leisten können.“ Schewardnadse hat zusammen mit dem Patriarchen den Bau geplant und den Grundstein gelegt, das Budget reichte allerdings kaum weiter. In seiner Not ging der Staatschef zu Bidzina Iwanischwili, einem Milliarden Dollar schweren georgischen Geschäftsmann, der sich als Philantrop und Mäzen einen Namen gemacht hatte. Dieser finanzierte den Bau, wie er später auch viele Projekte von Schewardnadses Nachfolger Saakaschwili finanzierte, zum Beispiel die Polizeireform, mit der die den georgischen Alltag  überwuchernde Korruption der Ära Schewardnadse überwunden wurde. Bidzina Iwanischwili führt jetzt die politische Opposition gegen Saakaschwili bei den anstehenden Parlamentswahlen im Oktober an. Nicht ohne Aussicht auf Erfolg.

Als die Kathedrale, in der der große, alte Mann Georgiens auch heute noch sein ureigenes architektonisches Erbe für das Land sieht, eingeweiht wurde, war Schewardnadse nicht mehr im Amt. Saakaschwili, der Rosen-Revolutionär stand an seiner Stelle neben dem Patriarchen, Schewardnadse unter dem Kirchenvolk. So haben sie irgendwie alle ihren Anteil an diesem Prunkbau, der frühere Präsident, sein Nachfolger und der Finanzier, der von seiner Mission, Saakaschwili abzulösen, überzeugt ist.

Ob er sich in diesem Augenblick, als sein Lebenswerk eingeweiht wurde, nicht gekränkt gefühlt habe? „Wieso? Ich war ja schon am Vorabend dort und habe mit Bauarbeitern und Mönchen gefeiert.“ Da war es wieder, wenigstens einmal in diesem Gespräch, das schelmische Lächeln im Gesicht Schewardnadses, das Lächeln, mit dem er einst die Mächtigen der Welt von der Zeitenwende in der Sowjetunion überzeugte.

                                                                           Rainer Kaufmann