Georgien zum Jahreswechsel (1): Kühne Träume – bescheidene Erfolge

Visafreiheit – der einzige Erfolg?

Es ist wie jedes Jahr an Weihnachten und Sylvester: Georgiens Politiker gefallen sich in kühnen Zukunftsträumen, werden aber wortkarg, wenn es um mögliche Fortschritte im vergangenen Jahr geht, vor allem in der Wirtschaft, wobei die eine oder andere wirtschaftliche Erfolgsmeldung bei näherem Hinsehen eher fragwürdig erscheint. Auf dem Feld der großen Politik gab es im abgelaufenen Jahr immerhin einen richtigen, lang ersehnten Erfolg: die Visafreiheit in die Schengen-Staaten. Einige Zehntausend Georgier nutzten seit März dieses Angebot, die befürchteten massenhaften Missbräuche blieben aus, auch dank der Mitarbeit georgischer Regierungsstellen.
Was aber die weiter gehenden Ambitionen Georgiens in Richtung EU-Mitgliedschaft angeht, erhielten sie auf dem Gipfel der Nahöstlichen Partnerschaft der EU im November in Brüssel einen erheblichen Dämpfer. Wenngleich die georgischen Spitzenpolitiker unisono die besondere, weil führende Rolle ihres Landes in den Beziehungen der EU in den Osten des Kontinents hervorheben und immer wieder auf eine baldige Vollmitgliedschaft pochen, steht die Aussage von Jean-Claude Juncker seit diesem Gipfel: „Dies ist kein Erweiterungsgipfel und auch kein Beitrittsgipfel. Wir vertiefen die Beziehungen zu unseren wichtigen Nachbarn.“ Mehr Nähe – ja, Aussicht auf Beitritt – nein, so einfach lässt sich auch die Gipfel-Abschlusserklärung zusammenfassen. So wurden lediglich die „europäischen Bestrebungen“ der Partner anerkannt, verbunden mit der eindringlichen Forderung nach weiteren Reformen. Und der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn ergänzte dies mit einer diplomatisch formulierten Warnung an die georgische Regierung, nicht den Eindruck zu erwecken, das alles könne in zwei oder drei Jahren geschehen. Mit solchen Aussagen setze sich die Regierung selbst unter einen Erfolgsdruck, den sie offensichtlich nicht erfüllen kann. „Wir sollten uns auf die Hausaufgaben konzentrieren. Diese müssen erfüllt werden. Es ist zu früh, darüber zu spekulieren, wie die nächste Phase aussehen wird.“ Endlich einmal deutliche Ansagen aus Brüssel, die in georgischen Medien allerdings kaum Niederschlag gefunden haben. Da wurden fast ausschließlich die positiven Gipfelbewertungen der georgischen Offiziellen wieder gegeben. Immerhin lässt sich wenigstens der georgische Premierminister mittlerweile auf eine differenzierte Betrachtung ein, wenn er sein Land auffordert, in den Reformbemühungen nicht nachzulassen. Man müsse auf den Moment vorbereitet sein, wenn Europa bereit sei, die „Tür der Gelegenheit für Georgien“ zu öffnen. Keine Prognose zur Dauer dieser Vorbereitungsphase, das klang vor dem November-Gipfel weitaus ambitionierter.

Die Östliche Partnerschaft wurde von der EU im Jahr 2009 ins Leben gerufen. Ihr gehörten die Länder Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Georgien, Aserbaidschan und Armenien an. Ursprung der Idee war der polnische Wunsch, geäußert bereits im Jahr 2005, die „östliche Dimension der EU“ zu verstärken, weil man so die Unabhängigkeit der Ukraine und deren Einbindung in die EU als Gewähr einer Absicherung Polens vor Russland betrachtete. Das Ansinnen wurde damals vor allem vom deutschen Außenminister zurückgewiesen wegen der „fehlenden Berücksichtigung Russlands als Adressaten einer Östlichen Partnerschaft“ (Quelle: Wikipedia). Erst unter dem Eindruck des Südossetien-Krieges im Jahr 2008  wurde es möglich, die EU für eine Politik der östlichen Partnerschaft zu gewinnen. Unabhängig von allen Reformerfolgen, vor allem in Georgien, ist in Brüssel allerdings die große Euphorie der letzten Jahre einer ernüchternden Bilanz gewichen. Vor allem mit der Entwicklung in der Ukraine – der anhaltende Krieg im Osten, die Annektion der Krim durch Russland, aber auch die wieder aufblühende Korruption im Innern – treten die Geburtsfehler der Östlichen Partnerschaft immer deutlicher zutage, sodass sogar früher glühende Befürworter einer EU-Osterweiterung im europäischen Parlament heute abwinken mit der Bemerkung: „Nicht vor 20 Jahren!“