Aus Mangel an Beweisen

Juristisches Nachspiel der Anti-Homophobie-Demo vom Mai 2013 endet mit einem Freispruch – 17. Mai statt Anti-Homophobietag jetzt „Tag der Familie“

Es war die erste große Herausforderung der Regierung des Georgischen Traums, als im Mai 2013 eine Handvoll Schwulen und Lesben eine Demonstration zum Internationalen Anti-Homophobietag angemeldet hatte. Die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Bidsina Iwanischwili sagte zu, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und damit diese Demonstration zu schützen. Es kam anders. Angeführt von Klerikern der Orthodoxie durchbrachen mehr als 1.000 Gegendemonstranten die Polizeibarrieren und lösten die ungeliebte Demonstration auf. Die Polizei konnte die von massiver physischer Gewalt Bedrohten gerade noch in Sicherheit bringen. Mehrere Personen wurden verletzt. Die Betroffenheit im In- und Ausland war groß, Regierungschef, Ombudsmann und Justizministerium kündigten eine juristische Aufarbeitung der Vorkommnisse an ohne Ansehen der beschuldigten Personen.

Zwei Jahre brauchte das Tifliser Stadtgericht, um jetzt ein Urteil zu sprechen. Die Angeklagten, zwei Priester und drei Laien wurden frei gesprochen, da – so das Gericht – „nicht genügend Beweismaterial vorgelegt wurde, um vernünftige Zweifel an der Schuld der Angeklagten auszuräumen.“ Die öffentliche Beweislage, TV-Aufnahmen, die weltweit Entrüstung hervorriefen, haben dem Richter nicht ausgereicht. In diesen Aufnahmen war ein Priester zu sehen, der mit einem Hocker in der Hand Polizeibarrieren durchbrach und später mit diesem Hocker Fensterscheiben eines Kleinbusses einschlug, in dem die Polizei die bedrohten Menschenrechtsaktivisten in Sicherheit zu bringen versuchte. Später brüstete sich der Kleriker in einem TV-Interview damit, er habe die Polizeibarrieren „mit Gottes Hilfe durchbrochen, um Schlimmeres zu verhindern.“ Und: „Unsere Nation zeigte heute, dass es die Liebe Gottes, durch die Gott uns schützt, verdient. Die Nation hat heute ihre Identität gezeigt.“ Zumindest das Tifliser Stadtgericht hat dieses Verständnis von nationaler Identität mit dem Freispruch sanktioniert. Die Staatsanwaltschaft hat bis jetzt noch nicht erklärt, ob sie gegen dieses Urteil Berufung einlegen wird.

Für die Zukunft hat das Patriarchat vorgesorgt. Den 17. Mai, international zumindest von einem Teil der Nationen als Anti-Homophobietag anerkannt, hat die Orthodoxie Georgiens seit letztem Jahr zum „Tag zur Stärkung der Familie und des Respekts vor den Eltern“ ausgerufen. Damit reklamiert die Kirche ganz offensichtlich die Meinungsführerschaft an diesem Tag für sich. Wie das aussehen kann, zeigt sich bereits im Mai nächsten Jahres. Die Internetseite „Christian News Wire“ berichtete Anfang November, dass im Mai 2016 in Tiflis der „10. Weltkongress der Familien“ stattfinden wird und zwar vom 16. – 18. Mai. Der Veranstalter, eine Nichtregierungsorganisation aus Illionois/USA, will nach seinen Statuten „die natürliche Familie stärken, wie sie vom Schöpfer geschaffen wurde“. Die Organisation bekämpft intensiv Pornographie, Promiskuität, Inzest und Homosexualität. Ihr werden auch blendende Kontakte zum Kreml nachgesagt, u.a. habe sie das Anti-LGBT-Propagandagesetz, das in Russland im Jahr 2013 erlassen wurde, unterstützt. Der georgische Partner für diesen Kongress ist der Vorsitzende der „Stiftung für demographische Wiedergeburt Georgiens“, der Unternehmer Lewan Waschadse. Waschadse ist in den letzten Jahren immer wieder in der Öffentlichkeit als Verteidiger fundamentaler christlicher Werte aufgetreten. Im Vorfeld der im Oktober 2016 stattfindenden Parlamentswahlen muss diesem Kongress wohl eine besondere Bedeutung zugemessen werden