Wahl 2016: Ein großes Wähler-Vakuum

Meinungsumfragen ein Jahr vor den Parlamentswahlen

Ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen ist die oppositionelle UNM oben auf. Eine aktuelle Meinungsumfrage des National Democratic Instituts sieht erstmals seit drei Jahren die frühere Regierungspartei in Front. 15 % der Befragten, die erklärten, auf alle Fälle wählen zu gehen, würden UNM wählen, wenn heute Wahlen wären, nur 14 % entschieden sich für die derzeitige Regierung des Georgischen Traums. Reaktion der UNM: Dieses Ergebnis signalisiert bereits den sicheren Regierungswechsel in einem Jahr. Allerdings erklärten nur knapp die Hälfte der Befragten, auf alle Fälle wählen zu gehen, somit reduziert sich die derzeitige Zustimmung in der Bevölkerung für die beiden führenden Parteien rechnerisch auf 7,5 und 7 %. So schlecht waren die Werte noch nie, sowohl für die Regierung als auch für die Opposition.

Wenn heute schon Prognosen gestellt werden können, dann wohl diese: Der Georgische Traum wird große Schwierigkeiten bekommen, die absolute Mehrheit zu verteidigen. Die UNM ist wohl ebensoweit davon entfernt. Das heißt: die Zeit der großen Parteienblöcke, die sich exklusiv um die Macht streiten, ist wohl vorüber. Schon gar, weil keiner der beiden Blöcke derzeit über eine charismatische Führungsfigur verfügt, mit der man eine erfolgversprechende Wahlkampagne planen könnte.

Was aber kommt dann in einem Jahr? Ein Mehrparteien-Parlament, das unterschiedliche Koalitionen ermöglicht? Wohl kaum, denn die übrigen Parteien sind alle unter ferner liefen abzubuchen und haben wohl wenig Chancen, sich als Zünglein an der Waage einer der beiden großen Parteien anzudienen. Alasanias Freie Demokraten (5 %), die dritte Partei im Parlament, erklären sich zwar selbst zur einzigen politischen Alternative und zeigen demonstrativ Siegeszuversicht. Die derzeitigen Umfragewerte dürften aber kaum ausreichen, nach der Wahl eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung zu spielen.

Die anderen Parteien, alle außerhalb des Parlaments, dürften es schwer haben, überhaupt Mandate zu erreichen: die Arbeiter-Partei von Schalwa Natelaschwili (4 %) und das Vereinte Georgien von Nino Budschanadse (3 %). Alle übrigen Parteien werden mit 2 % eingeschätzt. Dazu kommt noch eine Parteien-Neugründung, die Allianz der Patrioten Georgiens (5 %). Das heißt, die Hälfte derer, die wählen wollen, sind sich noch nicht schlüssig, wem sie ihre Stimme geben. Soviel Unsicherheit war noch nie und niemand kann auch nur erahnen, wie dieses Vakuum ausgefüllt werden kann.

Dies gilt umso mehr, als sich UNM, Georgischer Traum und Freie Demokraten in einer der Grundfragen georgischer Politik, der Euro-atlantischen Perspektive nämlich, eigentlich einig sind und nur einen Schaukampf um die Krone des besten Euro-Atlantikers aufführen können oder sich gegenseitig vorwerfen, die Integration in EU und NATO zu hintergehen. Zwei Themen, die im Wahlkampf sicher hoch gehandelt werden, in der Praxis jedoch viel an Bedeutung verloren haben. Die Mitgliedschaft in NATO und EU, das erklärte Ziel georgischer Außenpolitik seit 15 Jahren, ist in beiden Organisationen derzeit nicht durchzusetzen. Ob der visafreie Reiseverkehr in den Schengen-Raum noch in diesem Winter kommt, ist mehr als fraglich.

In diesem Zusammenhang sind andere Ergebnisse der Umfrage vom August 2015 interessant. Während die Zustimmungsrate der Bevölkerung mit dem Ziel EU-Mitgliedschaft im November 2013, also einem Jahr nach Regierungsantritt des Georgischen Traums, mit über 80 % einen Höchstwert erreicht hatte, liegt sie im August 2015 nur noch bei 61 %. Noch deutlicher ist die Antwort auf die Frage, ob Georgien aus einer Euro-Atlantischen Integration Vorteile habe oder eher bei einem Verzicht auf EU und NATO, um damit ein besseres Verhältnis zu Russland zu erreichen. In der EU-NATO-Annäherung sehen nur noch 45 % einen Vorteil für Georgien, im April 2014 lag dieser Wert noch bei knapp 60 %. Dagegen ist die Zahl derer, die eine Annäherung an Russland als vorteilhafter sehen von 20 auf 30 % gestiegen. Bei der direkten Frage, welchem Block sich Georgien anschließen sollte, der EU oder der Eurasischen Union, entschieden sich 28 % für Putins Konstrukt und nur noch 47 % für die EU. Nicht auszuschließen, dass sich diese Werte für die EU-Perspektive noch weiter verschlechtern, wenn die Regierung etwa in der Visa-Frage kein Erfolgserlebnis verkünden kann. Für alle bisher im Parlament vertretenen Parteien könnte es vielleicht schon bald einen gemeinsamen Gegner geben: Eine Partei, die die aufkommende Europa-Müdigkeit thematisiert. Sie müsste allerdings eine überzeugende Führungspersönlichkeit vorweisen. Und genau daran mangelt es derzeit ganz offensichtlich.