Das Ende einer Hängepartie

Regierungskrise mit klarem Vertrauensvotum im Parlament beendet (?)

Die Koalition vom Georgischen Traum hat gehalten. Nach einer Marathonsitzung sprachen vor einigen Tagen frühmorgens kurz nach zwei Uhr alle 87 Abgeordneten der Regierungsfraktionen dem veränderten Kabinett ihr Vertrauen aus. Das erneute Vertrauensvotum für die gesamte Regierung war notwendig geworden, weil durch den Rücktritt zweier Minister aus „persönlichen Gründen“ insgesamt ein Drittel der Kabinettsmitglieder seit der letzten Bestätigung der Regierung durch das Parlament ausgewechselt wurden. Nach der georgischen Verfassung musste sich deshalb die gesamte Regierung vom Parlament neu bestätigen lassen. Mit dem klaren Vertrauensbeweis sind alle Spekulationen um vorgezogene Neuwahlen vom Tisch. Die Regierung kann jetzt wohl bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2016 weiter arbeiten.

Trotzdem bleiben nach dieser Regierungskrise viele Fragen offen. Zum Beispiel die nach dem politischen Verständnis eines Ministers, der ein starkes Jahr vor der Wahl zurücktritt mit der Begründung, er wolle lieber bei seiner Familie in Europa sein. Oder die Frage nach dem politischen Verständnis eines Regierungschefs, der diese Begründung akzeptierte, da auch er den Wert der Familie über alles schätze. Wer in so seltener Naivität Ministerrücktritte kommentiert, die eine veritable Regierungskrise ausgelöst haben, muss damit rechnen, dass ganz andere Hintergründe vermutet werden.

Mit der Kabinettsumbildung haben sich die Gewichte innerhalb der Koalition verschoben. Die Partei der Republikaner, die nur neun von 87 Abgeordneten der Koalition stellt und bisher keinen Vertreter im Kabinett hatte, ist gleich mit zwei Ministerien bedacht worden, dem Umweltministerium und dem Verteidigungsministerium. Zusammen mit dem Parlamentspräsidenten Davit Usupaschwili besetzen die Republikaner jetzt drei Führungspositionen in der Koalition und gehen damit deutlich gestärkt in den Wahlkampf. Vor wenigen Monaten noch wurden die Republikaner koalitionsintern heftig angegriffen, weil sie in einem Positionspapier mehr politische Eigenständigkeit für die Parteien innerhalb der Koalition gefordert hatten. Vertreter der Partei Georgischer Traum forderten die Republikaner hinter den Kulissen sogar auf, die Koalition zu verlassen.

Vor allem die Ernennung der Republikanerin Tinatin Chidascheli, die Frau des Parlamentspräsidenten, als Verteidigungsministerin hat viele überrascht, weil der Amtsinhaber erst im November nach dem Rausschmiss Irakli Alasanias (Freie Demokraten) ernannt worden und eine erneute Umbesetzung eigentlich nicht erforderlich war. Die Personalie kam völlig überraschend, zumal Premierminister Irakli Garibaschwili noch am Tag vor der Ernennung Chidaschelis erklärt hatte, nur die zwei verwaisten Ministerien neu besetzen zu wollen. Führungsstärke kommt anders daher. Es ging drunter und drüber in der georgischen Regierung und viele im Lande fragten sich, ob der junge Gefolgsmann von Bidsina Iwanischwili, dem „Regierungschef im Hintergrund“, das Heft des Handelns noch in der Hand habe.

Allen voran Giorgi Margwelaschwili, der Präsident, der in einer bemerkenswert knappen Stellungnahme mit der Regierungskoalition abrechnete. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte müsse er fragen, in welcher Frequenz man sich erlaube könne, die Verteidigungsminister auszutauschen. Die Regierung handele anscheinend in Panik und im Notstandsmodus. Margwelaschwili verweigerte sich dem Wunsch des Premiers, die Kabinettsliste dem Parlament sofort vorzulegen, und nutze die ihm in der Verfassung zustehende Frist von sieben Tagen aus. Eine bittere Pille für die Regierenden.

Die Gerüchte wollen seither nicht verstummen, dass der Regierungschef den überraschenden Wechsel im Verteidigungsministerium nicht aus eigenem Antrieb vorgenommen hat. Es ist bekannt, dass sich am Vorabend dieser Entscheidung zwei Männer zu einem vertraulichen Gespräch getroffen haben: Bidsina Iwanischwili, der starke Mann im Hintergrund der Koalition, und der amerikanische Botschafter Richard Norland. Aus NATO-Kreisen konnte man in den letzten Monaten immer wieder hören, dass vor allem die NATO mit dem äußerst blassen Verteidigungsminister Mindia Dschanelidse, einem Mann aus der direkten Umgebung Garibaschwilis, mehr als nur unzufrieden war und bei der Implementierung des so genannten „Special Packages“ der NATO für Georgien nur noch halbherzig agierte. Hat demnach der amerikanische Botschafter Einfluss auf die Regierungsumbildung in Georgien genommen? Das wurde zwar heftig dementiert, Insider der politischen Szene wollen allerdings von dieser Bewertung nicht abrücken. Fest steht jedoch: Mit Tinatin Chidascheli als Verteidigungsministerin haben Bidsina Iwanischwili und sein Regierungschef Irakli Garibaschwili den direkten Zugriff auf dieses wichtige Ministerium verloren. Und die NATO hat jetzt wieder eine erprobte Euro-Atlantische Vertrauensperson in dieser Position.

Die Regierung des Georgischen Traums hat die zweiwöchige Hängepartie zwar formal unbeschadet überstanden. Sie kann sogar behaupten, gestärkt aus der schwersten Krise ihrer Amtszeit hervor gegangen zu sein. Aber nur, weil Bidsina Iwanischwili und Irakli Garibaschwili haben Federn lassen müssen. Davit Usupaschwili kommentierte die Stärkung seiner Partei in der Regierung denn auch mit der ihm eigenen diplomatischen Formulierungskunst: „Jetzt gibt es mehr strategische Kooperation in der Koalition.“

Wie Tinatin Chidascheli, die neue Verteidigungsministerin, diese strategische Kooperation umzusetzen gedenkt, hat sie bei der Berufung einer ihrer Stellvertreterinnen bewiesen, der Juristin Ana Dolidze. Sie war früher einmal Vorsitzende der Nicht-Regierungs-Organisation „Young Lawyers“, einer der Institutionen der Zivilgesellschaft, die in den letzten Wochen von Bidsina Iwanischwili in dessen TV-Talkshow heftig kritisiert worden waren. Mehr strategische Kooperation in der Regierung oder mehr Opposition in der Regierung?

Nachtrag
Wenige Tage danach holte Tinatin Chidascheli zum zweiten Schlag gegen ihre beiden Regierungschefs aus, den offiziellen und den inoffiziellen. In einem Restaurant und damit gezielt in der Öffentlichkeit traf sie sich mit Irakli Alasania, ihrem Vorgänger im Amt. Alasania war im Herbst vergangenen Jahres vom Tandem Iwanischwili/Garibaschwili mit schwersten Beschuldigungen gefeuert worden. Seither ist Alasania mit seiner Partei Freie Demkraten in der Opposition. Sie werde mit allen ihren Vorgängern Gespräche führen, aber Irakli sei ihr Freund, mit dem sie weitaus intensivere Gespräche führen werde als mit denen, die „nicht mein Freund“ sind. Alasania sagte nach dem Gespräch, er habe mit Chidascheli Pläne besprochen, die er in seiner Zeit als Verteidigungsminister erarbeitet habe. „Ich glaube, alles wird so fortgesetzt werden, wie es sein sollte.“ Die neue Verteidigungsministerin geht ihre eigenen Wege. Sitzt die Opposition damit bereits in einem wichtigen Ministerium?