Vor dem Partnerschaftsgipfel in Riga

Georgien macht Druck in der Visafrage
Die georgische Außenministerin Tamar Berutschaschwili hat bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin klare Worte gefunden und von der EU Visa-Freiheit für die Bürger Georgiens gefordert mit der Begründung: „Es sind konkrete Fortschritte nötig, damit die Bevölkerung den Nutzen der Reformen sieht“. Sie forderte die 28 EU-Staaten auf, auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft am 21. Mai in Riga genau dieses Signal auszusenden. Zudem forderte sie, EU-Visa-Freiheit auch den Bewohnern der beiden von Georgien abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien zu gewähren. „Wir erwarten, dass dadurch die georgischen Pässe attraktiver werden“, sagte sie. Vorbild sei die Republik Moldau. Seit die EU dort freie Einreise auch für die Bewohner der abtrünnigen Region Transnistrien gewähre, habe die Nachfrage nach moldauischen Pässen selbst bei den Separatisten deutlich zugenommen. Georgien habe sich klar entschieden, einen westlichen Kurs einzuschlagen. Das mit der EU im Vorjahr abgeschlossene Assoziierungsabkommen sei ein Programm zur Modernisierung und Europäisierung des Landes. Besondere Hilfe erwarte sie dabei von Deutschland. Sie wisse, dass die EU derzeit keine Beitrittsperspektive für ihr Land eröffne. „Aber wir wollen zumindest hören, dass diese Assoziierung nicht das Endziel unserer Beziehungen ist“.

Die klare Ansage der georgischen Außenministerin ist Teil einer Tifliser Offensive, nachdem bekannt wurde, dass auf dem Gipfel in Riga der georgische Wunsch nach Visafreiheit in die EU nicht erfüllt werden wird. Das politische Dreigestirn Georgiens – Präsident, Parlamentspräsident und Regierungschef – haben in seltener Einmütigkeit einen Brandbrief an alle Brüsseler Institutionen geschrieben, jetzt endlich ein Signal aus Brüssel nach Georgien zu senden und seine Bürger für die enormen Anstrengungen der letzten Jahren zu belohnen. Und das Signal heißt visafreier Reiseverkehr auf dem EU-Partnerschaftsgipfel am 21. und 22. Mai in Riga.

Im Fortschrittsbericht der Brüsseler EU-Bürokratie werden diese Anstrengungen auch gebührend gelobt. Insbesondere wird betont, dass die georgische Gesetzgebung in den Bereichen Migration, Grenzkontrollen und Innere Sicherheit weitgehend europäischen Standards entspricht. Aber es ist auch klar formuliert, dass vor allem auf der Durchführungsebene georgischer Behörden noch nicht alle vorgegebenen Ziele erreicht sind. Deshalb listet die EU-Kommission auf mehren Seiten peinlich genau auf, welche konkreten Schritte noch erforderlich sind, damit die Kommission den Staaten der EU empfehlen kann, den visafreien Reiseverkehr mit Georgien einzuführen.

Dass es dazu kaum kommen wird, hat der EU-Botschafter in Georgien, Janos Herman, klar gestellt und Georgien vorsichtshalber schon einmal auf den nächsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission vertröstet, der Ende des Jahres veröffentlicht werden soll. Sollten die EU-Bürokraten dann zum Schluss kommen, Georgien habe alle technischen Voraussetzungen erfüllt, könne die Kommission dann den Weg frei machen für eine positive Entscheidung durch die politischen Gremien der EU.

Die diplomatische Offensive der georgischen Regierung in Sachen Visafreiheit zeigt eine gewisse Nervosität in Tiflis, denn ohne dieses Geschenk droht die Gefahr, dass die georgische Delegation aus Riga mit leeren Händen nach Hause fährt und der Bevölkerung nur dürftige, rhetorische Belobigungen im Schlussdokument des Gipfels als Erfolg verkaufen muss. Und Erfolge braucht diese Regierung angesichts der schwierigen Wirtschaftslage im Lande mehr denn je, auch wenn nur ein geringer Teil der Bevölkerung sich eine Reise nach Europa wird leisten können. Aber viele in Georgien fragen sich auch, ob die EU dieselben harten Prüfungskriterien angewendet hat, als sie vor einigen Jahren die Visafreiheit für Moldawien einführte. Noch sei es Zeit, die Dinge im Schlussdokument von Riga zu ändern, die uns nicht gefallen, lies Staatspräsident Margwelaschwili durch seinen außenpolitischen Berater Tengis Pchaladse verkünden. Man werde von georgischer Seite alles daran setzen, „zu bekommen, was wir verdienen“. Sollte dies nicht gelingen, hat nicht nur die georgische Regierung ein Problem, auch die EU. Das Thema „Visafreiheit jetzt“ hat einen hohen, einen vielleicht zu hohen, Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung der europäischen Orientierung Georgiens. Es ist ein Thema mit Symbolcharakter.

Die pro-europäische Stimmung im Lande ist keineswegs so stabil, dass sie eine weitere Enttäuschung verkraftn kann. Eine EU, die nur technokratische Forderungen stellt und der Bevölkerung jede Menge an Belastungen zumutet, aber nicht die politische Kraft aufbringt für ein klares Signal an das Land, kann rasch ihre Anziehungskraft verlieren.
Rainer Kaufmann