Ausgeträumt?

Heftiger Streit in der Regierungskoalition

Von wegen Weihnachts- und Neujahrsruhe. Wenn man die vielen Wortmeldungen aus fast allen Parteien während der ersten Januarwochen Revue passieren lässt, dann hat die politische Elite des Landes die allgemeine Winterpause wohl dazu genutzt, sich neu zu sortieren oder wenigstens eine Neuaufstellung der Parteienland­schaft anzudenken. Der Ein­druck verstärkt sich, dass bei den in zwei Jahren anstehenden Par­lamentswahlen eine völlig neue Parteienkonstellation auftreten wird.

Begonnen hat es mit dem Ausstieg der Freien Demokraten des früheren Verteidigungsministers Alasania aus der Koalition des Georgischen Traums. Jetzt will die Parlamentsmehrheit den früher verbündeten Liberalen die beiden verbliebenen Ausschuss-Vorsitze im Par­lament streitig machen. Gleich­zeitig wird Alasania vorgeworfen, sich im Hintergrund bereits um eine Zusammenarbeit mit der Nationalen Bewegung, der früheren Regierungspartei Saakaschwilis, zu bemühen. Ein Szenario, das nicht auszuschließen ist, zumal die früheren Frontmänner der Nationalen – Ugulawa, Merabischwili, Bokeria und Saakaschwili – selbst bei der jetzigen Parteiführung kaum noch eine Rolle spielen. Von den Inhaftierten Ugulawa und Merabischwili spricht niemand mehr. Saakaschwili hat sich zumindest aus dem Ausland lautstark zu Wort gemeldet und seine Rückkehr ins politische Geschäft des Landes angekündigt, eine Entwicklung, die politische Beobachter nahezu ausschließen. Die Regierung muss aber um ihre Mehrheit fürchten, wenn es tatsächlich zu einer Listenverbindung einer geläuterten Nationalbewegung mit Alasanias Freien Demokraten kommt. Es gibt jetzt schon Stimmen im Regierungslager, die Alasanias Partei in diesem Fall den sofortigen Rückzug aus dem Parlament nahe legen, wenn nicht sogar einen Ausschluss fordern, wie auch immer der rechtlich durchzusetzen wäre. Nach den Freien Demokraten sind jetzt anscheinend auch die Republikaner des Parlamentspräsidenten Usupaschwili ins Visier der Führung des Georgischen Traums geraten. Es heißt, Iwanischwilis Partei habe Usupaschwili dringend angeraten, sich dem Georgischen Traum anzuschließen und die Eigenständigkeit in der Koalition aufzugeben. Die Republikaner, die bereits im sowjetischen Untergrund gegründet wurden, hatten sich im Herbst vergangenen Jahres in einem umfangreichen Positionspapier für eine neue Zusammenarbeit innerhalb der Regierungskoalition ausgesprochen und dabei gefordert, dass jede Partei des Georgischen Traums ihr eigenes Profil zur Geltung bringen müsse. Levan Berdsenischwili, Urgestein der Republikaner noch aus dem sowje­tischen Untergrund, bestätigte in einem Interview, dass es Hinweise seitens der Regierungsmehrheit gegeben habe, die Republikaner sollten die Koalition verlassen. Seine Antwort auf diese Aufforderung: „Wir entscheiden selbst, wann wir gehen!“ Wäre der Georgische Traum eine europäische Partei, hätte man sich einen solchen Schritt natürlich überlegen können. Zwischenfrage des Journalisten: „Ist der Georgische Traum keine europäische Partei?“ Antwort: „Diese Partei hat noch einen langen Weg zurückzulegen, bevor sie sich als europäische Partei runderneuert. Dies ist eine wirklich langfristige Perspektive.“

Es knistert also heftig im Gebälk der Koalition, die sich vor drei Jahren unter der Führung von Bidsina Iwanischwili zusammen gefunden hat mit dem einzigen gemeinsamen Nenner, die Regierung Saakaschwili abzulösen. Berdsenischwili bringt den inneren Zustand der Koalition auf den Punkt: „Da ist nichts Überraschendes, da sich die Koalition aus verschiedenen Parteien mit verschiedenen Weltanschauungen zusammensetzt. Offenbar hat diese Koalition immer ein Gewirr von Stimmen und ihre Mitglieder haben immer unterschiedliche Ansichten.“

Es knirscht aber nicht nur innerhalb der Regierung. Levan Va­sadze, ein einflussreicher, erz­konservativer Geschäftsmann, der sich regelmäßig zu Wort meldet, deutete in einem Interview mit der Zeitung Kwiris Palitra an, dass es möglicherweise doch zu einem tieferen Riss in der Gesellschaft kommen kann. Vasadze, dem eine Nähe zum georgischen Patriarchat nachgesagt wird, kritisierte die einseitige Ausrichtung der georgischen Politik auf die Annäherung an Europa. Dieser Weg sei falsch.

Das Parlament stehe unter dem Einfluss von Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland finanziert würden, und unter dem Einfluss mehrerer ausländischer Botschafter in Georgien, die in Wirklichkeit die realen Probleme des Landes verschärften, statt ihm zu helfen. Vasadse forderte die sofortige Auflösung des Parlaments. Es müssten Mandatsträger gewählt werden, die den Interessen der Menschen in Georgien dienten und nicht denen des Auslands. Einigen NGOs und ausländischen Botschaftern samt verschiedenen Medien warf er sogar vor, Politiker „auszusperren“, die sich für einen vertieften Dialog mit Russland einsetzten. Vasadzes Phillipika gegen die europäische Grundausrichtung der georgischen Politik gipfelt in dem Vorwurf, es würden „alle georgischen Traditionen als wild und rustikal verspottet, während ein unmoralischer, familienfeindlicher pseudo-urbaner Lebensstil als zeitgemäß und modern bezeichnet wird.“ Die Mehrheit der NGOs bezeichnete er als Feinde Georgiens und forderte gar eine Ethik-Kommission zur Überwachung der Zivilgesellschaft und der Medien.

Es knirscht also nicht nur im Regierungslager. Wenn die Anzeichen nicht täuschen, steht der georgischen Gesellschaft möglicherweise eine Grundsatzdebatte über die Zukunft des Landes bevor.

                             Rainer Kaufmann