Wie viel Nähe verträgt die EU?

Nachbetrachtung zum Besuch der Außenminister Steinmeier und Fabius in Georgien

Die georgische Außenministerin Maia Pandschikidse sah nicht unbedingt glücklich aus, als sie auf einer Pressekonferenz, zwischen den beiden Außenministern aus Frankreich und Deutschland stehend, deren Bekenntnisse vernehmen durfte, sie wollten Georgien näher an Europa heranführen. Vorausgegangen war ein um 30 Minuten überzogenes Sechs-Augen-Gespräch der drei Chefdiplomaten aus Georgien, Frankreich und Deutschland. Was in diesem vertraulichen Gespräch ohne weitere Beamte oder Diplomaten besprochen wurde, kann man allerdings erahnen, wenn man die diplomatisch geschickt verklausulierten Anmerkungen von Frank-Walter Steinmeier und Laurent Fabius analysiert. Beide entschleunigten die euro-atlantische Annäherung Georgiens recht deutlich, sodass sich für die georgische Politik immer dringlicher die Frage stellt: Wie viel Nähe will Europa – präziser: Westeuropa – seinen einzig noch verbliebenen Partnern der in Vilnius glanzlos gescheiterten Osteuropäischen Partnerschaft, nämlich Georgien und Moldawien, tatsächlich zubilligen?

Das Bonbon, das beide europäischen Außenminister in Georgien wortreich präsentierten, die rasche Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens mit Georgien noch im Juni, liegt jedoch schon länger auf dem Tisch. Es wurde aber bei diesem Besuch noch einmal als „Meilenstein“ der georgisch-europäischen Annäherung rhetorisch in Hochglanz verpackt und mit jeder Menge Lob und Hochachtung vor den Reformleistungen des Landes garniert. Nicht viel Neues aus dem Westen Europas also?

Und ob. Die Nachsätze der Lobeshymnen aus Deutschland und Frankreich hatten es nämlich in sich. Die von Georgien im Zuge der Krimkrise herbei gesehnte Perspektive einer EU-Mitgliedschaft wurde von der Achse Paris-Berlin erst einmal auf die lange Bank geschoben, auch wenn es genügend Länder in der EU gibt, die das anders sehen und Georgien in seinem Drängen ermutigten. Wären Fabius und Steinmeier – wie bei ihrer Mission in Kiew – mit ihrem polnischen Partner des „Weimarer Dreiecks“ angereist, hätte dieser vermutlich eine ganz andere Sprache gesprochen.

Nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens komme, so Steinmeier, erst einmal die Phase der Implementierung. Das heißt, Georgien muss seinen Staat und seine Wirtschaft in einem mühsamen Prozess den EU-Standards anpassen, die im Vertrag einvernehmlich festgelegt sind. Alles weitere, so Steinmeier, werde man in 10, 15 oder 20 Jahren sehen. Wer wisse heute schon, was dann sein wird. Andere in Europa, EU-Erweiterungskommissar Füle zum Beispiel, hatten in den vergangenen Monaten in Georgien die Hoffnung genährt, mit dem EU-Assoziierungsabkommen müsse es gleichzeitig eine Perspektive auf Vollmitgliedschaft in der EU geben. Mit wie vielen Stimmen spricht die EU? Die Türkei könnte dazu sicher einen speziellen Gruß senden.

Frankreich und Deutschland, so hat es nach der Moldawien-Georgien-Mission seiner Außenminister den Anschein, übernehmen wieder gemeinsam die Führung der Brüsseler Außenpolitik mit klaren politischen Ansagen. Nur: Weder die Regierungen der EU noch die in Tiflis wagen es derzeit, den Menschen in Georgien klar zu sagen, dass die Umsetzung des EU-Assoziierungsabkommens ein steiniger Weg sein wird, der erst einmal erhebliche Belastungen für viele Georgier bringt. Wenngleich die Fortschritte im Rechtsstaatsbereich und der Zivilgesellschaft für den ehemaligen Sowjetraum wirklich anerkannt werden, sind EU-Standards und die real existierende georgische Wirtschaft alles andere als kompatibel. Vor allem die EU-Delegation in Georgien wird nicht müde, den europäischen Wohlfahrtshimmel über Georgien zu auszumalen, der irgendwann einmal die Georgier beglücken soll. Zumindest wird das so in Georgien gesehen.

Freier Visaverkehr Georgiens mit der EU, ein anderes Thema. Die georgische Regierung hatte vor ein paar Wochen den Anschein erweckt, schon im Jahr 2016 könnte dieser Traum Realität werden. Steinmeiers Antwort: Darüber wird in den nächsten Jahren zu verhandeln sein. Ist der Termin 2016 noch zu halten, den viele in Georgien bereits verinnerlicht haben?

Bliebe noch das Thema NATO und Membership Action Plan (MAP). Auch hier kein Zugeständnis. Das werde zuerst im Bündnis zu besprechen sein, aber der im September anstehende NATO-Gipfel werde mit Sicherheit einen Weg aufzeigen, Georgien näher an die NATO heranzuführen. Wieder eine der schon bekannten rhetorischen Beruhigungspillen, mehr nicht.

Es war ein Freud`scher Versprecher Steinmeiers, der Licht in diese diplomatisch verbrämten Ansagen brachte. Die Zukunft Georgiens in der EU werde nicht in Brüssel, Paris oder Berlin entschieden, verhaspelte sich der Berliner Außenamtschef, sondern in der Ukraine. Die prompte Entschuldigung: Er sei eben derzeit mental hauptsächlich mit der Ukraine beschäftigt, natürlich würde die EU-Zukunft Georgiens in Tiflis entschieden und nirgendwo anders. Maia Pandschikidse verwertete den rhetorischen Fehlpass ihres Berliner Kollegen reaktionsschnell: „Ja, Georgiens Zukunft wird eben doch in der Ukraine entschieden.“

Dass diese Pillen, die Steinmeier und Fabius ihrer georgischen Gastgeberin verabreichten, vielleicht doch recht heilsam sein können, hat tags darauf ausgerechnet der russische Außenminister Lawrow angedeutet. Völlig ohne jeden aktuellen Anlass erklärte er, Russland habe keinerlei Informationen darüber, dass Abchasien und Südossetien Pläne hätten, etwa das Krim-Szenario zu kopieren, ein Szenario, das in den Gazetten nicht nur Georgiens seit Wochen wiederholt und abgeschrieben wird. Funktionieren jetzt nicht nur die deutsch-französische Außenpolitik, sondern – immer noch, oder jetzt wieder – die deutsch-russischen Gesprächskontakte? Kann man Lawrows unerwarteten Einwurf nicht nur in einen zeitlichen Bezug zum Besuch von Steinmeier und Fabius in Zusammenhang bringen? Vielleicht. Nicht auszuschließen, dass der Scharfmacher in der Krimkrise mit dieser Aussage zu Georgien das Signal der De-Eskalierung gegeben hat, das er in Sachen Ukraine – Donezk und Krim – vor allem den USA gegenüber bisher beharrlich verweigerte. In Zeiten wie diesen können auch die kleinsten Signale eine besondere Bedeutung haben.

Dazu hat sicher auch die georgische Regierung mit ihren besonnenen Reaktionen auf die Ukraine-Krise beigetragen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn man hierzulande große Demonstrationen zur Unterstützung der Ukraine organisierte hätte, die nur einen Effekt haben können, die Bevölkerung gegen Russland aufzuwiegeln. Oder wenn georgische Freiwillige mit Chartermaschinen nach Kiew geflogen wären. Beides hat es früher schon gegeben. Georgien, seine Regierung und die Bevölkerung, verhalten sich in der Krimkrise auffällig ruhig und gießen kein unnötiges Öl ins Feuer. Auch Georgien hat also seine Signale in Richtung Moskau gesendet. Das haben Steinmeier und Fabius ganz sicher zur Kenntnis genommen. Der letzte kaukasische Scharfmacher in Kiew, Mischa Saakaschwili, kann zwischen Moskau und Tiflis keinen Schaden mehr anrichten. Nur amerikanische News-Kanäle geben ihm hin und wieder eine Plattform.