Das doppelte Lottchen – oder Kohabitation auf georgisch

Saakaschwili und Iwanischwili bei EU und NATO in Brüssel

Das hat Brüssel vermutlich noch nie erlebt: Der Präsident und der Premier eines Landes besuchen am selben Tag Brüssel, um bei den Spitzen von NATO und EU ihre Aufwartung zu machen, und gehen sich mit Fleiß aus dem Weg. Mehr noch: Micheil Saakaschwili und Bidsina Iwanischwili haben das Kunststück fertig gebracht, ihren innenpolitischen Disput in eines der politischen Zentren Europas zu tragen. Und das Zentrum Europas hat in der Komödie munter mitgespielt.

Das Vorspiel zu diesem politischen Schauspiel der Extraklasse fand allerdings in Prag und Tiflis statt. In Prag besuchte Saakaschwili die Parlamentarische Versammlung der NATO, wo er auch deren Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen über die jüngsten Ereignisse in Tiflis informierte. Dort hatte der Generalstaatsanwalt nicht nur den früheren Minister für Strafvollzug – dann Verteidigung und später für Inneres -, Bacho Achalaia, in Untersuchungshaft genommen. Er hatte auch den amtierenden Chef des Generalstabes, Giorgi Kalandadse, vorläufig festnehmen lassen. Gegen beide wird wegen Amtsmissbrauchs, Misshandlung Untergebener und Freiheitsberaubung in mehreren Fällen ermittelt. Kalandadse wurde gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt und trat auf Geheiß von Saakaschwili, TV-gerecht inszeniert, sofort sein Amt im Verteidigungsministerium wieder an. Es bedurfte erst einer richterlichen Eilentscheidung, beantragt vom Generalstaatsanwalt, um Saakaschwilis Alliierten im Generalstab bis zum Ende des Prozesses vom Amt zu suspendieren. Die vorläufige Festnahme Kalandadses hatte zuvor schon zur Absage eines hochrangigen NATO-Besuchs in Tiflis geführt.

Die Irritation war da, der Generalsekretär wie auch die Parlamentarische Versammlung der NATO sowie EU-Offizielle rüffelten die neue georgische Regierung in einer selten gehörten direkten Weise und zeigten sich „besorgt über innenpolitische Rachefeldzüge, Festnahmen von Oppositionellen und eine selektive Justiz in Georgien“. Kritische Töne, wie sie Georgien in den letzten Jahren nie aus Brüssel hat hören müssen, wie Saakaschwili, vor allem bei der NATO als Musterschüler beliebt, noch in Prag und Brüssel mit staatsmännischem Gestus, aber auch mit sichtbarem Wohlgefallen kommentierte.

Erst tags darauf hatte Bidsina Iwanischwili, der neue Premier, die Möglichkeit, dem NATO-Generalsekretär in Brüssel seine Sicht der Dinge darzulegen. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rasmussen erklärte Iwanischwili nach dem Gespräch, dass er mit dessen Zielen völlig übereinstimme. „Ich habe mein Versprechen gegeben, dass es keine selektive Justiz in Georgien geben wird. Aber es wird Justiz geben. Wer sich eines Fehlverhaltens schuldig gemacht hat, muss bestraft werden.“

Iwanischwili hatte der NATO angeboten, sich über die Rechtmäßigkeit der Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Achalaia und Kalandadse mit einer eigenen Beobachtergruppe zu informieren. Ein Angebot, das Rasmussen generös ablehnte, denn nach dem Gespräch mit Iwanischwili hatte er urplötzlich das „volle Vertrauen, dass die neue georgische Regierung den hohen Werten einer rechtsstaatlichen Justiz verpflichtet sei“. Ein Vertrauen, das er tags zuvor noch nicht hatte……
                                                                                                         rak