Gutmensch oder Reformer?

Foto: Götz-Martin Rosin

Bidsina Iwanischwili – der neue Mann Georgiens   

Spätsommer in Tschiatura. Ein kleiner Reporterpulk wartet in der Stadtmitte vor einem unscheinbaren Wohnblock. Security-Leute stehen davor, ihr Chef könnte auch irgendwo in Texas vor der Villa eines Ölmillionärs stehen. Eine Wagenkolonne schwarzer, fetter Limousinen parkt in der Nähe. In dem Haus ist das lokale Büro vom Georgischen Traum untergebracht. Polizei patroulliert auffällig oft und im 1. Stock auf der gegenüber liegenden Seite lugt hinter einem Fenstervorhang immer wieder das Objektiv einer Filmkamera hervor. Bidsina Iwanischwili ist in dem Haus, Kurzbesuch an der Basis seiner politischen Organisation.

Kurze, improvisierte Pressekonferenz, als er das Haus verlässt. Mit Witz und Charme kontert er die aufgeregt vorgetragenen Fragen der Journalisten, meist von regierungsnahen Sendern du ohl deshalb so aufgeregt. Ein kleiner Mann, pfiffig im Gesicht, aufgeweckt, ohne die üblichen Attitüden eines bedeutenden Politikers. Auf der Bühne großer Wahlkundgebungen ist er nicht unbedingt der mitreissenste Redner. Volkstribun kann er nicht. Aber im kleinen Kreis, in unmittelbarer Nähe hat er plötzlich eine Ausstrahlung, ein gewinnendes Etwas, das nur schwer zu umschreiben ist. Der Mann macht neugierig, was nur wenigen Menschen der politischen Kaste, egal wo auf der Welt, nachgesagt werden kann.

Der Mann war jahrzehntelang ein Phantom im Land, ein Phantom, das aber irgendwie immer präsent war. Die kleine Kirche von Ubissa wurde restauriert. Wer hat es bezahlt? Bidsina. Hunderte von Kirchen soll er mit seinem Geld vor dem Verfall gertettet haben. Der Lunapark von Kobuleti, der nur zwei Monate im Jahr seinen Zweck erfüllt. Bidsina. Die große Kathedrale von Tiflis, noch zu Schewardnadses Zeiten. Bidsina. Zuschüsse für Museen, Theater und andere Kultureinrichtungen. Bidsina. Die ersten Ministergehälter nach der Rosenrevolution, Renten für unzählige Kulturschaffende. Bidsina. Sein größtes Ding: Gebäude, Ausbildung, Polizeiautos und Ausrüstung für die neue Straßenpolizei, der Vorzeige-Behörde Saakaschwilis im Kampf gegen Kriminalität und Korruption, aber auch neue Kasernen und Equipment für das Militär. Keine Waffen, sagt er. Er selbst schätzt die Summe, die er in den letzten Jahren in Georgien verteilt hat, auf rund 1,5 Milliarden Dollar. Einige der großen Erfolge Saakaschwilis wären ohne Iwanischwilis Finanzsspritzen nicht denkbar.

Bidsina Iwanischwili stammt aus wirklich einfachsten dörflichen Verhältnissen in Imeretien. Der Vater war Bergmann, Wohlstand kennt andere Väter. Nach Schule in Satschchere und Studium in Tiflis hat er im Moskau Jelzins sein Glück als Unternehmer gemacht. Erst Computerhandel, dann eine private Kreditbank, Industriebeteiligungen, Aktiengeschäfte. Ohne analytische Fähigkeiten und einen wachen Verstand unmöglich in dem Haifischbecken der russischen Wirtschaft. Auf mehrere Milliarden Dollar wird sein Vermögen geschätzt, ein Mann, der mit einem einzigen Aktiendeal so auf die Schnelle ein paar Dutzend Millionen verdient. Innerhalb einer Woche. In Interviews erzählt er mit einem Lächeln, dass er, im Gegensatz zu vielen im Lande, bereits reich sei, wenn er jetzt die Regierungsgeschäfte übernimmt, wobei er unter all den Oligarchen, die in der Jelzinzeit ihr Geld gemacht haben, als einer saubersten gilt. Kein Fußballclub zur protzigen Selbstdarstellung, keine stillos-neureichen Allüren. Gut, ein mehr als  repräsentatives Anwesen in seinem Geburtsort Tschorwila mit Pinguinen und Kängurus und einer prächtigen Parkanlage. Eine Gemäldesammlung im Wert von ein paar Hundert Millionen, Dali, Picasso und andere. Warum eigentlich nicht? Und sein Glaspalast über der Altstadt von Tiflis ist auch nicht zu übersehen. Aber die Architektur wenigstens verrät einen Stil, den andere seiner Preisklasse selten erkennen lassen.

Was trieb diesen Mann, von dem früher nur ein einziges Bild bekannt war, obwohl das ganze Land sich längst ein Bild von ihm gemacht hatte, dazu, in die Niederungen der Politik einzusteigen? Es muss wohl im November des Jahres 2007 gewesen sein, dass er mit Saakaschwili gebrochen hat, als dieser regierungskritische Demonstranten mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln die Grenzen der Meinungsfreiheit im Mischaland aufgezeigt hat. Iwanischwili soll damals in internen Gesprächen sogar den Rücktritt des Präsidenten gefordert haben. Jetzt ist er die neue Lichtgestalt der georgischen Politik, eine Herausforderung mit der nicht zu übersehenden Gefahr des Scheiterns.

Die Erwartungshaltung der Georgier ist übergroß. Endlich Arbeitsplätze, endlich eine Förderung der Kleinbauern, endlich ein angemessenes Sozialsystem, endlich auskömmlichen Renten und eine bezahlbare Krankenversicherung für alle. Das alles hat Bidsina Iwanischwili den Georgiern als neuen Traum versprochen. Der Traum kann Realität werden, er muss es nicht unbedingt, wenn der Milliardär weiter als Gutmensch Wohltaten unter dem Volk verteilt. Er wird seinen Landsleuten auch Blut, Schweiß und Tränen zumuten müssen. Denn wenn all diese Reformen nicht wirklich nachhaltig strukturiert werden, nicht so konzipiert werden, dass sie eines Tages selbsttragend sind, ist das Scheitern vorprogrammiert. Dazu wird der neue Hoffnungsträger auch von den Menschen im Land einen entsprechenden Anteil an Eigenleistung abfordern müssen. Sonst bleibt am Ende nur eines: Bidsina Iwanischwili ist der erste Politiker Georgiens, der reich war, als er sein Amt antrat.

Rainer Kaufmann