Das Ende einer visionären Ära

Rückansicht des Präsidialpalastes

Michael Saakaschwili hat Georgien nachhaltig verändert   

Dieser 1. Oktober markiert das Ende der Ära Saakaschwili. Jedenfalls sind mit diesem Wahlergebnis alle Spekulationen, Saakaschwili könnte dem Beispiel Putins folgend seine Macht über den Umweg Regierungschef erhalten, Makulatur. Im nächsten Jahr läuft seine zweite Amtszeit aus, eine erneute Kandidatur ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Aber das Präsidentenamt ist in Zukunft ohnehin seiner derzeitigen Machtfülle beraubt und damit keine Sache mehr für den Mann, den sie hier alle Mischa nennen.

Mischa, der Machtmensch

Was hat es nicht alles für Spekulationen gegeben in den letzten Tagen vor der Wahl. Mischa, der Machtmensch, werde die Macht nie und nimmer abgeben, hieß es. Vom Ausnahmezustand, der bereits vorbereitet sein soll, war die Rede. Und dann ein völlig anderer Saakaschwili. Der hitzige, trickreiche und gnadenlose Wahlkämpfer legte schon bei der Stimmabgabe am Morgen den Schalter um von Konfrontation auf Versöhnung, als er sagte, unabhängig vom Sieg der einen oder anderen Partei werde Georgien aus diesem Tag als Gewinner hervorgehen. Und: Die Georgier hätten in schwierigen Zeiten immer die richtige Entscheidung getroffen. Mit diesem Satz und der Entscheidung seiner Landsleute wird er jetzt leben müssen.

Am Abend erklärte er kurz nach Bekanntgabe der ersten Prognosen, als er zumindest teilweise seine Niederlage eingestehen musste, man müsse es schaffen, im neuen Parlament zusammen zu arbeiten. Eine völlig neue Seite des Präsidenten, der in den letzten Jahren immer selbstherrlicher regierte? Hat er verstanden oder wollte er nur Zeit gewinnen bis zur Auszählung der Direktmandate, von der er sich einen letzten Schub für seine Partei erhoffte? Vier Jahre zuvor hatte sie noch 73 von 77 Direktmandaten erobert.

Dann am Dienstagmorgen die ganz große Überraschung. Der machtverwöhnte Präsident gestand unumwunden seine Niederlage ein und die seiner Partei, gelobte verfassungemäßes Handeln beim Übergang zur neuen, ihm ungeliebten Regierung und schwor seine eigene Partei auf die harte Oppositionsarbeit ein. Hat Saakaschwili wirklich eingesehen, dass er jetzt loslassen muss, ob er will oder nicht? Oder hat er nur eingesehen, dass es ausschließlich an ihm und seinem Verhalten in diesen Tagen liegt, ob er als erster Präsident des demokratischen Georgiens das Ende seiner zweiten Amtszeit politisch erlebt?

Saakaschwili bei einer Militärparade (Foto: Präsidialverwaltung)

Egal, Saakaschwili hat am Ende Freund und Feind mit einem demokratisch würdigen Verhalten überrascht. Für postkommunistische Staaten mit Ausnahme des Baltikums, die sich mehr oder weniger offen als autokratische Einparteiengebilde gebährden, allen Demokratisierungsversprechen zum Trotz, ein Novum, das man getrost historisch nennen darf.

Nicht nur mit dieser Haltung hat Michael Saakaschwili das Land nachhaltig verändert. Als junger Abgeordneter der Bürgerunion Schewardnadses, dem Reformerflügel zugehörig, hat er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Wirtschaftsreformausschusses europäischen Journalisten schon in einem Redeschwall ohnegleichen erklärt, wie er mit seiner amerikanischen Erfahrung die Wirtschaft des Landes umgestalten und ankurbeln werde. Der Mann erschien dalams schon wie besessen von seiner Vision eines neuen Georgiens und seiner Mission, diese zu verwirklichen.

Das völlig korrupte und, was ungleich schwerer wiegte, unfähige Regierungsumfeld dieser Zeit gab ihm dazu keine Chance und aus dem Schatten Schewardnadses heraus, der ihn aus Amerika geholt hatte, war ihm jede Chance auf die Präsidentschaft verbaut. So inszenierte er als Justizminister seinen dramatischen Abgang in die Opposition, um aus dem Stand heraus zunächst die Kommunalwahlen in Tiflis als zweiter Sieger hinter der Arbeiterpartei Schalwa Natelaschwilis erfolgreich zu bestehen. Schewardnadses Bürgerunion wurde von den Wählern der Hauptstadt bitter abgestraft, ein untrügliches Vorzeichen auch auf die kurze Zeit später folgende Parlamentswahl. Als Schewardnadses Verwaltung dann diese Parlamentswahlen 2003 massiv fälschen ließ, um die Macht zu retten und – vor allem – die Pfründe, mobilisierte Saakaschwili, nicht ohne massive Unterstützung aus dem Ausland, die Straße, um seinen einstigen Mentor in der so genannten Rosenrevolution zu stürzen. So genannte Roosenrevolution, weil engste, wirklich engste, Vertraute Schewardnadses in die Palastrevolution eingeweiht waren und mit dem Rückzug der Sicherheitskräfte den Parlamentssturm Saakaschwilis erst ermöglichten und das ohne Blutvergießen, mit dem damals nahezu alle gerechnet hatten. Die Verwaltungselite des Landes hatte längst erkannt, dass der Altmeister der sowjetischen Diplomatie, unabhängig von seinen Verdiensten beim Aufbau einer gewissen Grundstaatlichkeit Georgiens, weder Kraft noch Macht besaß, das in Korruption und Clanwirtschaft verstrickte Land voran zu bringen.

Der neue Erbauer

Mit einem glanzvollen Wahlsieg wurde Saakaschwili in Jahr 2004 schließlich mit jungen Jahren Präsident Georgiens. Ein Ruck ging durch das Land, Aufbruchstimmung war angesagt, Saakaschwili war die Lichtgestalt jener Jahre und der Hoffnungsträger des ganzen Landes. Die alte Macht- und Verwaltungselite wurde gnadenlos in die Ecke gestellt. Junge, oft unerfahrene, dafür umso motiviertere Leute nahmen die Schlüsselstellungen im Lande ein.

Von Anfang an wurde deutlich, worum es Saakaschwili ging: Wie einst David, der Erbauer, der ebenfalls in jungen Jahren an die Macht gekommen war, wollte er das Land hinter sich einen und zu neuer Blüte führen. Vieles davon ist gelungen. Die Korruption ist zumindest im kleinen Geschäftsalltag erfolgreich bekämpft. Die Staatsverwaltung ist in nahezu allen Bereichen höchst effizient geworden, manchmal sogar beispielhaft für andere, hoch entwickelte Länder. Das Steuersystem ist einfach und funktioniert. Die Polizei, Sinnbild des früheren korrupten Gesamtsystems, ist reformiert und hat zumindest im öffentlich sichtbaren Bereich weitgehend die früheren Willkür-Methoden überwunden. Für ausländische Investoren ist Georgien eine gute Adresse geworden, ohne sie wäre die Zahlungsbilanz des Landes katastrophal angesichts des steig wachsenden Handelsdefizits. Infrastruktur, Straßen und öffentlichen Gebäude haben qualitative Quantensprünge erlebt. NATO und EU haben Georgien die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, wenngleich nicht alle Mitgliedsstaaten mit großer Begeisterung mitziehen wollen. Kein Nachfolgestaat der ehemaligen Sowjetunion hat diese Erfolgsbilanz aufzuweisen. Das alles steht auf der Habenseite dieses Präsidenten.

Das Desaster des Kurzkrieges 2008

Dagegen steht aber vor allem eine außenpolitische Niederlage, die ihresgleichen sucht, als er im Kurzkrieg von 2008 die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien zumindest für einen langen Zeitraum an Russland verlor. Der Krieg war sicher von Russland provoziert, aber es war Saakaschwili, der das Land in einer langjährigen Propaganda auf diesen riskanten Schritt vorbereitet hatte. Und das Land war bereit, diesen Schritt mit ihm zu gehen. Eine Sitution, in der er nicht mehr anders konnte, als sein Heil im Angriff auf Zchinwali zu suchen. Was wohl viel mehr wiegt als dieses militärisch kaum zu bestehende Abenteuer ist Saakaschwilis einseitige Anbindung an das Amerika eines George W. Bush. Seine andauernd aggressive Rhetorik Russland gegenüber, das er als Feindbild bei allen nur erdenklichen Gelegenheiten aufbaute, verhinderte einen vernünftigen Dialog mit dem mächtigen Nachbarn im Norden, der möglich gewesen wäre, ohne die eigene Unabhängigkeit oder den Wunsch nach EU- und NATO-Mitgliedschaft aufzugeben. Das Agrarland Georgien kann ohne die Absatzmärkte in Russland zumindest in seiner jetzigen Struktur kaum  überleben. Vor allem die Landbevölkerung musste diese außenpolitische Rechnung über Jahre hinweg mit Stagnation und Armut begleichen.

Autokratischer Führungsstil

Gegen die unbestrittenen Erfolge Saakaschwilis steht aber auch ein zunehmend autokratischer Führungsstil, der vor allem im jüngsten Bauuboom seinen öffentlichen Ausdruck fand. Widerspruch zu der teilweise grenzwertigen architektonischen Umgestaltung des Landes wurde gleich gar nicht angemeldet, er wäre ohnehin nicht geduldet worden, bei Mischa, dem Chefarchitekten Georgiens. Aber die Verlegung des Parlaments nach Kutaissi haben selbst treue Parteifreunde kaum nachvollziehen können. Und die waghalsigste seiner Visionen, die von der neuen Schwarzmeerstadt Lazika, ruft nicht nur im Ausland, sondern auch in Georgien mehr ungläubiges Kopfschütteln hervor als begeisterte Zustimmung. Den Visionär hat das niemals angefochten. Es scheint, das es Saakaschwili nach dem Verlust von Südossetien und Abchasien, einem für ihn wohl traumatischen und einschneidenden Erlebnis, seinem großen Vorbild David in den Geschichtsbüchern des Landes wenigstens auf dem Bausektor gleichmachen wollte, als Bauherr und Archiktekt einer neuen Zeitrechnung in Georgien. Origialton Saakaschwili in einer holländischen Architektur-Zeitschrift: „Georgien erlebt eine Epoche der Wiederbelebung, wie es das Land seit 800 Jahren nicht gesehen hat.“ Eine Formulierung für den Eintrag in das Buch der Geschichte, dabei sieht vieles, was Mischa hat bauen lassen, nach reiner Fassade aus, Potemkin lässt grüßen. Und ob all die großen Projekte, der Flughafen in Kutaissi zum Beispiel, am Ende auch einer Wirtschaftlichkeitsrechnung stand halten und damit nachhaltig wirken können, darf bezweifelt werden.

Seit dem Krieg 2008 sank Saakaschwilis Reputation (George W. Bush: „Ein Leuchttum der Demokratie“) auch in der westlichen Welt. Dabei ercheint es heute fast wie ein Wunder, dass der damals wirklich angeschlagene Präsident dieses militärische Fiasko politisch überleben konnte. Den schweren Imageverlust, den er und seine Regierung kurz vor dem Wahltag mit der Veröffentlichung der Menschenrechtsverletzungen in georgischen Gefängnissen erlitten, hat den seit langem schleichenden Prozess der Entfremdung zwischen dem früheren Heilsbringer und seinen Wählern nur offenkundig gemacht. Das war das Ende vom Ende, nicht der Anfang.

Ein neuer Visionär

Parallelen zur Endphase der Schewardnadse-Ära sind unübersehbar: Gestiegener Unmut im Innern und Unzufriedenheit vor allem mit der sozialen Lage, kombiniert mit einem erheblichen Imageverlust im Ausland. Sein früherer Mentor hat diese Gemengelage nicht erkannt, Saakaschwili musste ihn zusammen mit Surab Schwania und Nino Burdschanadse stürzen.

Vielleicht macht das jetzt den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden, die jeweils als Hoffnungsträger begannen und dann das Vertrauen der Menschen verspielten. Saakaschwili hat, vermutlich sogar gegen die Mehrheit seiner Parteigremien, das Votum der Wählerschaft sofort akzeptiert und die Niederlage eingestanden. Wenn er schon nicht nicht als zweiter Erbauer in die Geschichtsbücher des Landes eingehen wird, da zu viele Zweifel und Kritiken an seiner nimmer enden wollenden Gestaltungswut geblieben sind, dann hat er sich zumindest den Ruf als „lupenreiner“ Demokrat gesichert. Das war er nicht immer während seiner Amtszeit, aber in der  Niederlage hat er sich als ein solcher erwiesen. Vor ein paar Tagen noch hätte ihm das keiner zugetraut. „Ich werde das, was ich aufgebaut habe, nicht anderen überlassen“ hatte er im Wahlkampf noch vollmundig getönt. Jetzt wird das Land ohne seine Visionen auskommen müssen. Es hat sich für einen anderen, einen neuen Visionär entschieden. Ob sich in Georgien die Geschichte ein erneutes Mal wiederholt?

Rainer Kaufmann