Frühstück mit einem demokratischen Urgestein

Gespräch mit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse

Wolfgang Thierse ist der erste deutsche und wohl auch europäische Spitzenpolitiker, der nach den georgischen Wahlen mit beiden Kontrahenten gesprochen hat, mit Michael Saakaschwili und Bidsina Iwanischwili. Am Abend zuvor hatte er auf einem Empfang des Deutschen Botschafters zum Tag der Deutschen Einheit ein erste, knappe, aber umso präzisere Stellungnahme zu den georgischen Wahlen abgegeben, eine, die nur mit seinem Lebenslauf in DDR und BRD zu begründen ist: „Auch Diktatoren haben Regierungen. Was sie nicht haben, ist eine Opposition und einen Regierungswechsel“. Georgien habe sich der Welt als eine funktionierende Demokratie gezeigt. Alles andere haben andere wortreicher verlautbart.

Tags dann die Begegnungen mit den beiden führenden Männern des Landes und damit ein erstes, authentisches Stimmungsbild über die Befindlichkeit der beiden Politiker, die unterschiedlicher nicht sein können. Offen berichtet Thierse beim Frühstück über diesen Tag, an dem er auch Vertreter der georgische Zivilgesellschaft getroffen hat, die ihn in ihrem Engagement beeindruckt haben.

Auf ausdrückliche Nachfrage Thierses hätten beide Spitzenpolitiker des Landes zugesagt, in einer sachlichen und fairen Kohabitation zusammen arbeiten zu wollen. „Wenn das gelänge, wäre es sehr gut.“ Der Präsident, sagt Thierse, habe erklärt, sich politisch zurück zu halten und von seinen Verfassungskompetenzen bestenfalls sparsam Gebrauch zu machen. Auf der anderen Seite habe Bidsina Iwanischwili versichert, zwar die Minister, dafür nicht gleich den ganzen Regierungsapparat auszutauschen. Fachleute, wo immer es sie gäbe, würden gebraucht.
Wolfgang Thierse sieht darin eine Chance Georgiens, sich so zu einem stabilen und verlässlichen Partner in der Welt zu entwickeln. „Vor allem ist dies beispielhaft unter den ehemaligen Sowjetrepubliken, unter denen es, vorsichtig formuliert, doch einige Negativ-Beispiele gibt.“

Von Iwanischwili, dessen Lebenslauf und Reichtum sich einem sozialdemokratischen Urgestein nicht ohne weiteres erschließen müssen, nimmt er die Botschaft mit nach Deutschland, dass er als wichtigste Aufgabe die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem im ländlichen Raum sieht. In der Außenpolitik des Landes habe sich Iwanischwili eine Stiländerung in der Kommunikation mit Russland vorgenommen.
Was kann Deutschland, das nach Thierse mehr von Russland verstünde als alle anderen, außenpolitisch dazu beitragen? Auch dazu ein nüchtern knappes Statement, das nicht zuviel verspricht, aber trotzdem die Erwartungen der deutschen Außenpolitik beschreiben könnte:  „Es muss zunächst Georgien und Russland gelingen, gemeinsame Interessen zu finden und ein besseres Verhältnis zueinander aufzubauen.“                     

rak