KaPost-aktuell: Inaugurations-Rede von Salome Surabischwili

Nach Ihrer Eidesleistung am gestrigen Sonntag in Telawi hielt die neue georgische Präsidenten Salome Surabischwili eine etwa halbstündige Rede, die von vielen Zuhörerinnen und Zuhörern als bemerkenswert eingestuft wurde. Vor allem nach dem eher zweifelhaften Umständen des zweiten Wahlgangs und der Vereidigungszeremonie. Die Rede wurde ganz offensichtlich frei gehalten, wenngleich das Büro der Präsidentin heute eine offizielle englische Fassung der Rede publizierte. Wir haben die Origialrede auf georgisch nierderschreiben lassen und unsere KaPost-Übersetzerin Lela Gabroschwili gebeten, eine deutsche Fassung zu erarbeiten. Sie weicht daher im einen oder anderen Detail von der offiziellen Rede-Version ab, die allerdings wohl erst heute und damit im Nachhinein redigiert und ins Englische übersetzt wurde. Die Rede gibt tatsächlich Hinweise auf das Amtsverständnis der neuen Präsidentin, das nach einer ersten Einschätzung nicht unbedingt mit den Vorstellungen der Führung der Regierungspartei in Übereinstimmung zu bringen ist. Man darf also gespannt sein ob und wie die „parteipolitisch unabhängige“ Präsidentin ihr Amt auszuführen gedenkt und wie die regierenden Netzwerke darauf reagieren. Hier die Übersetzung der Rede:

„Herr Premierminister, Herr Vorsitzender des Parlaments;
Ihre Heiligkeit und Seligkeit, der geistige Führer unserer Nation;
meine georgischen Landsleute und meine meine abchasischen und ossetischen Brüder;
meine im Ausland lebenden Landsleute, insbesondere die extra nach Georgien gekommen sind, um heute bei uns zu sein.

Mit besonderer Freude begrüße ich die Nachkommen der ersten Emigration. Ich, in der Emigration geboren, bin Präsidentin geworden. Und als Auswanderin infolge der Invasion der Roten Armee wurde ich heute als Oberbefehlshaberin zum Schutze der Unabhängigkeit vereidigt.

Wie schon öfter in seiner Geschichte befindet sich Georgien wieder am Scheideweg. Wieder stehen wir vor einer großen Herausforderung. Hier, in Telavi ist unser Weg in der Vergangenheit mit Kämpfen, Herausforderungen und Erfolgen sichtbar. Dieser Ort ist für Georgier so etwas wie „eine historische Speicherkarte“. König Erekle II. kämpfte für die Entwicklung und Einigkeit des Landes. Er schuf eine moderne georgische Armee und hat in vielen Kämpfen gesiegt. Er hat viel zur Gründung eines europäischen Staates beigetragen.

Aber hier in Telavi wurden die Pläne von König Erekle auch zerstört, einen modernen Staat und neue Standards zu schaffen und das Land auf den europäischen Weg zu bringen. Die Entwicklung unseres Staates hat hier aufgehört, die Entwicklung zu einem unabhängigen, vereinten und starken Land wurde hier blockiert. Dafür gibt es mehrere Gründe, einschließlich der Absicht des Feindes. Aber mit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit sind wir zum Bau eines europäischen Staates zurückgekehrt. Wir stehen heute vor einer entscheidenden Phase in dieser Entwicklung.

Von Telavi aus ist unser zukünftiger Weg klar erkennbar: Vereinigung des Landes, Beruhigung der Gesellschaft und Stärkung unseres Platzes in Europa. Das sind meine Hauptziele.

Wir haben zu viele Jahre in der politischen Konfrontation verloren. Ich möchte unseren Bürgern selbst ein Beispiel sein. Ich versichere Ihnen, dass der nationale Konsens von höchster Bedeutung für die Entwicklung und Vereinigung Georgiens ist.

Ich habe beschlossen, nach Telavi zu kommen und hier den Eid abzulegen, wo ich (in der Wahl, Anm. d.Red.) wenig Unterstützung bekommen habe, und mich von hier an die ganze Breite der Gesellschaft zu wenden. Ich bin denjenigen dankbar, die bei den Wahlen für mich gestimmt haben. Ich bin dem georgischen Traum dankbar, der mich als unabhängige Präsidentschaftskandidatin unterstützt und damit einen entscheidenden Schritt zu einer Präsidentschaft geleistet hat, die bestrebt ist, sich über die Parteipolitik zu stellen.

Ich respektiere auch diejenigen, die bei der Wahl nicht für mich gestimmt haben. Ich weiß auch, dass verschiedene Parteien ganz unterschiedliche Positionen bezüglich meiner Anerkennung als Präsidentin haben.

Unabhängig davon nehme ich ab heute vor der Verfassung die Verantwortung auf mich, Präsidentin aller Bürger Georgiens zu sein. Das ist das Hauptprinzip der Demokratie. Auf dieser Verantwortung und diesem Bewusstsein basiert ein moderner Staat. Ich werde die Rechte und Unabhängigkeit der Bürger schützen. Ich werde ein Garant für die Rechtsstaatlichkeit sein. Ich werde Sorge tragen für die Stärkung der Zivilgesellschaft und der politischen Kultur des Landes. Es ist wichtig, dass alle, dass jeder Bürger, die freien Medien und der NGO-Sektor eine positive Rolle beim Aufbau eines vereinten Landes übernehmen.

Heute, da ich die fünfte Präsidentin Georgiens geworden bin, bin ich stolz darauf, dass wir es geschafft haben, die Präsidentschaft friedlich und zivilisiert zu übergeben. Damit wurde ein weiterer Schritt in der demokratischen Geschichte des Landes gemacht.

Ich möchte erwähnen, dass alle früheren Präsidenten Georgiens zu einer unabhängigen und demokratischen Umstrukturierung des Landes beigetragen haben. Vor einem Jahrhundert haben die Führer der ersten Republik eine zu dieser Zeit moderne und fortschrittliche Verfassung angenommen. Zviad Gamsachurdia hatte eine wichtige Rolle gespielt, als er ein Referendum ansetzte und die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Georgiens proklamierte. Eduard Schewardnadse bahnte als erster den Weg nach Europa und in den Euro-atlantischen Raum. Mikhail Saakaschwili legte im Anfangsstadium seiner Regierung die Grundlagen für viele wichtige Reformen. Während der Präsidentschaft von Giorgi Margwelaschwili wurden Schritte zur Stärkung der demokratischen Verfahren und Stabilität gemacht.

Mein Ziel ist, die demokratische Entwicklung und europäische Zukunft unseres Landes unumkehrbar zu machen.

Die Entwicklung eines modernen Staates beruht auf starken und lebendigen Regionen. Ich denke, es ist bemerkenswert, dass heute die Inauguration der Präsidentin nicht in der Hauptstadt, sondern in einer Region stattfindet, in Kachetien und das war meine Wahl.

Ein moderner, europäischer Staat erfordert eine einheitliche Entwicklung der Hauptstadt und der Regionen. Das Fundament Georgiens waren historisch immer seine Regionen und deren Stärken. Wir können diese historische Erfahrung mit einem aktuellen europäischen Beispiel zusammen bringen.

Die Regionen in Georgien haben ein enormes Potenzial. Wir sollten ihnen die Möglichkeit geben, neue Perspektiven zu eröffnen und dadurch einen Fortschritt zu erreichen. Mein Wunsch und auch der Wunsch aller Georgier ist es, dass möglichst viele Menschen zu ihren verlassenen Dörfern zurückkehren. Dies ist eine Angelegenheit, die viel Mühe erfordert, sehr viel Kontakt mit den Menschen in den Regionen. So, wie ich heute hier in Telavi bin, komme ich auch zu allen Regionen und werde bei meinem Volk sein.

Die Georgische Gesellschaft ist sich einig im Hinblick auf seine europäische Zukunft. Indem sie mich zur Präsidentin gewählt haben, stimmten die Menschen Georgiens erneut für den europäischen Weg. Mit dem EU-Assoziierungsabkommen und dem visafreien Reiseverkehr haben sich uns große Perspektiven eröffnet. Und wir haben eine feste Unterstützung von westlichen Freunden und Partnern. Dieser Prozess muss beschleunigt werden. Die neue Verfassung spiegelt den Willen des georgischen Volkes wider, den unumkehrbaren Weg Georgiens in Richtung EU und NATO. Wir werden unseren Weg kontinuierlich fortsetzen, wir werden würdig den internen oder externen Herausforderungen gegenüber stehen. Wir werden eine bedeutende Reform des Landes zum Abschluss bringen. Ich werde die demokratische Institution noch mehr stärken. Demokratische Bewusstseinsbildung ist unsere Aufgabe. Wir werden unbedingt in die EU eintreten mit unseren Werten, Identität und Kultur. Georgier können mit der alten, reichen, ursprünglichen Kultur, die auf dem Christentum basiert, nützlich sein für die Welt. Die georgische Zivilisation kann ihren Platz in der Welt haben. Unsere Identität zeigt sich historisch in unserer Toleranz. Das friedliche Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Herkunft hat bei uns seit Jahrhunderten Tradition. Georgien ist auch dadurch bekannt, dass es hier kein einziges Beispiel von Antisemitismus gab. Toleranz ist, das, was heute der Welt bis zu einem gewissen Grad fehlt. Wir sollten diese Tradition fördern, so dass wir der Welt ein Beispiel geben könnten. Wir sollten die Bekanntheit der georgischen Kultur und Identität auf der internationalen Ebene steigern.

Die Kultur ist das, worauf der Staat beruht. Wir haben in dieser Hinsicht eine sehr starke Basis. Sie braucht Unterstützung, die tägliche Sorge und Entwicklung. Ich erkläre Kultur als eine meiner Prioritäten. Kultur ist ohne Bildung nicht vorstellbar und ich möchte den Pädagogen meine Dankbarkeit ausdrücken, denn sie erziehen unsere Kinder und bilden unsere Zukunft.

Ich bin die erste weibliche Präsidentin in der georgischen Geschichte. Damit stehen wir in der Tradition Georgiens, eine moderne Nation zu sein. Vor 100 Jahren waren Frauen bei den demokratischen Wahlen gleichberechtigt. Es wurden fünf weibliche Parlamentsmitglieder gewählt. Selbst in Europa galt das eine als eine Ausnahme. Heute machen wir auch einen progressiven Schritt. Dieser Schritt ist auf der Welt, wo es nur elf weibliche Präsidentinnen gibt, noch immer eine Ausnahme. Das ist ein Beweis dafür, dass in Georgien die Rolle der Frauen gestärkt wird. Die Gleichrangigkeit von Mann und Frau ist für uns kein Fremdwort.

Georgien steht vor großen Herausforderungen. Abchasien und Südossetien sind von Russland besetzt. Es gibt eine Besatzungslinie, die tief unser Land einschneidet und wo unsere Bürger entführt werden. Das ist für souveränen Staat inakzeptabel. Daran werden wir uns nicht gewöhnen.

Unsere Bevölkerung dort braucht mehr Aufmerksamkeit und zunehmende Sicherheit. In dieser Richtung sollen wir intensiv mit unseren Partnern und der EU-Monitoring Mission zusammenarbeiten. Um ein höheres Sicherheitsniveau zu erreichen, brauchen wir mehr Zusammenarbeit mit der NATO. Die Stärkung der Sicherheit am Schwarzen Meer ist auch unser Hauptziel. In dieser Hinsicht brauchen wir auch mehr Unterstützung unserer westlichen Partner. Ich werde aktiv an den Verhandlungen mit amerikanischen und europäischen Partnern beteiligt sein, damit wir möglichst schnell unser Ziel erreichen können. Die Verteidigungsfähigkeit Georgiens hängt von der Professionalität unserer Streitkräfte ab, von ihrer Bereitschaft, einer modernen Ausrüstung und einem starken Staatsbewusstsein. Ich erkläre volles Vertrauen die georgischen Streitkräfte. Ich drücke meine Respekt vor unseren Soldaten und Veteranen aus. Sie können sicher sein, dass ich die Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte fördere. Mein Ziel ist die Verstärkung der Armee und die Sicherheit des Landes.

Als Oberbefehlshaberin muss ich alle Versuche, die Armee in politische und ideologische Fraktionen zu teilen, was in letzter Zeit der Fall war, verurteilen. Das verletzt den Staat und stärkt den Feind. Ich werde nach Afghanistan zu unseren Soldaten gehen, die ehrenhaft an der Seite unserer Partner und unter Einsatz ihres Lebens kämpfen. Sie kämpfen gegen globale Bedrohungen, die den Frieden in der Welt, in der Region und in unserem Land bedrohen. Frieden und Stabilität sind die Hauptbedingungen für den Fortschritt der Menschheit. Den friedlichen und stabilen Kaukasus braucht nicht nur die Region, sondern auch die ganze Welt. Georgien soll seine Rolle auf der ganzen Welt verstärken. Wir können auch in dieser Region unsere historische Rolle zurück gewinnen die Verantwortung übernehmen. Russland als Nachbar des Kaukasus sollte folgendes erkennen: Wenn es ein Vollmitglied der internationalen Gemeinschaft sein will und in dieser Region die Wiederherstellung normaler Beziehungen plant, soll es sowohl verbal als auch faktisch beweisen, dass es das gesamte Völkerrecht anerkennt. Das ist sehr wichtig.

Um gleichberechtigte und friedliche Beziehungen zu seinen Nachbarn herzustellen, befindet sich Georgien in einer Region, in der interaktive Wirtschaftsprojekte der Welt möglich sind. Wir müssen zum Zentrum wirtschaftlicher Sicherheit und Stabilität in dieser Region werden und die Attraktivität des Landes erhöhen. Dafür bräuchten wir möglichst viel Initiative und Innovation. Das ist die Pflicht und Aufgabe unserer Jugend. Und das ist eine reale Aussicht für die künftige Generation. Mit voller Kraft bin ich bereit, ihnen beizustehen, Investitionen anzuziehen und neue Ideen zu fördern. Für die Verstärkung unserer Gesellschaft ist die Solidarität sehr wichtig, insbesondere Solidarität zwischen den Generationen. Das was uns historisch vereinigt, soll nicht verloren gehen. Ein starker Staat basiert auf der sozialer Solidarität. Es gibt nur Fortschritt, wo es Mitgefühl, Unterstützung und Stabilität gibt. Solidarität bedeutet, wenn wir Hilfe für Menschen leisten, die sie am meisten brauchen. Das sind sozial schwache Menschen, allein erziehende Mütter und Behinderte.

Ich werde unseren Flüchtlingen im Inland beistehen. Ich weiß ganz genau, worauf ihre Familien ruhen, auf Geduld, Standhaftigkeit und Hoffnung. Ich glaube an die Wiedervereinigung unseres Landes. Wir sollen immer daran denken, dass in den besetzten Region Menschen leben, die unsere Bürger sind. Wir sollten uns mit ihnen versöhnen. Mit den Menschen aus Abchasien und Ossetien haben wir einen gemeinsamen Weg der Vergangenheit. Wir sind Verwandte. Wir sollten einen Weg finden, der den künftigen Generationen dieser Regionen hilft, und ihnen den Weg nach Europa bahnen. Heute braucht die abchasische Sprache und Identität Verteidigung und Unterstützung. Unser Land braucht Beruhigung und Entwicklung. Wir haben starke menschliche Ressourcen, wirtschaftliches Potenzial und eine perfekte, talentierte junge Generation. Hauptsache ist es, dass wir an unsere Kräfte und Fähigkeiten glauben und Verantwortung für unsere Zukunft übernehmen. Ich bin zurückgekehrt, denn ich glaubte und glaube immer noch an mein Land. Wir müssen an unsere Zukunft glauben. Die Zukunft Georgiens ist, ein unabhängiges, starkes, modernes, europäisches und würdiges Land zu sein. Gott segne unser Land!!!