Droht die Reform der Berufsausbildung zu scheitern?

Internationale Experten fordern in vertraulichem Papier die Regierung zum Handeln auf

In der Internationalen Zusammenarbeit werden jährlich mehrere Zehntausend Seiten an Fortschrittsberichten gedruckt, die in der Regel die Botschaft enthalten: Alles richtig gemacht, Ziele erreicht, die nächste Stufe kann beginnen, das heißt vor allem, die nächste Überweisung von den Geldgebern aus aller Welt kann abgerufen werden. Und alle sind zufrieden, die Geldgeber, die Empfänger-Regierungen und das Consulting-Gewerbe aus aller Welt. Jetzt hat eine Gruppe ausländischer Berater auf dem Gebiet der Reform der georgischen Berufsausbildung ein Papier verfasst – das Papier liegt der Kaukasischen Post vor -, das einen ganz anderen Schluss zulässt. Die Kernsätze: „Es wäre falsch, zu behaupten, dass die Reform der Berufsausbildung gescheitert ist. Erfolge sind dokumentiert, und damit hat das Management, das heißt die Verantwortungsträger für die Durchführung, viele Dinge richtig gemacht und die gestellten Aufgaben erfüllt. Allerdings ist die Wirkung der bisherigen Reformbemühungen mangelhaft und damit die Frage, ob die Reformagenda die richtigen Dinge beinhaltet, mit Nein zu beantworten.“ Und: „Die wirklich großen Herausforderungen wurden mit der Reform bisher nicht gelöst, zudem steht der betriebene Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zur Anzahl (erfolgreicher?) Berufsschul-Absolventen.“

 

Seit dem Jahr 2013 arbeiten auf Wunsch der georgischen Regierung und auf der Basis internationaler und bilateraler Verträge eine Vielzahl internationaler Organisationen mit ihren Experten an der Reform der Berufsausbildung. Das Ziel ist, die Berufsausbildung von einer rein schulischen Veranstaltung zu einem „Work-based Learning“ zu bringen, worunter eine Anlehnung an die  Duale Berufsausbildung nach deutschem und schweizerischen Muster zu verstehen ist. Im Pool der internationalen Organisationen, die sich dem Thema widmen, sind unter anderen die deutsche GIZ, die EU, UNDP (United Nations Development Cooperation, von SDC – Suisse Development Cooperation finanziert), die amerikanische MCC/MCA (Millenium Chanel Account) die IHK-München in Kooperation mit der GCCI (Georgian Chamber of Commerce and Industry) und einige andere mehr. Teilweise werden die internationalen Aktivitäten koordiniert, teilweise laufen sie nebeneinander her oder gelegentlich auch gegeneinander. Die deutsche GIZ hat zum Beispiel ihren Schwerpunkt auf die Berufsausbildung im Weinbau gelegt, ein erfolgversprechendes Vorhaben. (Wir werden in einer der nächsten Ausgabe ausführlich darüber berichten). Aber es gilt in der internationalen Zusammenarbeit auch, dass ganz sicher hin und wieder die Eigeninteressen der Geberländer oder ihrer Durchführungsorganisationen eine Rolle spielen. Etwas mehr strategische und inhaltliche Koordination könnte sicherlich hilfreich sein. Das ist allerdings nur eine kleine Randbemerkung, die sich aus diesem Papier ergibt.

In der Hauptsache geht es den Autoren darum, aufzuzeigen, welche Ergebnisse von den 2013 vereinbarten sieben Kapiteln der Reformagenda erreicht wurden. Erfolge wird dies in einer Tabelle des Papiers genannt. Daneben werden aber auch die Herausforderungen gestellt, eine diplomatische Umschreibung dessen, was die Autoren wohl an Misserfolg oder dringendem Nachholbedarf meinen.

Im Kapitel Sozialpartnerschaft sind erfolgreich Strukturen etabliert worden. Aber, so steht es in der Spalte Herausforderungen: Kaum erkennbare Wirkung auf den Reformprozess. Im Kapitel Berufsschulen wird die Investition in neue Berufsschulen und die Modernisierung bestehender als Erfolg gewertet. Die Herausforderung: Geringe Effizienz, geringe Anzahl von Absolventen, niedrige Qualität der zu vermittelnden Kenntnisse und Fertigkeiten. Im Kapital Ausbildungsprogramme sind neue modulare Ausbildungsprogramme entwickelt, ein Erfolg. Die Herausforderung: Es sind oft schulbasierte Programme mit einem geringen Praxisanteil, alles andere also als eine duale Ausbildung. Im Kapitel Lehrer wird als Erfolg bewertet, dass in den letzten beiden Jahren 96 neue Lehrkräfte eingestellt und zusammen mit den bestehenden Lehrkräften trainiert wurden. Das Ergebnis, also die Herausforderung für die Zukunft, liest sich recht ernüchternd: Keine erkennbare Verbesserung der Qualität der Ausbildung, Überalterung und Mentalität der bestehenden Lehrkräfte. Im Kapitel Nationaler Qualifizierungsrahmen(NQF) wird attestiert, dass dieser noch nicht verabschiedet wurde. Die Herausforderung: NQF ist nicht die treibende Kraft für Veränderungen des Ausbildungssystems.

Im Kapitel Beschäftigungsfähigkeit wird als Erfolg das Ergebnis einer Studie von 2015 bewertet, wonach 46 Prozent der Absolventen der derzeitigen Berufsausbildung eine Beschäftigung finden. Die Herausforderung der Autoren kommt zu einem anderen, vernichtenden Urteil: Dem Abschlusszertifikat der Absolventen wird von der Wirtschaft kein Wert beigemessen. Und im letzten Kapitel der Reformagenda, dem Kapitel Image, steht als Erfolg: Leicht verbessertes Image der Berufsausbildung bei der Bevölkerung. Als Herausforderung schreiben die Autoren dagegen: Die Berufsausbildung ist weit von allgemeiner Akzeptanz entfernt.

Alles in allem ein in der gewiss technisch-spröden Sprache der Entwicklungszusammenarbeit geschriebener Verriss der bisherigen Bemühungen der internationalen Berater, der in dem oben schon zitierten Fazit mündet: Der Aufwand der internationalen Geldgeber und des bereitgestellten Staatshaushalts stehen in keinem verantwortbaren Verhältnis zum Ergebnis. Ein deutlicher Warnschuss für die georgische Regierung.

Die Autoren werden nach drei Jahren intensiver Arbeit noch deutlicher. Zielgruppe ihrer Bemühungen sind primär Jugendliche, die nach Abschuss der Sekundarausbildung auf das Berufsleben vorbereitet werden sollen. In der Realität sind im abgelaufenen Schuljahr von 486.147 Jugendlichen im Alter von 16 bis 24 Jahren (Quelle GEOSTAT) nur 6.937 Berufsschüler registriert. Das entspricht gerade einmal 1,43 Prozent der Zielgruppe, der internationale Standard liegt bei etwa 30 Prozent. Über die Qualität dieser Berufsschulen haben sich die Autoren ohnehin deutlich geäußert.

Mehr als nur problematisch erscheint auch eine andere Sicht der Autoren auf die real-existierende Situation der Berufsausbildung in Georgien. Von den 2,390 Millionen Menschen im berufsfähigen Alter (Quelle: GEOSTAT) sind nur 18 Prozent in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt. Der Rest ist entweder arbeitslos oder wird als „self-employed“, also als selbständige Unternehmer geführt. Die derzeitige Berufsausbildung in Georgien ziele nur auf die Gruppe der Menschen, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Für den überwiegenden Rest der Arbeitslosen oder (Schein)-Selbständigen gäbe es keine Angebote in den Berufsschulen.

Die Autoren des Papiers machen auch weitreichende Vorschläge für eine dringende Fortentwicklung der Reformagenda und fordern die georgische Regierung eindringlich auf, diese Ansätze aufzugreifen und deren Umsetzung zu initiieren. Außerdem gäbe es eine Reihe anderer, fachlich fundierter Konzepte, die auf einen Systemwechsel und die Einführung einer auf georgische Verhältnisse abgestimmten dualen Ausbildung abzielen. Was fehle, sei die politische Führung und Entscheidung, diese Reformen anzustoßen und der Mut, sie gegen zu erwartende Widerstände durchzusetzen.

Der kürzlich erst ins Amt gekommene Bildungsminister setzt in der Berufsausbildung unter anderen drei Schwerpunkte: Imageverbesserung, Erweiterung der Erwachsenenbildung und Hochschulzugang für Absolventen der Berufsausbildung. Das Urteil der Autoren: So sinnvoll diese Bereiche auch sein mögen – dies ist Symptombekämpfung und genügt noch nicht für die gewünschte Wirkung einer reformierten Berufsbildung.

Die Zeit drängt, heißt es in dem Papier, was nur so zu verstehen sein kann, dass die Reform der Berufsausbildung scheitert, wenn jetzt nicht schnell die erforderlichen Schritte zu einer Reform der Reform-Agenda eingeleitet werden. Dazu sei aber vor allem politische Führung gefragt. Seit Januar diesen Jahres wird der georgische Premierminister nicht müde, die Reform der Berufsausbildung nach dem Vorbild der deutschen Dualen Ausbildung als oberste Priorität seiner Regierung darzustellen. Vielleicht erreicht das Papier, das nach Recherchen der KaPost bereits in mindestens einer georgischen Behörde zirkuliert, dann doch einmal den Regierungschef.

Rainer Kaufmann