Aus der Traum von einem Mehrparteiensystem?

Die seltsame Wandlung des einstigen Hoffungsträgers Bidsina Iwanischwili

Vor vier Jahren – nach dem glanzvollen Wahlsieg seiner Koalitionsliste vom Georgischen Traum – verkündete Bidsina Iwanischwili noch voller Stolz, das sei das Ende der Ein-Parteien- oder der Ein-Mann-Herrschaft in Georgien. Die auf seiner Wahlliste vertretenen Parteien sollten im Parlament eigene Fraktionen bilden, grundsätzliche Entscheidungen sollten dann immer in einem Koalitionsausschuss erarbeitet werden. Die georgische Politik sollte so zukunftsfähig gemacht werden für ein demokratisches Mehrparteiensystem nach europäischem Muster. Heute hört sich der selbst ernannte Präceptor Georgiae ganz anders an. Er erwartet eine sichere absolute Mehrheit für seine Partei Georgischer Traum, die jetzt alleine antritt und nicht mehr in einer Mehrparteien-Koalition, vielleicht sogar eine Zweidrittel-Mehrheit. Aus der Traum vom Mehrparteiensystem? Was ist in diesen vier Jahren eigentlich geschehen?

Es geht dabei vornehmlich um die Rolle, die Bidsina Iwanischwili in den letzten vier Jahren gespielt hat und die er jetzt im Wahlkampf vermehrt zur Geltung bringt. Es war ohne Frage sein Verdienst, eine Koalition gegen den übermächtigen und selbstherrlichen Saakaschwili geschmiedet und sie zum Erfolg geführt zu haben. Dabei war er auf Parteien wie die Freien Demokraten und die Republikaner angewiesen und hat deren Hilfe gerne in Anspruch genommen. Der strahlende Wahlsieger von 2012 zog sich aber schon ein Jahr später vom eigentlichen Wählerauftrag, eine Regierung in einem öffentlichen Amt zu führen, zurück. Das hatte er vor den Wahlen allerdings schon angekündigt. Aber statt sich dann wirklich wieder ins Privatleben zu verabschieden, abgeschottet wie zu den Zeiten, als er im Hintergrund auch für Saakaschwili immer wieder größere Reform- oder Bauprojekte finanzierte, gefiel er sich in der Rolle des Regisseurs hinter den Kulissen. Seinen ebenso farb- wie glücklosen Nachfolger Irakli Gharibaschwili, so wissen Insider, habe er ebenso per Handy oder SMS an der engen Leine geführt wie nahezu jeden Minister. Manch einer von ihnen wurde beobachtet, wie er in Konferenzen die Nachrichtenfunktion in seinem Mobilfunkgerät nach dem x-ten SMS des großen Meisters entnervt abschaltete. In unzähligen Talkshows meldete er sich gleich nach seinem Rücktritt immer wieder zu Wort, um der Regierung, noch immer seiner Regierung, den richtigen Weg zu weisen und einzelne Regierungsmitglieder öffentlich zu rüffeln. Völlig überzogen watschte er dann den Staatspräsidenten Giorgi Margwelaschwili, für den er selbst einen unermüdlichen Wahlkampf geführt hatte, ab, nur weil dieser sich dafür entschieden hatte, seinen Amtssitz in dem von Saakaschwili errichteten Präsidentenpalast einzurichten. Eine Entscheidung, die die Kontinuität der Verfassungsorgane über persönliche Intimfeindschaften stellte. Staatspolitisch eigentlich ein kluger und zukunftsweisender Zug des Präsidenten. Nur er passte nicht in das simple Freund-Feind-Schema Iwanischwilis. Der Präsident ist seither persona non grata, versucht aber trotzdem recht ehrenhaft, dem Amt die neutrale Funktion und Würde zu verleihen, die ihm nach der Verfassung gebührt. Jetzt hat Iwanischwili bei einer seiner Pressekonferenzen ohne jeden Anlass schon den potentiellen Nachfolger für Margwelaschwili präsentiert: Irakli Gharibaschwili, ein eher farbloser Technokrat, den er vor drei Jahren als seinen Nachfolger als Regierungschef ins Amt hievte, ihn aber zwei Jahre später wieder zurückzog.

Gharibaschwili, dessen Popularität deutlich am Sinken war und damit auch die Wahlaussichten des Georgischen Traums, lies er durch Giorgi Kwirikaschwili ersetzen, einen durchaus gediegen und gewandt auftretenden Regierungschef. Fortan hatte es den Anschein, als habe sich Iwanischwili tatsächlich von seiner Rolle als Strippenzieher im Hintergrund verabschiedet, denn er überlies die politische Bühne seinem Nach-Nachfolger, der auch Partei-Vorsitzender vom georgischen Traum wurde. Bemerkenswert an diesem Personalkarussell: Beide, Gharibaschwili und Kwirikaschwili, waren vor ihrem Eintritt in die Politik im Management der Cartu-Bank, einem Unternehmen des Iwanischwili-Imperiums.

Jetzt im Wahlkampf ist Iwanischwili wieder selbst auf die politische Bühne zurück gekommen. Allerdings nicht in irgendeiner offiziellen Funktion oder gar einer Kandidatur. Auch nicht in einer offiziellen Führungsposition seiner Partei, die er einmal gegründet hat. Iwanischwili tourte in eigener Mission durch alle Regionen Georgiens, um dort jeweils Pressekonferenzen, übertragen vom Privatsender seines Sohnes, mit den lokalen Medien abzuhalten. Und die hatten es in sich. Der Anschein drängt sich auf, dass Iwanischwili in Ermangelung wirklicher wirtschaftlicher Erfolge seiner Regierung, die er vor fünf Jahren im Wahlkampf großzügig versprochen hatte, nichts anderes übrig bleibt, als die Schlachten von damals erneut zu schlagen. Unermüdlich ruft er die Bilder der „Schreckensherrschaft“ der Saakaschwili-Partei zurück. Und dies nicht nur in Worten. Seine ureigene Idee war es, einen Spielfilm über diese Zeit zu produzieren und rechtzeitig vor den Wahlen als Horror-Serie im TV-Sender seines Sohnes auszustrahlen. Seine Frau, erklärte er jetzt dramatisch, ekele sich, diesen Film anzuschauen, und auch er könne nur mit Tränen in den Augen über ihn sprechen. Aber: Der Film sei wichtig, damit die Jugend begreife, was einmal war, und sich reiflich überlege, wem sie Regierungsverantwortung übergebe. Soviel moralinschwangere Dramaturgie war selten. Zumal die Justizorgane vier Jahre lang Zeit hatten, einige Tausend Strafanzeigen gegen Vertreter der früheren Regierung abzuarbeiten, was Iwanischwili vor vier Jahren ebenfalls versprochen hatte. Geschehen ist, außer einigen wenigen prominenten Fällen, nahezu nichts.

Jetzt vermeldet die georgische Generalstaatsanwaltschaft einen neuen Ermittlungserfolg und hat vier frühere Staatsbedienstete wegen der Ereignisse um Massen-Demonstrationen gegen Saakaschwili im Mai 2011 angeklagt. Saakaschwili hatte die Demonstrationen damals brutal niederschlagen lassen. Es gab Tote und viele Verletzte. Rechtzeitig zum Wahltermin des Jahres 2016 zeigt die Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit Video-Beweise, in denen die Verantwortlichen für diesen Polizeieinsatz, hohe Beamte der Saakaschwili-Regierung, eindeutig rechtswidrige Befehle erteilen. Auch der Fall Gelaschwili, jenes Abgeordneten, der die Saakaschwili-Partei im Frust verlies, die Gründe in Interviews darlegte und dafür brutal zusammengeschlagen wurde, ist jetzt – wenige Tage vor den Wahlen – endlich mit einem Gerichtsurteil abgeschlossen. Eine zufällige Zeitabfolge oder eher das Ergebnis einer lange geplanten Regie in der privaten Wahlkampagne Iwanischwilis?

Deutlich wurde in dieser privaten Presse-Tournee auch, dass sich Iwanischwili anscheinend vom Traum einer pluralen Bürgergesellschaft verabschiedet hat. Er beschuldigte die Nicht-Regierungsorganisationen, schmutzig und verseucht zu sein, und warf ihnen vor, die Gesellschaft zu korrumpieren. Partner wie etwa Davit Usupaschwili, der Parlamentspräsident, die er vor vier Jahren brauchte, um Saakaschwili abzulösen, werden von ihm gerüffelt, oft genug auch persönlich beschimpft.

Usupaschwili, Vorsitzender der Republikaner und einer der wenigen rechtstaatlich orientierten Politiker im Lande, reagierte auf diese Wandlung Iwanischwilis mit einer Stellungnahme, die an Deutlichkeit kaum zu wünschen lässt. Es habe sich mittlerweile herausgestellt, dass Mikhail Saakaschwili und Bidsina Iwanischwili dieselbe Vision von der Entwicklung eines Staates hätten, nämlich die von der Herrschaft einer Partei und das möglichst mit einer Zweidrittel-Mehrheit und einer starken Führungsfigur. Dabei hätte Iwanischwili vor fünf Jahren, als er die Oppositions-Koalition gegen Saakaschwili auf die Beine stellte, ganz andere Visionen gehabt, pluralistische. Die Gefahr bestehe, so Usupaschwili, dass im neuen Parlament nur noch zwei Parteien vertreten sind, eine übermächtige Regierung vom Georgischen Traum und eine Mini-Opposition der Vereinten Nationalen Bewegung.

Am 8. Oktober steht Georgien damit am politischen Scheidepunkt. Die Wählerinnen und Wähler könnten den vorsichtigen Ansatz eines Mehrparteien-Systems mit dem Zwang zu Koalitionen und Kompromissen stärken und vier oder fünf Parteien ins Parlament entsenden. Neben den beiden großen Parteien haben den Umfragen zufolge die Allianz der Patrioten, die Freien Demokraten und – mit Abstrichen – auch die Republikaner durchaus Erfolgschancen. Andere Umfragen deuten eher auf ein Zwei- oder Dreiparteien-System hin. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich die Bevölkerung wieder für einen starken Machtblock entscheidet, angeführt von einer Lichtgestalt, die alle Fäden in der Hand hält. Die drei Lichtgestalten der letzten 25 Jahre allerdings – Gamsachurdia, Schewardnadse und Saakaschwili – wurden spätestens nach der zweiten Wahlperiode mehr oder weniger unsanft aus der Macht gedrängt.