Das muntere Stühlerücken geht weiter

Georgische Regierungskrise und kein Ende

Es geht drunter und drüber in der georgischen Regierung. Vor zwei Tagen noch erklärte Ministerpräsident Irakli Gharibaschwili, dass er nur die kürzlich zurückgetretenen zwei Minister ersetzen werde. Heute überraschte er die Öffentlichkeit mit der Nachricht, dass auch der Verteidigungsminister, erst seit November für den entlassenen Irakli Alasania im Amt, ausgetauscht werden soll. Und viele im Lande fragen sich, ob der junge Gefolgsmann von Bidsina Iwanischwili, dem „Regierungschef im Hintergrund“, das Heft des Handelns noch in der Hand hat.

Allen voran Giorgi Margwelaschwili, der Präsident, der in einer bemerkenswert knappen Stellungnahme mit der Regierungskoalition abrechnete. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte müsse er fragen, in welcher Frequenz man sich erlaube könne, die Verteidigungsminister auszutauschen. Die Regierung handele anscheinend in Panik und im Notstandsmodus.

Mit dem erneuten Kabinettsumbau sind es jetzt seit der letzten Bestätigung der Regierung durch das Parlament acht Ministerwechsel, mithin sind mehr als ein Drittel der Ressorts davon betroffen. Nach der georgischen Verfassung muss sich daher die gesamte Regierung erneut einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Der Regierungschef hatte Präsidenten und Parlament darum gebeten, diese Prozedur noch an diesem Wochenende möglichst rasch und ohne Ausnutzung der vorgesehenen Fristen durchzuziehen. Dem allerdings hat sich das Staatsoberhaupt, das die neue-alte Regierung dem Parlament offiziell vorschlagen muss, widersetzt. Er werde die in der Verfassung vorgesehene Sieben-Tage-Frist voll ausnutzen, bevor er die Kabinettsliste dem Parlament zur Abstimmung vorschlägt, damit Premierminister und Parlament „in ruhiger Atmosphäre Verhandlungen über die Zusammensetzung der Regierung führen könnten.“ Eine bittere Pille für die Regierung, die jetzt erneut erleben muss, dass sich das eigenwillige Staatsoberhaupt nicht mit der von der Regierung zugedachten Rolle reiner Repräsentation zufrieden geben will. Dabei nutze er nur den vollen Spielraum, den ihm die Verfassung einräumt. Statt der geplanten schnellen Wochenend-Lösung der Regierungskrise werden jetzt Politik und Öffentlichkeit über einen längeren Zeitraum über die unübersehbaren Auflösungserscheinungen der Regierung des Georgischen Traums diskutieren. Das kann dieser nicht gelegen kommen, zumal die Turbulenzen in der Regierung begleitet werden von einem weiteren kontinuierlichen und damit dramatischen Verfall der Nationalwährung Lari mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für die überwiegende Mehreit der Bevölkerung.

Nach der im Jahr 2012 geänderten Verfassung hat der Präsident nur wenig Möglichkeiten, die Regierungsbildung zu beeinflussen. Er muss dem Parlament innerhalb von sieben Tagen den Regierungschef zur Wahl vorschlagen, der ihm von der Mehrheitsfraktion benannt wurde. Dieser hat dann weitere sieben Tage Zeit, seine Kabinettsliste zusammenzustellen. In weiteren sieben Tagen muss dann das Parlament der Regierung das Vertrauen aussprechen, dazu genügt die einfache Mehrheit. Da die Regierungskoalition vom Georgischen Traum nach wie vor über eine komfortable Mehrheit im Parlament verfügt, wäre dies der zu erwartende Zeitplan zur Lösung der Regierungskrise. Werden die in der der Verfassung vorgesehenen Fristen voll ausgenutzt, wofür nach der Präsidenten-Stellungnahme einiges spricht, kann es also 21 Tage dauern, bis die Regierung, die derzeit nur geschäftsführend agiert, wieder voll im Amt bestätigt ist.

Ein Szenario, das nach den Äußerungen Marghwelaschwilis nicht unbedingt eintreffen muss. Sein Hinweis, Premierminister und Parlament sollten in Ruhe die Zusammensetzung der künftigen Regierung aushandeln, könnte ein völlig anderes Szenario denkbar erscheinen lassen. Da der Unmut über den Führungsstil des Tandems Iwanischwili/Gharibaschwili bis tief in die Reihen der Koalitionsparteien reicht, kann man dem Präsidenten unterstellen, dass er im Hintergrund einen anderen Plan verfolgt, möglicherweise sogar die Bildung einer All-Parteien-Regierung. Die oppositionelle UNM, die Partei Saakaschwilis, hat bereits ihre Bereitschaft signalisiert, Verantwortung zu übernehmen und den Präsidenten um ein Gespräch gebeten. Mit diesem Schachzug, sollte er geplant sein und denn auch gelingen, könnte der von vielen – auch in den Koalitionsparteien – beklagten Hintergrund-Dominanz Iwanischwilis ein Ende bereitet werden.

Ein drittes Senario ist vorstellbar. Das Parlament verweigert der Regierung das Vertrauen, wobei nur wenige Koalitions-Abgeordneten mitspielen müssten. In Zahlen: 75 Stimmen werden für das Vertrauensvotum gebraucht. Die Koalition verfügt derzeit über 87 Sitze. Wenn also nur zwölf Abgeordnete der Koalition Gharibaschwili das Vertrauen verweigern, muss die Abstimmung innerhalb von 30 Tagen widerholt werden.

Geht auch die zweite Abstimmung, bei der die Parlamentsmehrheit mit einem neuen Kandidaten antreten kann, negativ aus, hat der Präsident das Recht, innerhalb von sieben Tagen mit Unterstützung von 60 Abgeordneten einen eigenen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs für eine dritte Vertrauensabstimmung vorzuschlagen. Dabei können auch andere Fraktionen einen Gegenkandidaten aufstellen, wenn sie mehr als 60 Unterstützer im Parlament finden. Gewinnt in diesem Wahlgang kein Kandidat das Vertrauen der Parlamentsmehrheit, kann der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben.

Sollte dieses Szenario tatsächlich betrieben werden, so wird die Regierungskrise das Land noch einige Monate in Atem halten, bevor es dann wohl im Herbst zu Neuwahlen kommen würde. Reguläre Parlamentswahlen stehen im Herbst 2016 an. Über vorgezogene Neuwahlen, die nur auf diesem Wege erreicht werden können, wird seit Monaten spekuliert. Angesichts der ständig wachsenden Kritik an der Regierung wird dieser sogar unterstellt, ein solches Szenario vorzubereiten.

Wie fragil die Situation der Regierung ist, zeigt die Zusammensetzung der Koalition aus sieben Parteien. Die Partei Gharibalschwili (Georgischer Traum) hat von den 87 Koalitionsmandaten nur 46, also etwas mehr als die Hälfte. Die Republikaner des Parlamentspräsidenten Usupaschwili haben neun Mandate, drei weitere Fraktionen (Konservative, Nationales Forum, Industrialisten) haben je sechs Mandate. Zwei weitere Sechs-Mann-Fraktionen haben sich aus Abgeordneten gebildet, die direkt in Wahlkreise gewählt wurden. Und zwei Abgeordnete, die sich zur Regierung bekennen, gehören keiner Fraktion an. Zum Vergleich: Die UNM stellt mit 50 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Die Freien Demokraten Alasanias, die im vergangenen November aus der Koalition ausgestiegen sind, haben acht Abgeordnete, vier weitere Mandatsträger gehören keiner Fraktion an.

Der Ausgang der Regierungskrise ist also derzeit noch völlig offen, wobei auch diese Krise einen weiteren Schritt Georgiens zu demokratischer Normalität nach den Musterwahlen von 2012 darstellt. Denn die Verfassung zwingt alle Akteure in einen klaren rechtlichen Rahmen. Wie die Bevölkerung allerdings auf ein wochenlanges Ringen um das Überleben dieser Regierung reagiert, ist noch nicht abzusehen. Vielleicht wäre des Szenario mit der raschen Bildung einer Allparteien-Regierung für die Stabilität der georgischen Demokratie doch der beste Ausweg aus dem Dilemma. Das aber würde nichts anderes bedeuten als das vorzeitige Scheitern eines einzigen Mannes: Bidsina Iwanischwili.

Rainer Kaufmann