Steht Georgien vor einer neuen Richtungsdiskussion?

Eine erste Bestandaufnahme nach der Entlassung von Verteidigungsminister Irakli Alasania

von Rainer Kaufmann

Eine Regierungskrise ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit einer Krise des Landes. Zumindest in Demokratien mit einiger Erfahrung im Umgang mit solchen Situationen. Georgien darf man dies kaum unterstellen, die politische Elite ist jung und weitgehend unerfahren. Deshalb kann die Entlassung von Verteidigungsminister Irakli Alasania durchaus schwerwiegendere Folgen für Georgien haben, innenpolitisch wie außenpolitisch.

Wie kam es zu diesem Erdbeben in der Koalition, das wohl noch einige Nachbeben in den kommenden Tagen zeitigen kann? Das Koalitionsbündnis „Georgischer Traum“, das unter der Lichtgestalt Bidsina Iwanischwili vor drei Jahren zusammen gestellt wurde mit dem einzigen Ziel, die Regierung Saakaschwili abzulösen, ist längst nicht mehr der monolithische Einheitsblock, als der er angetreten war. (Siehe den unten stehenden Artikel: „Alles andere als traumhaft“ vom gestrigen Tag). Seit einiger Zeit war hinter den Kulissen zu erkennen, dass vor allem die Parteien Republikaner unter dem Parlamentspräsidenten Davit Usupaschwili und die Freien Demokraten unter Verteidigungsminister Alasania wenig Neigung verspürten, in zwei Jahren noch einmal unter der Einheitsliste des Traums anzutreten. Die Hintergründe sind vielfältiger Natur. Einmal liegen sie in der Konstruktion der Koalition, in sich der ein politischer Übervater, dem freilich jede politische Erfahrung und Sensibilität abgesprochen werden darf, bis heute im Hintergrund das Recht herausnimmt, über politische Weggenossen den Daumen zu heben oder zu senken und nahezu bei jedem Posten, den er besetzen kann, persönliche Loyalität über fachliche Eignung stellt. Für politische Schwergewichte mit einiger Erfahrung aus den letzten 20 Jahren georgischer Demokratie wie Alasania oder Usupaschwili auf Dauer ein untragbarer Zustand. Beide waren schon im politischen Geschäft und mit Saakaschwili auf der Straße, als dieser Schewardnadse aus dem Amt trieb. Beide haben sich aber recht früh von Saakaschwili abgesetzt, als dieser immer mehr die Rolle des Alleinherrschers annahm. Beide sind in die Traumkoalition eingestiegen, die wirklich letzte Chance, das System Saakaschwili aus den Angeln zu heben, obwohl man ihnen schon damals unterstellen durfte, dass sie mit dem System Iwanischwili keineswegs einverstanden waren. Der Milliarden schwere Unternehmer führte die Koalition so, wie er sein Geschäft zu führen gewohnt war, nämlich als oberster Patron. Beide Politiker haben in den letzen Monaten auch die internationale Szene überaus effektiv gepflegt und sich weitaus mehr Reputation erworben als zum Beispiel Premierminister Gharibaschwili, der bei seinen wenigen Auslandsterminen eher blass geblieben ist.

Eingeweihten war es schon lange klar, dass Republikaner und Freie Demokraten bei den Parlamentswahlen im Jahr 2016 nicht mehr auf der Einheitsliste des Georgischen Traums antreten wollten, auf der sie, der Hintergrund-Dominanz Iwanischwilis geschuldet, nur wenig Parlamentsmandate zu erwarten hätten. In der jetzigen Koalition mit insgesamt 83 von 150 Sitzen im Parlament stellen die Freien Demokraten nur zehn, die Republikaner neun Abgeordnete. Die Partei Georgischer Traum hat 46 Sitze, drei weitere Koalitionsparteien kommen auf insgesamt 18 Sitze. Die oppositionelle UNM stellt 51 Parlamentarier. Man kann beiden Parteien auch unterstellen, dass sie schon lange neue Optionen, auch was eine Koalition nach 2016 angeht, suchten. Iwanischwili und sein treuer Gefolgsmann, Premiermister Gharibaschwili, mussten daher befürchten, dass sie sich bei einer Regierungsbildung in zwei Jahren möglicherweise in der Opposition wieder finden. Dann nämlich, wenn es der jetzigen Opposition, der Vereinten Nationalen Bewegung, gelingen würde, sich vom Schatten Saakaschwilis und seiner letzten Getreuen zu lösen und sich nach einem innerparteilichen Reinigungsprozess wieder als eine reputierliche politische Formation zu präsentieren. Über dieses Szenario wird hinter den Kulissen des Georgischen Traums nicht ohne Grund seit längerem spekuliert. Alasania selbst hat gestern Abend noch erklärt, er stünde für Kooperationen mit jedem offen, der dieselben Werte vertritt wie die Freien Demokraten. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Der Bruch der Koalition kommt also nicht von ungefähr, er durfte so oder so erwartet werden.

Wie kam es nun so schnell zu diesem unvermeidlichen Bruch? Auslöser war die Untersuchungshaft für fünf hochgestellte Mitarbeiter Alasanias im Verteidigungsministerium. Der Vorwurf des Generalstaatsanwaltes: Veruntreuung in Millionenhöhe bei einer Ausschreibung. Das ganze geschah, Zufall oder nicht, während einer Auslandsreise des Ministers. Zurück in Georgien stellte sich Alasania hinter seine „Kameraden“, die er als unschuldig bezeichnete. Das ganze habe, so der aufgebrachte Minister, einen politischen Hintergrund und forderte eine Sondersitzung des obersten Koalitionsgremiums und das garniert mit massiven Vorwürfen gegen die Ermittlungsbehörden. Ein schwerwiegender Vorgang, der nichts anderes bedeutet, als dass sich ein Minister anmaßt, die Unabhängigkeit der Justizbehörden, Staatsanwaltschaft und Gerichte, infrage zu stellen. Saakaschwili lässt grüßen. Es muss dem Verteidigungsminister klar gewesen sein, dass er mit dem unterschwelligen Vorwurf, der Staatsanwalt habe sich in diesem Fall politisch instrumentalisieren lassen, zu weit gegangen war. Diesen Vorwurf konnte der Premierminister nicht ohne Reaktion hinnehmen, wie Irakli Sesiaschwili, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, gestern Abend erklärte. Sesiaschwili hatte wenige Tage zuvor noch erklärt, die Frage der politischen Verantwortung Alasanias, stelle sich nicht. Man solle erst das Untersuchungsverfahren abwarten. Sesiaschwili, er sitzt für Iwanischwilis Partei im Parlament, galt bisher als enger politischer Vertrauter Alasanias. Die Frage ist damit durchaus angebracht: Hat Alasania mit seinen Vorwürfen gegen die Justiz seine Entlassung sogar provoziert? Die Frage, ob er diese Entwicklung nicht wenigstens in seine Überlegungen einbezogen hat, muss bei dem strategischen Denkvermögen des Verteidigungsministers eigentlich nicht gestellt werden. Alasania muss gewusst haben, welche Reaktionen er sich möglicherweise einhandelt.

Es geht aber anscheinend nicht nur im georgische Innenpolitik und Machtkämpfe politischer Alphatiere. Alasania selbst hat die Verhaftung seiner Mitarbeiter als einen Anschlag auf die NATO-Integration Georgiens dargestellt. Es gehe den Hintermännern dieser Intrige sogar darum, spekulierte der Ex-Minister, mit ihm „die treibende Kraft“ in der Regierung für die Euro-atlantische Integration Georgiens zu beschädigen. Er beschwor gar in nebulösen Formulierungen das Wirken pro-russischer Kräfte herauf. Auch dies schwerwiegende Worte, für die er allerdings jegliche Beweise schuldig blieb. Sollten sich diese Hintergründe bestätigen, bleibt immer noch die Frage, sitzen diese Kräfte in der georgischen Regierung und ihrem Überbau? Oder hat sich der Generalstaatsanwalt von anderen Kräften instrumentalisieren lassen, wo auch immer diese zu verorten sind?

Was aber, wenn am Ende der Untersuchungen und Gerichtsverfahren, die freilich als geheim eingestuft sind und deshalb wenig transparent, doch noch zweifelsfrei herauskommen sollte, dass im Verteidigungsministerium finanziell nicht alles in Ordnung war? Dann wäre auch Alasania in der politischen Verantwortung und seine parteipolitischen Träume könnten schneller zerplatzen als er selbst derzeit ahnt. Dann hätten auch die NATO und die USA ihren ausgemachten Favoriten in der georgischen Politik verloren. Auf deren Reaktionen auf die Entlassung Alasanias darf mit einiger Spannung gewartet werden. Mit ihm als Verteidigungsminister sollte in den nächsten Wochen und Monaten das besondere Unterstützungspaket der NATO für Georgien in die Tat umgesetzt werden. Gibt es jetzt einen Stopp der Aktivitäten?

Am 8. November werden die Freien Demokraten einen schon länger angekündigten Parteikongress abhalten, zu dem Premier Gharibaschwili ursprünglich sein Kommen als Koalitionspartner zugesagt hatte. Auf diesen Ehrengast wird Alasania verzichten müssen. Er hat angekündigt, „sein Team“ auf eine neue Phase des Kampfes einzuschwören. Des Kampfes für die Wahl Georgiens zwischen dem Westen und Russland, wie er am Abend seiner Entlassung verkündete. Steht Georgien jetzt wirklich ein erneuter politischer Richtungskampf bevor?