Ukraine – auch die EU hat Verantwortung

Kommentar von Rainer Kaufmann

Natürlich ist Wladimir Putin alles andere als ein lupenreiner Demokrat. Natürlich ist er ein eiskalter Machtmensch, der im Zweifel über Leichen geht. Natürlich bewegt er sich in der Ukraine auf völkerrechtlich ebenso dünnem Eis wie im Krieg 2008 gegen Georgien. Die Szenarien ähneln sich. In beiden Fällen ließ er seine Gegenspieler erst einmal gewähren. Aber Putin hatte wie ein Schachgroßmeister alle Züge der anderen Seite vorher berechnet und längst eine knallharte Reaktion für jeden Fall der Entwicklung vorbereitet. In beiden Krisen konnte er in Ruhe auf den entscheidenden Fehler der anderen warten.

Dabei konnte er sich auch sicher sein, dass die Gegenspieler kaum eine adäquate Antwort auf seine Aktionen finden würden. Wie sollten sie auch, wenn sie ihm in einzigartiger Selbstüberschätzung zumindest den erwarteten Vorwand für sein Eingreifen geliefert haben, war dieser auch noch so billig. In Georgien war es Michail Saakaschwili mit seinem unüberlegten Vorstoß auf Zchinwali. In Kiew war es die Opposition vom Maidan, die zu Recht den Rücktritt des Janukowitsch-Regimes forderte, den Bogen aber weit überspannte, als sie das Abkommen vom 21. Februar nicht einhielt.

Und es war, nicht zu vergessen, die Europäische Union, die in einer Naivität ohnegleichen mit Janukowitsch verhandelte, ohne diesem auch wirklich eine vernünftige Gegenleistung für die EU-Orientierung des wirtschaftlich heruntergekommenen Landes anbieten zu wollen. Von einem wirksamen Schutz vor russischer Erpressung ganz zu schweigen. Auch die USA und die NATO haben sich in Kiew nicht gerade mit dem Ruhm außenpolitischer Weitsicht bekleckert. In Kiew wie in Tiflis traf der Moskauer Schachgroßmeister auf Murmelspieler aus dem Westen.

Altbundeskanzler Schröder, ein in Sachen Putin gewiss fragwürdiger Zeuge, hat aber dennoch Recht, wenn er sagt: „Die EU hat einen Fehler begangen, als sie die kulturell gespaltene Ukraine vor Wahl zwischen sich und Russland gestellt hat.“ Der Maidan hatte eben nicht die Mehrheit der Ukrainer vor allem in den Regionen hinter sich. Es war doch zu erwarten, dass ein dreister Putin dies gnadenlos ausnützt würde. Oder etwa nicht?

Es wird Jahre dauern, den euro-politischen Flurschaden zu beheben. Und es wird die Steuerzahler der EU teuer zu stehen kommen. Ganz abgesehen davon, dass die Menschen in der Ukraine einen noch größeren Schaden zu tragen haben. Die Spaltung des Landes scheint auf absehbare Zeit zementiert: mit Moskauer Beton. Der Westen darf am Ende nur den Verputz liefern.Auch dies eine Parallele zu den Ereignissen in Georgien 2008.

Die EU braucht für eine stabile Außenpolitik wieder besonnene Diplomaten und keine missionierenden Fahnenschwenker auf irgendwelchen Plätzen der Welt. Politiker, die ihre Aktionen und Strategien rechtzeitig mit allen internationalen Mitspielern abstimmen. Diplomaten, die auch die Interessen der Gegenseite in ihre Überlegungen einbeziehen. Politiker, die sich wieder auf den alten Grundsatz besinnen, nach dem Politik nichts anderes ist als die Kunst des Möglichen. Maidan-Romantik und markige Sprüche a la McCain gehören nicht zum Handwerkszeug einer besonnenen Außenpolitik.

Vielleicht hilft der alte lateinische Spruch: „Quid quis agis, prudenter agis et respice finem.“ Was immer Du tust, tu es klug und bedenke das Ende.“