Der Patriarch in der Zwickmühle

Kommentar zur Diskussion um die Weihnachtsbotschaft des Patriarchen

Hat Ilia II., seit 1977 Oberhaupt der georgischen Orthodoxie, die nicht einmal von ihm selbst vorgelesene Weihnachtsbotschaft selbst geschrieben oder wurde sie ihm von seinem Umfeld mehr oder weniger diktiert? Ist der Patriarch noch sein eigener Herr oder längst Spielball von ultrakonservativen Kräften im Patriarchat oder gar Opfer einer Intrige, wie in georgischen Medien bereits spekuliert wurde? Diese Fragen sind durchaus berechtigt, denn der teilweise unversöhnliche Tonfall der Weihnachtsbotschaft will so gar nicht zum dem Bild des ausgleichenden Kirchenfürsten passen, das der jetzt greise Mann in fast vier geschichtsträchtigen Jahrzehnten abgegeben hat. Nicht umsonst führt Ilia II. in Meinungsumfragen die Rangliste der vertrauenswürdigen Persönlichkeiten Georgiens mit weitem Vorsprung an. Seine vermittelnde Rolle hinter den Kulissen der politischen Grabenkriege seit den Zeiten Schewardnadses bis heute hat dem Land in schwierigen Zeiten immer wieder geholfen. Zu Sowjetzeiten war er so etwas wie die nationale Symbol- und Integrationsfigur Georgiens. Das alles trug zu seiner bisherigen Popularität und Autorität bei, die jetzt aber erstmals offen infrage gestellt werden. Das gab es noch nie in Georgien!

Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich das Patriarchat ganz im Gegensatz zur weisen und ausgleichenden Art Ilias II. mit Stellungnahmen und Aktionen aufs politische Glatteis begeben hat, ausrutschte und hinterher versuchen musste, den Schaden einigermaßen in Grenzen zu halten. Das war im Mai letzten Jahres anlässlich der Ausschreitungen bei den Demonstrationen gegen Homophobie so, als ultra-orthodoxe Kleriker an der Spitze von Übergriffen gegen Demonstranten standen und der Patriarch später in einer Stellungnahme die Wogen glättete. Die Weihnachtsbotschaft ist nur eine Wiederholung desselben Szenarios, angereichert um die Themen Leihmutterschaft und künstliche Befruchtung.

Der dritte Fall in jüngster Zeit: Eine Stellungnahme des Patriarchen zu den geplanten Änderungen der Kommunalverfassung, die den Kommunen und Gebietskörperschaften erheblich mehr politische Freiräume von der Zentralregierung bringen soll. Der Patriarch sah darin einen Anschlag auf die Einheit Georgiens, sprach von der Gefahr weiterer separatistischer Bewegungen und empfahl von der Kanzel der Kathedrale gar, das Gesetz nicht zu verabschieden. Ein Sturm der Entrüstung auf Seiten von NGOs, die sich der Rechtsentwicklung in Georgien verschrieben haben, war die Folge. Regierungschef und Parlamentspräsident mussten beim Patriarchen antreten, um das Feuer rasch auszutreten, das dieser entfacht hatte. Oder entfachen musste?

Kurze Rückblende in die jüngere Geschichte: Ilia II. war zu Sowjetzeiten noch Vizepräsident des Weltbundes der Kirchen. Nach dem Zerfall des Kommunismus musste er auf Druck der Mehrheit seiner Bischöfe und Äbte aus dem Weltbund austreten, dem der erzkonservative Klerus zu viele ökumenische Umtriebe unterstellte. Um die Einheit seiner georgischen Kirche nicht zu gefährden, hat Ilia damals den Bruch mit den Weltkirchen vollzogen, obwohl man annehmen darf, dass er selbst ganz anders entschieden hätte.

Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass sich hinter der nach außen geschlossenen Front der Orthodoxie bereits jetzt schon ein Machtkampf um die Nachfolge Ilias abspielt, bei dem die Hardliner anscheinend immer wieder einmal den Ton vorgeben. Die Entwicklung der georgischen Gesellschaft wird nicht unwesentlich davon abhängen, wie sich die georgische Kirche in den nächsten Jahren gesellschaftspolitisch positioniert. Ob dem Nachfolger Ilias eine ähnliche Autorität in breiten Schichten der Bevölkerung zuwachsen kann wie diesem, wird nicht zuletzt von der politischen Richtung abhängen, für die sich die Mehrheit der Bischöfe und Äbte entscheidet. Mit Religion oder Glauben hat das alles recht wenig zu tun.

                                                                                                                     Rainer Kaufmann