Farewell via Facebook

Der unheimlich gewöhnliche Abgang des Micheil Saakaschwili

“In meinem Fall ist es so: Sollte ich in Haft genommen werden, wäre dies das Ende von Georgiens Integration nach Europa“ erklärte Ex-Präsident Saakaschwili einem Reporter der Washington Post Ende November kurz nach der Vereidigung seines Nachfolgers. Und er setzte noch einen drauf: Nur weil er freiwillig im Ausland bleibe und auf eine Rückkehr nach Georgien verzichte, sei gesichert, dass er nicht das Schicksal der früheren ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko erleide, deren Inhaftierung das Ende der Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine ausgelöst hat. Selektive Geschichtsschreibung. Ein Mann opfert sich auch nach seiner Amtszeit noch für sein Land auf.

Immerhin weiß man in Georgien jetzt, wo sich der Ex-Präsident aufhält, in den Vereinigten Staaten nämlich. Die letzten Tage seiner Amtszeit war er noch hauptsächlich in Europa unterwegs, wo er in Brüssel vornehmlich einigen EU-Granden aus der politischen Familie der Europäischen Volkspartei einen Abschiedsbesuch abstattete, jeweils dokumentiert mit Videoschnipsel auf der offiziellen Facebook-Seite des Präsidenten. Über Facebook informierte er sein Volk auch darüber, dass er in Brüssel mehrere Angebote angesehener Universitäten habe, die ein wissenschaftliches Forschungszentrum unter seinem Namen gründen wollten. Die Angebote prüfe er. Daneben ließ er sich beim Büchereinkauf für die geplante Präsidenten-Bibliothek ablichten. Jeden Tag bringe er einen Stapel Bücher persönlich in das Präsidenten-Flugzeug, das ihm bei seinem Europa-Tripp bis zum letzten Tag zur Verfügung stand. Die Bibliothek soll die größte und beste werden in ganz Georgien und vor allem die Ausbildung der kommenden Generationen mit gedrucktem Wissen sichern. Dass kommende Generationen ihr Wissen vermutlich übers weltweite Netz beziehen und kaum über eine Präsenzbibliothek mit mehr oder weniger zufällig ausgewählten Beständen, hat der Facebook-Präsident irgendwie übersehen. Das Präsidenten-Flugzeug kehrte nach Ende der Amtszeit Saakaschwilis ohne den prominenten Passagier zurück nach Georgien, über den Verbleib der bedeutendsten Bibliothek des Landes wurde auf Facebook allerdings nichts mehr gepostet.

Dafür begründete Saakaschwili über Facebook in einer ausführlichen Stellungnahme, warum er an der Amtseinführung seines Nachfolgers nicht teilnehmen könne und deshalb das Ende seiner Amtszeit im Ausland erlebe. Eigentlich hätte er gerne zusammen mit seiner Frau Sandra den neuen Präsidenten am Eingang des Präsidentenpalastes begrüßt, ihn durch seine künftige Residenz geführt und sie ihm dann als Institution des Staatsoberhauptes übergeben. Unter anderem weil die neue Regierung dieses in seiner Regierungszeit geschaffene Symbol der Staatlichkeit Georgiens, den Präsidentenpalast, aufgebe und einer anderen Nutzung zuführe, könne er nicht an der Vereidigung des neuen Präsidenten teilnehmen. Die übrigen Gründe – selektive Justiz und einige andere – sind bekannt. So fehlte Mikhail Saakaschwili bei der formalen Amtsübergabe an seinen Nachfolger.

Ebenfalls über Facebook meldete sich Sandra Roelofs, bis zum Nachmittag des 17. November noch First Lady Georgiens, zu Wort. Der 17. November, Tag der Vereidigung Margwelaschwilis, war ihr 20. Hochzeitstag. Eine Nachrichtenagentur zitiert den Eintrag von Sandra Roelofs so: „Am 17. November vor 20 Jahren sagte ich “Ja, ich will” zu Mischa, an einem normalen Tag, in normaler Kleidung mit einer Rose in meiner Hand. Vor zehn Jahren, im November 2003, sagte ich „Ja, ich will“ zu Georgien. Eine normale junge Frau neben einem außergewöhnlichen Mann und, wo immer ich unterwegs war, bekam ich Rosen. Heute, am 17. November 2013, ist unser 20. Hochzeitstag. Es ist kein Tag der Rosen, es ist ein Tag der Dornen und Tränen. Zu mir aufblickend fragt mich unser kleiner Junge, ob wir bald nach Hause gehen können. Voll Hoffnung und Vertrauen sage ich zu Nikuscha: `Ja, wir werden.`“. Gezeichnet ist dieser Facebook-Eintrag mit: „Sandra, in den Niederlanden.“

Wenige Tage später wurde Sandra Roelofs mit ihrem Jungen im Flugzeug nach Tiflis gesichtet. Sie ist anscheinend zurückgekehrt, während sich ihr Mann weiter freiwillig im amerikanischen Exil aufhält, um seinem Land das europäische Schicksal der Ukraine zu ersparen. So liefert Facebook die wahren Hintergründe großer geschichtlicher Ereignisse.

                                                                                                                   Rainer Kaufmann