Die Zeit der großen Lichtgestalten ist vorbei

Georgien nach dem Präsidentenwechsel
Von Rainer Kaufmann

Das hätte vor zwei Jahren niemand gewagt, vorherzusagen, dass zwei Männer Georgien regieren, die damals noch völlig unbekannt waren. Ein Geisteswissenschaftler der eine und ein Banker der andere. Giorgi Margwelaschwili, der neue Präsident, und Giorgi Gharibaschwili, der neue Premier. Beide alles andere als ausgewiesene Charismatiker, beide alles andere als erprobte Haudegen des politischen Alltags. Beide alles andere als erfahren im Umgang mit den Tücken der Macht, ihren Apparaten, den Verwaltungen, den Medien.

Und das in einem Land, in dem der mittelalterliche König Davit, den man den Erbauer nennt, auch heute noch verehrt wird, als hätte er gestern gerade seine Regentschaft beendet. In einem Land, in dem sich in den letzten zwei Jahrzehnten drei Präsidenten mit ausgesprochenen Führungsqualitäten, wenn auch von unterschiedlicher Natur, verschlissen haben: Zwiad Gamsachurdia, Eduard Schewardnadse und Micheil Saakaschwili. In einem Land, das 70 Jahre davor unter der Knute allmächtiger Sowjetführer gestanden hat. Ein Land also, das gar nichts anderes kennt, als von einer mächtigen Person und deren Netzwerken geführt zu werden.

Mit der Vereidigung Margwelaschwilis am 17. November ist alles anders geworden. Die Bevölkerung hatte im Oktober an der Wahlurne den politischen Paradigmenwechsel mit einer überwältigenden Zustimmung abgesegnet, den ihr Bidsina Iwanischwili klammheimlich verordnet hat. Ob sie das wirklich will, ob sie damit umgehen kann, ob die politische Elite andere, neue Spielregeln akzeptiert, ob die Verwaltungen in der Lage sind, Eigenverantwortung zu übernehmen, muss die Zukunft zeigen. Sicher ist es nicht.

Einen Staat und eine Gesellschaft nach europäischem Muster aufzubauen, haben Politiker aller Couleur unisono versprochen, aus Regierung wie Opposition. Ein Wagnis, dem sich noch kein postsowjetisches Land, mit Ausnahme des Baltikums vielleicht, unterzogen hat. Es ist ein großes Wagnis, bei dem alle bereit sein müssen, zu lernen. Es wird ruhiger werden in der georgischen Politik, vielleicht auch langweiliger, es wird aber auf eine völlig andere Art spannend bleiben.

Spannend wird zum Beispiel sein, wie sich Regierung und Opposition in der neuen Verfassung zurecht finden, eine Verfassung, die dem Parlament einen Machtzufluss gebracht hat, den es bislang nicht kannte. Wird die Koalition vom Georgischen Traum halten oder werden andere Machtzentren gefunden werden müssen? Wird die UNM (United National Movement) das schwere Erbe, das ihr Micheil Saakaschwili mit seinem Regierungsclan hinterlassen hat, überwinden können und sich zu einer seriösen politischen Kraft mit Programm und Verlässlichkeit entwickeln? In seinem Wahlkampf hat Davit Bakradse hierfür erste Weichen gestellt. Ein Wahlkampf ganz ohne seinen früheren Mentor Saakaschwili, ein Wahlkampf, in dem der Name Wano Merabischwili kaum gefallen ist, in dem alle anderen aus dem früheren inneren Machtzirkel der UNM so gut wie nicht in Erscheinung treten durften.

Saakaschwili blieb zwar Vorsitzender der UNM. Mehr als ein Ehrenvorsitz, ein Abschieben ohne Gesichtsverlust, war das aber nicht. Denn mit einem „Politischen Rat“, dem einzigen Gremium in der Partei, das politische Entscheidungen treffen kann, ist die innerparteiliche Demokratisierung zumindest eingeleitet. Vorsitzender des Gremiums: Davit Bakradse. Die Mitglieder werden von den Bezirksorganisationen entsandt. Ein erster Schritt in Richtung europäisches Parteiensystem?

Mit knapp 22 % der Stimmen hat sich Bakradse achtbar aus der Affaire gezogen. Im Parlament wird er, zusammen und neben Davit Usupaschwili, dem Parlamentspräsidenten vom Georgischen Traum, eine gewichtige Rolle zu übernehmen haben. Dass die beiden, wie Usupaschwili kurz vor der Wahl zur Überraschung vieler erklärte, privat gut befreundet sind, kann dabei nur hilfreich sein.

Hilfreich ist sicher auch, dass das Jahr der Kohabitation vorüber ist. Ein Jahr, in dem sich Saakaschwili und Iwanischwili nichts geschenkt haben und ihrer gegenseitigen, abgrundtiefen Abneigung freien Lauf ließen. Regierung und Parlament müssen sich aufeinander einspielen. Oder wird sich die Prophezeiung Saakaschwilis bewahrheiten, der kurz vor den Wahlen erklärte, der Regierung stehe mit dem größeren Einfluss des Parlaments eine Hölle bevor? Er habe die Regierung immer davor bewahrt, vom Parlament allzu sehr kontrolliert zu werden. Ein seltsames Demokratieverständnis. Diese Zeiten sind vorbei.

Spannend wird auch sein, wie die geplante Dezentralisierung der Verwaltung greifen wird, die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die regionalen Ebenen. Wird die Vision von Tea Tsulukiani, der Justizministerin, einmal Realität, nach der Institutionen nicht mehr von Personen abhängen dürfen sondern von einer funktionierenden demokratischen Struktur? Die erste Antwort darauf kann die Regierung bei der Ernennung der Gouverneure geben und beweisen, ob sie Sachkompetenz über parteipolitische Zugehörigkeit und Loyalität stellt.

Langweilige Frage? Vielleicht. Aber für die Zukunft Georgiens sind diese Fragen und die Antworten, die irgendwann einmal drauf gegeben werden, sicher viel wichtiger und spannender als die Frage, die die Medien im In- und Ausland derzeit fast ausschließlich bewegt: Was wird aus Mikhail Saakaschwili?