Aktueller Kommentar von Rainer Kaufmann
Die Medien der Welt sind sich offensichtlich einig: Es gibt wieder einmal neue Spannungen an der georgisch-russischen Grenze. Sogar die „EU zeigt sich über die jüngsten Kämpfe an der georgisch-russischen Grenze besorgt“, wie ein Sprecher EU-Außenpolitikbeauftragten Catherine Ashton am Donnerstag in Brüssel erklärte. Der österreichische Standard, sonst eigentlich ein besonnener Beobachter der Vorgänge im Kaukasus, übernimmt mit dieser Formulierung einen Agenturtext. Und BBC titelt online: „Georgian army operation on Russian border leaves 14 dead“. Und alle Agenturen bringen diese neuen Spannungen flugs in den direkten Zusammenhang mit dem georgisch-russischen Krieg um Südossetien im Jahr 2008.
Nach allem, was man zur Stunde aus seriösen georgischen Quellen weiß, ist wohl folgendes passiert: Ein Dutzend schwer bewaffnete Freischärler aus Dagestan, wo es regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen der russischen Ordnungsmacht und muslimischen Fundamentalisten unterschiedlichster Gattung kommt, haben sich über die Grenze nach Georgien durchgeschlagen, aus welchem Grund auch immer. Dort haben sie ein paar junge Georgier als Geiseln genommen. Über die Motivation dieser Geiselnahme ist noch nichts bekannt. Nach erfolglosen Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln wurden diese von der georgischen Polizei befreit. Bei dieser Operation starben elf Geiselnehmer und drei Georgier, zwei Angehörige einer Spezialeinheit des georgischen Innenministeriums und ein Militärarzt. Die Aktion, so die Information der georgischen Regierung von heute, ist mittlerweile abgeschlossen, die toten Geiselnehmer seien ihrer religiösen Tradition folgend bereits bestattet worden.
Eine reine Polizeiaktion, wie sie von jedem Staat der Welt in seinem Territorium durchgeführt werden muss, will er seine Bürgerinnen und Bürger vor Kriminellen schützen. Eine Aktion, die sicher auch notwendig war, damit Russland den Aufenthalt von islamistischen Aktivisten aus Dagestan in Georgien nicht etwa für eigene propagandistische Ziele einsetzen kann. Über die Schweizer Botschaft, die zwischen Georgien und Russland vermittelt, da beide Länder keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, sei Russland über alle georgischen Schritte informiert gewesen, heißt es in Georgien.
Ein Vorfall demnach, der eigentlich keine größere, weltweite Aufmerksamkeit verdient, zumindest keine, die in Zusammenhang mit der politischen Großwetterlage zu stellen wäre. Georgien hatte Ende der 90-er Jahre große Probleme mit nordkaukasischen Aufständischen, die sich auf seinem Territorium eingerichtet hatten, damals auch mit Geiselnahmen und vielen anderen unangenehmen Nebenerscheinungen. Einer Wiederholung dieser Geschichte wurde schnell ein Riegel vorgeschoben. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Daraus, von welcher Seite auch immer, irgendein politisches Propagandasüppchen zu kochen, ist ein durchsichtiges Manöver, das Beobachter klar benennen sollten. Diesen Vorgang aber in den Zusammenhang mit den Ereignissen um Südossetien und Abchasien zu stellen, ist nicht nur oberflächlich, es hat mit einer seriösen, analytischen Berichterstattung aus dem Kaukasus nichts zu tun.
Warum bei aller Sorge der EU die EUMM-Beobachter nicht unverzüglich in das georgisch-dagestanische Grenzgebiet geschickt wurden, bleibt überdies ein Brüsseler Geheimnis. Das EUMM-Mandat gilt nämlich ausdrücklich für das gesamte georgische Staatsgebiet.