Das Bistro Mercedes in Eriwan

Oder: Das Ende eines Ausflugs    

von Rainer Kaufmann    

Der Augenblick war da: Mitten im zentral-armenischen Hochland kurz vor Areni verweigert der Motor jeglichen Dienst, er war heiß geworden, zu heiß, warum auch immer. Motoren sind manchmal eigen, schon gar etwas ältere. Der Ausflug, der noch über den Selimpass zum Sewansee und dann zu den Alaverdi-Klöstern führen sollte, war somit zu Ende. Warten an einer Tankstelle auf den Evakuator, so nennt man hierzulande ein Abschleppfahrzeug. Ein Freund einer Geschäftspartnerin in Eriwan, Armen heißt er, hat ihn organisiert.

Nach vier Stunden war er dann da. Ein alter, klappriger Mercedes, der mehr als nur ein Abenteuer versprach. Die Seilwinde konnte den Wagen kaum hochziehen, zum Glück hat der in der Zwischenzeit abgekühlte Motor meines Autos wenigstens noch diese Leistung erbracht. Die Türen im Fahrerhaus klemmten, die Sicherungsgurte, mit denen das Auto fixiert wurde, waren mehrfach verknotet, sie waren also schon mehrfach gerissen. Bis Eriwan sollten sie schon halten, gewiss war das aber nicht. Der Fahrer, er sprach nur russisch oder armenisch, was die Kommunikation nicht gerade erleichterte, meisterte die Steilabfahrten statt mit der Motorbremse mit dem Bremspedal, was regelmäßig einen Minuten anhaltenden, ätzenden Asbestgeruch auslöste. Bei Anstiegen keuchte das frühere deutsche Qualitätsprodukt nur mühsam die Berge hinauf. Nach etwas mehr als einer Stunde war Eriwan erreicht. Es war 18.00 Uhr am Abend und drückend heiß.

Zwei Männer wurden herbeitelefoniert, die sich den Havaristen genauer anschauten. Eine halbe Stunde Diskussion auf armenisch, keinen Schimmer, was da alles verhandelt wurde. Ich wurde nicht eingeweiht, nicht gefragt. Erst ein Telefonat bei Armen brachte Klarheit: Der Motor, ein Turbodiesel kann repariert werden, sagen die besten Diesel-Spezialisten der Stadt, aber die Ersatzteile…. Das kann Wochen dauern. Die Zollpapiere sind nur für zehn Tage ausgestellt. Die Entscheidung war schnell getroffen: Der Evakuator muss weiter fahren bis nach Tiflis, des Abenteuers zweite Etappe stand an. Am besten sofort, am Abend noch. In der Nacht ist der Verkehr überschaubar, das Fehlen einer Klimaanlage im Führerhaus verkraftbar.

Armen, der neue Freund im Handy-Hintergrund, kam und organisierte. Der Evakuator fuhr in einen großen Werkstatthof, Schrottwagen standen herum, Bauschutt lag da, eine einzige Werkstatt war noch geöffnet, die von Simon, dem Besitzer des Evakuators. Wieder langes Gespräch unter allen Anwesenden. Jeder hat eine Meinung beizusteuern. Dann erst einmal ein armenischer Kaffee im Mercedes Bistro. Richtig, im Mercedes Bistro. An der rechten Wand der typisch kaukasischen Werkstatt, wie es sie wohl in einigen Jahren nicht mehr geben wird, eine Bank, ein paar Hocker, ein Tisch mit einer samtenen Tischdecke und über all dem ein selbst gemachtes Transparent: eine dampfende Kaffeetasse mit der Inschrift Bistro und dem Mercedes-Stern. Das Bistro sollte noch für Stunden mein Aufenthaltsort sein, von wegen sofort starten.

In der Werkstatt bastelt Simon mit seinen Mannen an einem neuen Evakuator. Ein Ford Transit, ausgenommen bis auf die Karosse, wird zur neuen Nutzung umgebaut. Früher war es ein Kastenwagen. In zwei Monaten sei er fertig, verspricht Simon. Dann hat er drei Evakuatoren, das Geschäft scheint zu blühen.

Plötzlich kommen Freunde. Ein smarter Enddreißiger mit heller Hose und hellen Schuhen, die Sonnenbrille auf dem schütteren Haupthaar und seine drei Söhne. Sie bringen zwei Plastiktüten mit, ihr Inhalt: riesige Lawasch-Brote gefüllt mit Kebab und einem gegrillten Huhn. Dazu Cola, Fanta und Wodka. In bestem Englisch erklärt mir der älteste der Jungs, man hätte heute etwas zu feiern. Sein Vater, Aschot heißt er und besitzt zwei LKW`s und ebenfalls zwei Evakuatoren, habe sich ein neues Auto gekauft, einen schwarzen Mercedes-Geländewagen, ein mehr als nur gediegenes Fahrzeug. Auf diesen neuen Mercedes wird angestoßen im Mercedes-Bistro. Was blieb anderes übrig, als mitzumachen, dem Mann und seinen Söhnen zum neuen Stern aus Zuffenhausen zu gratulieren und klammheimlich an die Zylinderkopfdichtung meines Allraders zu denken, der mich so jämmerlich im Stich gelassen hat.

Eine attraktive junge Frau kommt dazu, setzt sich an die Seite von Chatzik, das ist die Mechaniker-Allzweckwaffe von Simon, die Tafel kommt richtig in Fahrt, die elegant Gekleidete hat mit ihren Erzählungen die Tafel schnell im Griff. Simon, der bereits erklärt hatte, mich später nach Tiflis transportieren zu wollen, nippt zu meiner Beruhigung nur ganz vorsichtig an dem Wodka, und verschwindet. Weit mehr als zwei Stunden dauert die Tafel.

Die zwei Stunden waren gut investiert, nicht nur wegen des Wodkas und des wirklich guten Kebabs. Vor der Halle mit dem Mercdes-Bistro machten sich gleich vier Mann an dem alten Evakuator zu schaffen. Reifen-Muttern wurden nachgezogen, irgendwelche Verkabelungen frisch verlötet, Lampen ausgetauscht, die Signalanlage überprüft. Zusätzliche Spanngurte wurden rangeschafft, um die Fracht des alten Evakuators für den Überlandtransfer noch viel besser zu fixieren als für die kurze Gebirgsstrecke in Armenien. Und: Das ganze Fahrzeug wurde gewaschen, es glänzte richtig für die große Fahrt. Im Bistro wurde noch immer auf den neuen Mercedes von Aschot angestoßen, die zweite Flasche Wodka.

Als zu vermuten war, die Fahrt nach Tiflis könnte endlich losgehen, verabschiedete sich Simon erst einmal, er wollte zu Hause noch schnell duschen. Also noch eine Stunde warten im Bistro, bis er schließlich kam, frisch rasiert und parfumiert. Und dann noch einmal: ein armenischer Kaffee, bevor es losging, allerdings erst nach einer langen Verabschiedung von Simons Freunden und Kollegen. Ich soll unbedingt wiederkommen, den neuen Evakuator bewundern und die neue Werkstatt, in die man in einem Monat umziehen wird. Das Mercedes-Bistro zieht mit um.

Es war 23.30 Uhr, als wir dann losfuhren. Die alte Krücke vom Inlandtransport entpuppte sich plötzlich als antriebsstarker Lastesel, irgendwie müssen Simon und seine Mannen dem Evakuator eine Art Frischzellenkur verabreicht haben, während ich auf den neuen Mercedes von Aschot trinken durfte. Simon spricht ein wenig Englisch und recht gut französisch.

Sechs Jahre war er in Belgien und hat dort das Automechaniker-Handwerk gelernt. Als er zurück kam nach Armenien, erklärt er, war er der einzige im Land, der vom Geschäft mit dem Evakuator etwas verstand. Und da zur selben Zeit ein neues Gesetz heraus kam, das Abschleppen mit Abschleppseilen verbot, hat er als erster in Eriwan einen Evakuator gebaut. Seither ist er im Geschäft. Nur noch einen Kilometer dürfe man mit einem Privatwagen ein havariertes Fahrzeug abschleppen, erklärt er, danach kostet es 20.000 Dram Strafe. Eine gute Regelung, die Sache mit den Evakuatoren, denn an einem Abschleppseil hätte ich die Strecke von Eriwan nach Tiflis nun wirklich nicht zurücklegen wollen. Der Preis, soweit das von Interesse ist, war übrigens durchaus passabel, schon gar, wenn man die üppige Bewirtung im Bistro Mercedes einbezieht und die Tatsache, neue Freunde in Armenien gefunden zu haben, auf die ich mich auch in Zukunft verlassen kann. Bleibt nur die Frage, wie lange es in Tiflis dauert, eine Zylinderkopfdichtung aufzutreiben.  (Die Antwort geben wir in Kürze mit einem Foto-Bericht über eine besondere Rundreise: Die wildesten Pässe das Kaukasus.)