Eleganz und Torgefährlichkeit – Mädchenfußball im Kaukasus

Ein Bericht vom Vierländertunier der U-17 Mädchenationalmannschaft   

Von Kathrin Schneider    

Von weitem ertönt der Klassiker „Life is Life“, hoch auf der Tribüne des Dinamo Stadions wehen die Fahnen der Türkei, Aserbaidschans, Kasachstans, Georgiens und der FIFA. Kein Zweifel, hier findet heute ein internationales Fußballspiel statt. Genauer gesagt handelt es sich um die Endrunde des Vierländertuniers der U-17 Nationalauswahl: Georgien gegen die Türkei.

Doch von den schwarzen Lederjacken, die sich üblicherweise Sonnenblumenkerne kauend durch die Eingänge des Stadions wälzen, keine Spur. Eine halbe Stunde vor Spielbeginn tummeln sich lediglich rund 20 Zuschauer auf der Tribüne, bei Anpfiff sind es immerhin rund 150. Vielleicht liegt es an der Kleinigkeit, dass heute Mädchen um den Pokal ringen. Die wenigen Zuschauer allerdings warten nervös auf den Anpfiff. Hier scheint jeder jeden zu kennen. Man begrüßt sich mit Handschlag und fachsimpelt über Georgiens Chancen, das Match zu gewinnen. Fragt man nach dem Ursprung des – offensichtlich ungewöhnlichen – Interesses für die Begegnung, so lautet die Antwort meist, eine Freundin oder Schwester spiele mit. Den Ursprung für die geringe Popularität des georgischen Frauenfußballs allgemein sehen viele in der fehlenden Werbung und der geringen staatlichen Unterstützung. Die Vermutung, dass Fußball spielende Mädchen in der georgischen Mehrheitsgesellschaft weniger akzeptiert sind, weil sie dem Bild dessen, was junge Mädchen ausmachen sollten nicht in gleicher Weise entsprechen wie etwa jene, die im georgischen Ballett tanzen, weisen die Befragten entschieden zurück.

„Der Frauenfußball braucht einfach mehr Infrastruktur und mehr Sponsoren. Leider gibt es auch zu wenig Interessentinnen für diesen Sport,“ lautet Wasilis Mleradidisis Einschätzung. Er ist mit seinen zwei Brüdern hergekommen, um seine Schwester zu unterstützen. Bei soviel Interesse für den georgischen Frauenfußball hake ich nach und frage, ob die Brüder es ebenso begrüßen würden, wenn ihre Ehefrauen und Freundinnen aktiv in diesen Sport einsteigen würden. „Naja“, zögert Konstantin, „sie könnte schon Fußball spielen, aber sie darf halt nicht vergessen, dass sie elegant und schön sein soll.“ Auch die anderen zwei Brüder antworten zurückhaltend. Während sie der kleinen Schwester eine Profikarriere wünschen, sind sie sich einig, dass sich Fußball für die Partnerinnen doch nicht so gut eigne, zumal es die Frauen auch äußerlich zu ihrem Nachteil verändere, sie zu männlich mache.

Vor diesem Hintergrund unterhalte ich mich mit den georgischen und aserbaidschanischen Spielerinnen. Die Tiflisserinnen Ana Sakaridse und Nasi Dsidsiguri begeisterten sich schon früh für den Sport. „Als mein Bruder angefangen hat zu spielen, habe ich einfach mit gekickt“, erzählt Nasi. Sie sei immer besser geworden und schließlich in die U17- Nationalmannschaft gekommen.  Anfängliche Ironie hätte sich in positives Feedback verwandelt, als die Leute erstaunt feststellten, wie gut sie spielte, schildert Ana die Reaktion von Eltern und Freunden. Die Mädchen sehen ihre berufliche Zukunft im Fußball und würden dies auch gerne in ihrem Heimatland Georgien verwirklichen.

Die Fußballliebe der aserbaidschanischen Spielerinnen Suneyla Ilter, Melis Saraltin und Sabrina Ronaghi beginnt ebenso auf dem Bolzplatz oder auf der Straße, an der Seite der Brüder und Cousins. „Aber es hat lange gedauert, bis meine Eltern akzeptiert haben, dass ich zum Fußball möchte und nicht Basketball spielen oder schwimmen will“, erzählt Suneyla, die zwar einen aserbaidschanischen Pass hat und daher in der aserbaidschanischen Nationalauswahl spielt, aber in Berlin-Neukölln zu Hause ist. Warum sie gerade diese Sportart für sich ausgesucht haben, frage ich die Mädchen. „Beim Fußball kannst du alles vergessen. Probleme in der Schule, schlechte Noten. Das ist dann auf einmal alles weg und man konzentriert sich nur aufs Spiel“ antwortet Melis, die in Köln aufwuchs. Eltern und Freunde hätten sie stets unterstützt. Selbst der muslimische Glaube stand dem Sport nicht im Weg. Für Sabrina und Suneyla zählen vor allem der Mannschaftsgedanke und die „coolen Tricks“, die sie noch lernen möchten.

Wenn sie zum Fußball spielen in Aserbaidschan sind, leben sie gemeinsam mit den übrigen aserbaidschanischen Mädchen in der sogenannten Akademie, eine Art Fußballinternat für die Kaderspielerinnen, dass 2010 eigens zur Förderung des aserbaidschanischen Mädchenfußballs gegründet wurde. Federführend bei diesem Unternehmen war und ist die ehemalige deutsche Nationalspielerin und langjährige Trainerin Sissi Raith. Seit zwei Jahren arbeitet sie als Trainerin der U-17 Mädchennationalmannschaft in Baku. „Bevor ich kam, gab es dort nichts, keinen Spielbetrieb, keine Mannschaften. Wir haben buchstäblich bei Null angefangen. Diese Idee, in einem Land wie Aserbaidschan so etwas aufzubauen war so verrückt, das musste ich einfach machen. Ich hätte es sonst immer bereut“, schildert sie ihre Beweggründe. Bis September 2012, wenn Aserbaidschan Austragungsort der U-17 Weltmeisterschaft der Mädchen sein wird, wirkt sie am Aufbau einer tragfähigen Fußballstruktur mit. Und ihre bisherige Bilanz fällt positiv aus: Landesweite Scoutings, integrierte Trainings mit den Eliteteams der Jungen und intensives Coaching im Rahmen der Fußballakademie tragen Früchte. Der aserbaidschanische Mädchenkader ist wahrscheinlich der am stärksten trainierte und geförderte der gesamten Region. Raiths Wunsch für die WM im Herbst: „Uns möglichst teuer verkaufen und zeigen, dass wir in zwei Jahren ein Fundament aufgebaut haben, auf das man stolz sein kann. Ich hoffe, dass so noch viele Frauen und Mädchen zum Fußball spielen motiviert werden.“

Leider heißt der Sieger dieses Finales weder Aserbaidschan noch Georgien. Die Türkei wird ihrer Favoritenrolle gerecht und erzielt das entscheidende Tor in der 81. Minute. Dennoch ist bei den Georgierinnen die Freude über den zweiten Platz und die eigene gute Leistung unübersehbar. Und außerdem: Sonnenblumenkerne gab es auch. Der Frauenfußball im Kaukasus ist auf dem Weg.

 

 

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