Rückblende: Ein Stadion im Candlelight

Über ein Fußballspiel der ganz anderen Art   

von Rainer Kaufmann   

Es hätte ein ganz großes Fußballfest werden sollen, das EM-Qualifikationsspiel zwischen Georgien und Russland im Oktober 2002. Ein Sportereignis, das von beiden Seiten dazu auserkoren war, die politisch-propagandistischen Spannungen zwischen den Ländern zu überspielen. Staatspräsident Schewardnadse war im Stadion, der Vorsitzende des russischen Föderationsrates Sergej Mironow und der nordossetische Präsident  Alexander Dsassochow, früher ein enger Mitarbeiter Gorbatschows und damit wohl auch ein Vertrauter Schewardnadses. Und das alles im nagelneuen Lokomotive-Stadion, einem richtigen Schmuckkästchen, finanziert von der staatlichen georgischen Eisenbahn. Dem Staatschef war das Spiel so wichtig, dass er sich tags zuvor in einem Telefonat mit dem Nationaltrainer ausführlich über den Stand der Vorbereitungen erkundigt hatte. Und die Sportzeitung Tribüne, die im Stadion kostenlos verteilt wurde, zierte eine Karikatur, in der ein frisch gelockter Schewardnadse einem etwas trostlos dreinschauenden Torwart Putin mit strammen Schuss das Leder im Netz versenkt.

Der Präsident des russischen Fußballverbandes, Wjatscheslaw Koloskow, hatte noch am Vorabend davon gesprochen, dass seine Delegation keinerlei besonderen Sicherheitsmassnahmen von Tiflis verlangt habe, da man doch zu „engen Freunden“ gekommen sei. Trotzdem sorgten unübersehbar einige Tausend Polizeibeamte für Ordnung und Sicherheit.

Und dann der große Knall in der 39. Minute: Ausfall der Flutlichtanlage. Totale Dunkelheit, die von Tausenden von Feuerzeugen und brennenden Programmheftchen nur spärlich aufgehoben werden konnte. Ein Stadion im Candlelight. Nach wenigen Minuten konnte die Flutlichtanlage wieder angefahren werden. Allerdings: Pünktlich mit dem Pausenpfiff ging sie wieder in die Knie und versagte vollkommen. Was als sportlich-friedliches Ende im georgisch-russischen Propagandakrieg der letzten Wochen gedacht war, geriet zur größtmöglichen Blamage für das Land und vor allem seinen Präsidenten, der zusammen mit einigen Ehrengästen aus Russland das Stadion in völliger Dunkelheit verlassen musste. Dem Publikum wurde nichts mitgeteilt, es durfte in der Finsternis über eine Stunde ausharren, bis Ehrengäste und Kicker den Stadionbereich verlassen hatten und die Sicherheitsorgane es wagten, die Schleusen zu öffnen.

Natürlich war sofort von Sabotage die Rede, von finsteren Mächten, die die Regierung blamieren oder gar stürzen wollten oder eben einfach nur etwas dagegen hatten, dass da entgegen aller Medienhysterie, die politische Spannungen auf den Rasen übertragen wollte, nichts anderes stattfand als ein  Sportwettkampf zweier Profiteams in erstaunlich freundschaftlicher Atmosphäre.

Was war geschehen? Nach einem Tag schon erbrachten die technischen Untersuchungen ein klares Bild: Der Grund für den Ausfall der Flutlichtanlage ist wohl eher in einer unglückseligen Kette von Schlampereien bei der Installation und beim Betrieb der elektrischen Anlage des Stadions zu suchen. Die Stromversorgung ins Stadion war nachweislich nicht unterbrochen wie auch die gesamte Stadt an diesem Abend mit Strom versorgt worden war.

Der Erst-Schaden entstand im Stadion-internen Elektrosystem, das wenige Tage zuvor erst von der türkischen Lieferfirma gestestet worden war. Bis zu diesem Punkt der Ereignisse ist eigentlich alles noch normal abgelaufen, ein technischer Schaden kann überall auf der Welt passieren. Aber der weitere Fortgang der Geschichte, soweit er rekonstruiert werden konnte, ist nicht nur für den Kenner des Landes mehr als nur pikant.

Nach Auskunft von Elektrizitätsexperten hätte man den Spannungsregulator mit einer einfachen Schaltung relativ leicht und in wenigen Minuten reparieren können. Aber anscheinend war kein entsprechend erfahrener Fachmann vor Ort und es gab keine technischen Instruktiontn auf georgisch, englisch oder russisch, nur auf türkisch und im Augenblick der Katastrophe war niemand zugegen, der dieser Sprache mächtig war. Pikant ist auch, dass das Lokomotive-Stadion, wie der Name vermuten lässt, auf der Bilanz der staatlichen Eisenbahnverwaltung steht, die es finanziert und gebaut hat. Und diese sollte, wie man vor dem Fußballspiel annehmen durfte, doch etwas von Elektrizität und dem Umgang mit derselben verstehen.

Innerhalb weniger Minuten aber konnte der Generator gezündet und die Flutlichtanlage wieder hochgefahren werden. Allerdings nur für wenige Minuten, denn der Generator war völlig unzureichend belüftet, lief nach nur kurzer Zeit heiß und gab den Geist auf. Den Probelauf des Generators, wenige Tage zuvor unter Aussicht türkischer Ingenieure, hatte man bei offenen Türen des Generatorenhauses gefahren, wie es die technischen Vorschriften besagen. Da aber im Vorfeld des Spiels Propagandisten beider Länder die Stimmung angeheizt hatten, hatte der zuständige Sicherheitsoffizier angeordnet, die Türen des Generatorenhauses zu schließen, um den Generator vor einem eventuellen Terrorangriff hysterischer Fans zu schützen. Ein Treppenwitz mit Folgen.

Erstaunlich war, wie ruhig und gelassen die rund 20.000 Fußballfans, die zwischen zehn und 50 Lari für ein Ticket zu zahlen hatten, den Abbruch des Spiels hinnahmen. Lediglich ein paar Jugendliche, die kein Ticket mehr erstehen konnten und vor dem Stadion warteten, haben den Bus mit den russischen Fußballern mit Steinen und Eiern beworfen, ein Vorgang, den der Präsident des russischen Fußballverbandes mit der Bemerkung herunterspielte, so etwas komme in allen Stadien der Welt vor. Auch die georgischen Sicherheitsbehörden lobten unisono die Disziplin der georgischen Fans, die sich wegen des Spielabbruchs zu keinerlei Provokationen hätten hinreißen lassen.

Im russischen Fernsehen wurde der ganze Vorfall jedoch völlig anders bewertet. Die „Ereignisse von Tiflis“ waren einem russischen Staatssender rund zwei Stunden nach dem Stromausfall sogar eine 20-minütige Sondersendung mit einigen Live-Schaltungen nach Tiflis wert. Dabei wurde immer wieder die einzige Einstellung gezeigt, als ein Wurfgeschoss den Bus der russischen Nationalmannschaft traf. Und ein Telefon-Interview mit einem Reporter direkt am Flughafen beim Einchecken zum Charterflug nach Wolgograd erweckte gar den Eindruck, die russischen Spieler hätten Georgien aus Sicherheitsgründen Hals über Kopf verlassen müssen. Tatsache ist, dass die Kicker bereits zwei Stunden vor dem Spiel um 18.00 Uhr im Sheraton-Metechi-Palace ausgecheckt hatten, ihr sofortiger Abflug nach dem Spiel war Wochen vorher schon geplant, da in Wolgograd wenige Tage danach ein weiteres EM-Qualifikationsspiel auf dem Spielplan stand. Aus diesem Grund lehnten die Russen auch eine Wiederholung des Georgienspiels sofort am Sonntag, wie es in den UEFA-Statuten vorgesehen ist, ab. Die Wiederholung fand dann im März statt. Diesmal ohne Stromausfall und mit einem Sieg der Georgier. Das Vorspiel zum Nachspiel allerdings, die Verhandlungen der beiden Fußballverbände in Moskau, musste übrigens auch unterbrochen werden. Dieses Mal wartete der russische Fußballverband mit einem Stromausfall auf.

Quelle: www.georgien-news.de