Wie sieht die Stadt von morgen aus?

Internationales Forum in Tiflis   

Wenn man die Entwicklung einer jährlichen Konferenz zum Maßstab nimmt, dann hat Tiflis in den letzten fünf Jahren einen Quantensprung ohnegleichen gemacht. Im Jahr 2007 trafen sich im Rahmen der Städtepartnerschaft Saarbrücken-Tiflis nicht einmal 50 Personen aus beiden Städten zum ersten lokalen Wirtschaftsforum. Aus dieser kleinen Veranstaltung wurde mittlerweile ein jährlicher, internationaler Kongress, veranstaltet vom Amt für Wirtschaftsförderung der Stadtverwaltung Tiflis, das „Tbilisi-LED – Local Economic Development Forum“. Beim sechsten LED-Forum im April des Jahres 2012 waren nahezu 600 Teilnehmer aus mehr als 25 Ländern angereist, vor allem aus dem Südkaukasus und Osteuropa, aber auch aus Asien, Afrika und Nordamerika. Von den georgischen Medien besonders beachtete Teilnehmer waren die Bürgermeister von Kairo und Ramciel, der Hauptstadt des neu gegründeten Staates Südsudan. Sie alle wollten in der georgischen Hauptstadt Erfahrungen, Visionen und Lösungen für die Stadtentwicklung der nächsten Jahrzehnte austauschen.

Gigi Ugulawa, der Bürgermeister von Tiflis, stellte den Konferenzteilnehmern vor allem die Erfolge der letzten Jahre in der georgischen Hauptstadt vor: Bürokratie und Korruption wurden erfolgreich bekämpft. Alle Verwaltungsvorgänge werden elektronisch vorgenommen, auf Webseiten sind alle für die Bürgerschaft notwendigen Informationen abrufbar. Tiflis habe sich zu einer auch im globalen Maßstab wettbewerbsfähigen Stadt entwickelt mit einer fortschrittlichen Vision, integriert in den internationalen Dialog, nicht zuletzt durch diese jährliche Konferenz.

Über 70 % der Weltbevölkerung werden im Jahr 2015 in Städten leben, zwei Drittel davon in Städten mit etwa ein bis zwei Millionen Einwohnern, erinnerte Silke Klöver von der Deutschen Botschaft Tiflis in ihrem Grußwort die Forumsteilnehmer. Dies erfordere weltweit neue Formen der Urbanisation, wenn die Bedürfnisse der Bevölkerung auch wirklich erfüllt werden sollen. Die Konferenz wird seit Jahren vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit über die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) gefördert.

Das zweitägige Forum beschäftigte sich mit allen Fragen der Stadtentwicklung vom Image einer Stadt und ihrer   Wettbewerbsfähigkeit über die Lebensqualität für ihre Bewohner, die Verbindung mit den sie umgebenden Regionen, die bürgerschaftliche Teilhabe an städtischen Angelegenheiten bis zur weltweit anerkannten Forderung nach Good Governance, verantwortungsvoller  Regierungsführung also. Dabei machte vor allem die Europäische Union in verschiedenen Beiträgen klar, dass sie den internationalen Dialog nicht nur mit den Zentralregierungen pflegt, sondern verstärkt Gewicht darauf legt, mit den lokalen Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen zusammen zu arbeiten. Denn diese sind nicht nur Ausführungsorgane staatlicher Zentral-Strategie, sie erfüllen auch eine wichtige, eigenständige und in Zukunft immer wichtigere Rolle in der Entwicklung nationaler Politik.

In einem der über 20 Foren der beiden Tage ging Dr. Petra Templat, die GIZ-Programmdirektorin für die Kommunalentwicklung im Südkaukasus, noch viel weiter. Sie forderte eine direkte Einbeziehung der Bürgerschaft in alle kommunalen Entscheidungsprozesse, zum Beispiel bei der Aufstellung eines Haushalts. „Die Stadt von morgen hat keine Zukunft ohne die Einbindung der Öffentlichkeit in politische Entscheidungsprozesse“. Zur Überraschung vieler ergänzte Ahmed Eiweida, Chef der Weltbank-Mission in Georgien, dass Tiflis auf dem besten Wege sei, diese Vision umzusetzen.

In einem anderen Forum ging es um die Ansiedlung von Unternehmen, in Georgien ein großes Thema, wirbt doch das Land weltweit um Investoren. Mariusz Sagan, der Chef der Unternehmensförderung in der polnischen Stadt Lublin, hielt diesem Schielen nach ausländischen Investoren eine ganz andere Strategie entgegen: Erste Priorität hat in Lublin die Förderung lokaler Unternehmer, vor allem die Unterstützung bei der Unternehmensgründung. „Wer neue Unternehmen ansiedeln will, muss ihnen die Erfolgsgeschichten vorhandener Unternehmen erzählen können“, ergänzte der Schotte Douglas Clark, Chef einer britischen Unternehmensberatung. Uta Beyer von der Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Georgien fasste die Motivation deutscher Unternehmen, sich in Georgien niederzulassen zusammen in dem Satz: „Es sind die Leute von Georgien, die es wert sind, hier zu investieren.“

Entscheidend für die Attraktivität einer Stadt auch bei der Frage der Unternehmensansiedlung sind neben der Infrastruktur und der Qualität der Arbeitskräfte vor allem Fragen der Ökologie und Umwelt. Von städtischen Zusammenballungen gehen einerseits große Umweltbelastungen aus, andererseits verliert jede Stadt an Wettbewerbsfähigkeit, deren Umweltbilanz nicht stimmt. Rechtzeitig zum LED-Forum legte die Tifliser Sektion der weltweiten Organisation GEO-Cities (GEO = Global Environmental Outlook) eine Bestandsaufnahme der Umweltsituation von Tiflis vor. Das 100-seitige, von unabhängigen Fachleuten nach internationalen Standards erarbeitete Kompendium listet in allen statistischen Details die derzeitige Umweltsituation von Tiflis auf und macht konkrete Vorschläge, die alles andere als gut zu bezeichnende Umwelt-Bedingungen in der Stadt zu verbessern. Vor allem wird ein intensivere Beobachtung der  Umwelt-Situation gefordert und eine schonungslose Information der Bevölkerung. Ein erster, wichtiger Schritt zur geforderten Bürgerbeteiligung in der Stadt der Zukunft, wenn denn die Vorschläge von GEO-Cities Tbilisi von der politischen Ebene auch umgesetzt werden.

Wie sich die georgischen Stadtplaner die Zukunft von Tiflis vorstellen, wurde in einer anderen Präsentation deutlich. Die Stiftung „New Tbilisi“ stellte die Planungen für das 200 Hektar große künftige Verwaltungszentrum im Stadtteil Didube vor. Die Vision einer Stadt, die Dich liebt, wie der Slogan von Tiflis verspricht: „Tbilisi – the city that loves you“. Übrigens: Das Thema Denkmalschutz fand auf dem LED-Forum über die Stadt von morgen nicht statt.