Mehr als 800 Jahre Beziehungen zwischen Deutschland und Georgien

In diesen Tagen ist in Tiflis viel von 20 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Georgien die Rede, genauer gesagt von der „Wieder“-Aufahme diplomatischer Beziehungen Anfang 1992. In der April-Sonderausgabe zu diesem Jubiläum hat die Kaukasische Post den Bogen weiter gespannt. In einer viel beachteten Titelstory hat sich der Historiker Volker Venohr mit manchen Aspekten der deutsch-georgischen Beziehungs-Geschichte beschäftigt.

 

Beziehungen zwischen Deutschen und Georgiern bestehen seit etwa 800 Jahren und in vielerlei Hinsicht. Nicht nur auf kulturellem Gebiet, in Wissenschaft und Technik, in Wirtschaft und Politik, sondern auch im Feld der Diplomatie und des Militärs ist die gemeinsame Geschichte voller Wechsellagen, von der Idee der Verschmelzung bis zur völligen Abschottung beider Nationen kann die Geschichte berichten.
So mag man es kaum glauben, dass die Idee einer georgischen Monarchie mit einem König aus dem Haus der Hohenzollern an der Spitze selbst in georgischen Kreisen Anfang des 20. Jahrhunderts ernsthaft diskutiert wird. Wilhelm II. gibt sich als Freund Georgiens, ihn treibt die Vorstellung um, einen seiner Verwandten oder gar einen seiner Söhne auf den Thron eines „Königreichs Georgien“ zu setzen. Sein Kanzler, Theobald von Bethmann-Hollweg, verfolgt andere Gedanken. Ihm schwebt die Bildung einer Reihe von Pufferstaaten in Transkaukasien vor, zu denen er auch Georgien zählt. Mit einem solchen Staatengürtel kann Russlands Einfluss nach Süden blockiert werden.

In den Plänen der deutschen Militärführung spielt der Kaukasus vor dem Ersten Weltkrieg zunächst keine Rolle. Erst im Verlauf des Krieges gewinnt die Region südlich des Kaukasus für das deutsche Militär wegen seiner Rohstoffe und Bodenschätze zunehmend an Bedeutung. Die gigantischen Verluste in den Materialschlachten in Verdun und an der Somme, die zahlreichen vergeblichen Offensiven der kaiserlichen Armee in Frankreich, die Hungerkatastrophe im „Steckrübenwinter 1916/17 in der Heimat, aber auch das durch den Zusammenbruch des Zarenreichs 1917 entstandene Machtvakuum in der Südkaukasusregion bewirken ein Umdenken bei der deutschen Militärführung. Ist nicht der Südkaukasus das Tor nach Afghanistan und Indien? Dort trifft man England an seiner weichen Stelle. Und man kommt dem Gegner im Wettlauf um Rohstoffe zuvor. Durch den deutschen Vormarsch in der Ukraine, auf der Krim und die verstärkte Anwesenheit deutscher Marineeinheiten auf dem Schwarzen Meer entbehren diese Ideen noch nicht einmal eines realen Kerns. Nun erweist es sich als sehr nützlich, dass Deutschland das Nationalkomitee zur Befreiung Georgiens finanziert. Es existiert bereits ein Vertrag, in dem das Nationalkomitee Deutschland im Fall der georgischen Unabhängigkeit handfeste Unterstützung zusagt. Und seit mehreren Jahren transportiert Deutschland zur Unterstützung georgischer Nationalisten und zur Destabilisierung der russischen Herrschaft immer wieder Waffen, Munition und Sprengstoff mit Unterseebooten an die georgische Schwarzmeerküste. Georgien kann nun die Funktion eines Brückenkopfs nach Asien übernehmen und Bodenschätze liefern.

Hinzu kommt, dass der türkische Bündnispartner zu sehr seine eigenen Interessen verfolgt und den abziehenden russischen Truppen eigenes Militär folgen lässt. Das Vorrücken türkischer Streitkräfte über die im März 1918 im Friedensvertrag von Brest-Litowsk festgelegten Grenzen auf russisches Territorium kann das deutsche Reich nicht mehr unwidersprochen hinnehmen. Nun muss Berlin handeln und es handelt.
Die Verstimmung mit dem türkischen Bündnispartner führt zu verstärkten diplomatischen Kontakten zwischen Deutschen und Georgiern. Man erkennt, dass die Bedingungen zur Gründung eines unabhängigen georgischen Staates äußerst günstig sind. Graf von der Schulenburg, der bereits 1911 Generalkonsul in Tiflis war, wird erneut nach Georgien entsandt. Schulenburg führt intensive Gespräche mit den georgischen Partnern. Schnell wird klar, dass deutsche Streitkräfte in Transkaukasien gebraucht werden, um dem Streben der Türkei nach Besetzung des Territoriums wirksam zu begegnen. Auf Drängen der Vertreter Deutschlands ersucht der Georgische Nationalrat am 14. Mai 1918 das Deutsche Reich offiziell um Schutz und Hilfe. Am 25. Mai 1918 landen 3.000 deutsche Soldaten in Poti. Nun sind die Voraussetzungen geschaffen: Georgien erklärt am 26. Mai 1918 seine Unabhängigkeit. Der deutsche Literat und Chefredakteur der Kaukasischen Post, Arthur Leist, versichert den Georgiern beim Festbankett zur Unabhängigkeit die Freundschaft des gesamten deutschen Volkes. Das Kaiserreich ist dann auch die erste Nation, die die junge Republik Georgien anerkennt. Schon zwei Tage später schließt die deutsche Regierung mehrere Abkommen mit der sozialdemokratischen Regierung Georgiens.

Der Charakter der Vereinbarungen ist bis heute umstritten. Sind es Verträge, die das junge Georgien fesseln und auf den Status eines Vasallenstaates Deutschlands herabstufen oder ist Georgien gleichberechtigter Partner des kaiserlichen Deutschland, das als Schutz- und Garantiemacht lediglich einen privilegierten Zugang zu den Ressourcen der Kaukasusrepublik erhält? Für beide Standpunkte gibt es starke Argumente. Tatsächlich erhalten deutsche Banken und Konzerne vertraglich ein Zugriffsrecht auf alle georgischen Rohstoffe. Das Deutsche Reich bekommt das Nutzungsrecht für die Eisenbahnlinien, das Recht zur Besetzung der Eisenbahnstationen, die Kontrolle und das Recht zur Nutzung des Post- und Telegrafenwesens und das Recht auf die Nutzung des Hafens Poti und des gesamten georgischen Schiffsraumes. Aber das Deutsche Reich greift nicht in die Souveränitätsrechte und die Integrität Georgiens ein.

Im Juni 1918 erreicht eine deutsche diplomatische Militärdelegation unter Führung des Generals Friedrich Siegmund Kreß von Kressenstein Tiflis. Ihr Auftrag: Kontrolle der Verkehrswege, Prüfung der Möglichkeiten einer Durchdringung des transkaukasischen Gebiets mit dem Ziel der kriegswirtschaftlichen Nutzung, Verhinderung einer türkischen Eroberung der Kaukasusgebiete, Sicherung der reichen Vorkommen an Mangan, Kupfer und Öl für die deutsche Kriegswirtschaft, Aufstellung einer schlagkräftigen Armee aus Kaukasiern für den Einsatz gegen die Engländer in Indien. Deutsche Soldaten sind nun Garantietruppen der georgischen Unabhängigkeit und Ausbilder im Aufbau eines georgischen Militärs, dem auch deutsche Kolonisten angehören sollen. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen: Krankheiten und Fahnenflucht dezimieren die ohnehin schwachen georgischen Einheiten, ihre Kampfkraft bleibt gering. Dennoch gelingt es deutschen Einheiten im Verbund mit den georgischen Truppen im Süden auf georgisches Gebiet vorgedrungene Tatarenverbände abzuwehren.

Ende August 1918 stehen mehr als 5.000 deutsche Soldaten auf georgischem Gebiet. Kreß bereitet ein Militärbündnis mit der jungen Republik Georgien vor. Als Vorbedingung müssen jedoch erst kampfkräftige Verbände aufgestellt werden. Kreß arbeitet genaue Organisationspläne für eine georgische Armee aus, zwei Infanteriedivisionen und eine Kavalleriedivision sollen das Rückgrat bilden. Innergeorgische Streitigkeiten verhindern jedoch den Aufbau einer Armee. Die Mission von Kressensteins in Georgien wird zwischenzeitlich von schweren Konflikten mit dem türkischen Bündnispartner erschwert. In Frankreich wird die militärische Lage für Deutschland immer schwieriger. Die Front kann nur mühsam gehalten werden. Das deutsche Oberkommando beschließt am 21. Oktober 1918 das Militärkontingent aus Georgien abzuziehen. Die letzten deutschen Soldaten verlassen Georgien im Dezember 1918. Truppen der Siegermächte folgen den Deutschen nach und besetzen vorübergehend die Südkaukasusregion. Die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg beendet diese dramatische Episode der deutsch-georgischen Beziehungen. Der Aufbau eines georgischen Heeres bleibt auf halbem Weg stecken. Dennoch trägt das deutsche Engagement späte Früchte: Nach Räumung des Operationsgebietes und Rückverlegung der Kaukasusarmee nach Deutschland können georgische Formationen mehrere Angriffsversuche auf ihr Territorium abwehren. Die Eigenstaatlichkeit Georgiens bleibt zunächst erhalten. Dem Einmarsch der 11. Roten Armee am 15. Februar 1921 können die Georgier allerdings nur ihren Mut entgegensetzen. Die unabhängige Republik Georgien hört auf zu existieren.

Mit der Okkupation Georgiens brechen die Beziehungen der Georgier zu Deutschland weitgehend ab. Die ehemalige Schutzmacht versinkt in Revolution und wirtschaftlichem Chaos, errichtet zögernd eine ungeliebte Republik, die nach kurzer Blüte 1933 zu Ende geht. Dann begeben sich die Deutschen in Diktatur und braunen Terror.
Die neuen Machthaber nehmen die Kriegsziele des Ersten Weltkriegs wieder auf, angereichert mit Antibolschewismus, Rasseideologie und Herrenmenschentum. Hitler sieht Deutschlands künftigen „Lebensraum“ im Osten unter rücksichtsloser Vernichtung und Versklavung der einheimischen Bevölkerung.

Am 22. Juni 1941 fällt der Startschuss für den Weltanschauungskrieg: Überfall auf die Sowjetunion. Der Feldzug trägt den Decknamen „Unternehmen Barbarossa“, ein Kreuzzug gegen „Untermenschen“ und „Bolschewisten“ soll es werden. Aber nicht zuletzt spielen im Kalkül Hitlers die Ölfelder von Maikop und Baku eine wesentliche Rolle. Auf der anderen Seite kämpfen bis Kriegsende ca. 700.000 georgische Männer in der Roten Armee in den Schlachten von Kiew, Leningrad, Stalingrad, Kursk und beim Endkampf um Berlin. Gesicherte Zahlen über Verluste gibt es nicht. Die Militärgeschichte weiß aber, dass der georgische Blutzoll über dem Durchschnitt liegt. Am 5.April 1942 erlässt Hitler die Weisung für den sogenannten „Fall Blau“, einer Offensive gegen den Kaukasus mit dem Ziel der Eroberung von Majkop, Grosny und Baku unter gleichzeitiger Eroberung der Stadt Stalingrad. Die Offensive beginnt am 28. Juni 1942. Deutsche Gebirgsjäger erreichen den Kaukasus, auf dem Elbrus weht die Hakenkreuzfahne. 40 km tief dringen deutsche Panzer auf georgisches Gebiet vor. Auf deutscher Seite kämpfen unter anderem vier georgische Infanteriebataillone aus geworbenen sowjetischen Kriegsgefangenen und Emigranten im Kaukasus. Dazu wechseln ganze Kampfeinheiten einer georgisch-sowjetischen Schützendivision Ende September 1942 die Seiten. Am Terek lassen die Deutschen einen georgischen Soldatenchor an warmen Sommerabenden Lieder über die Hauptkampflinie schmettern, eine Einladung an Überläufer. Treibstoffmangel und die Niederlage von Stalingrad zwingen die Deutschen jedoch zum Rückzug.

Schon ab 1941 wird in deutschen Kriegsgefangenenlagern nach Georgiern gesucht, die sich in einer „Georgischen Legion“ zum Kampf gegen die Sowjetunion bereit erklären sollen. Als Köder dient ein vage in Aussicht gestelltes unabhängiges und freies Georgien. Zwar gibt es nur begrenzt Bereitschaft, dennoch wird eine nicht unerhebliche Zahl von Freiwilligen angeworben. Deren Beweggründe liegen im Dunkeln, jedoch dürfte der Wille zur Rettung des eigenen Lebens das weitaus häufigste Motiv sein. Denn die Sterblichkeitsrate in den Gefangenenlagern ist extrem hoch, viele Gefangene sind nahezu verrückt vor Hunger und Erschöpfung, sowjetische Kriegsgefangene zählen zu den ersten Opfern, die in den Gaskammern von Auschwitz ermordet werden. Erst in zweiter Linie sind ideologische oder nationalistische Beweggründe anzunehmen. Sogar die Absicht, die Deutschen so bekämpfen zu können ist belegt. Trotz Eingliederung in die Wehrmacht haftet der Georgischen Legion der Verdacht der Unzuverlässigkeit an. Einzelne Einheiten werden wegen Zersetzungserschienungen 1943 wieder aufgelöst. Etwa 12.000 Georgier sollen auf deutscher Seite in der Georgischen Legion gedient haben, hinzu kommen Georgier in Bau- und Hilfsbataillonen.

Im April und Mai 1945 erleben die georgisch-deutschen Beziehungen im 20. Jahrhundert ihre wohl dunkelste Stunde. Schauplatz ist die Nordseeinsel Texel in den von Deutschen besetzten Niederlanden. Texel ist gegen Ende des Krieges militärisch bedeutungslos. Die Insel ist durch Bunkeranlagen und schwere Küstenartillerie befestigt, zur Sicherung gegen eine Invasion der Alliierten. Die Invasion hat aber längst in der Normandie stattgefunden, amerikanische Truppen stehen bereits auf deutschem Boden. Im Januar 1945 wird das Georgische Infanteriebataillon 822 auf die Insel verlegt. Es besteht aus etwa 800 Georgiern und 400 Deutschen. Auf der Insel herrscht Ruhe. Die Lage explodiert, als die Deutschen das Bataillon auf das Festland schicken wollen, damit es in den Endkampf eingreifen kann. Die Georgier erfahren von den Planungen, sträuben sich gegen einen sinnlosen Tod. Sie befürchten auch, als Gefangene an Stalin ausgeliefert zu werden, der jede Kollaboration mit dem Tod bestrafen lässt. Manch einer sieht jetzt auch die Chance zur Rache für die unmenschliche Behandlung in den Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht. Die Georgier entschließen sich zum Aufstand. Den direkten Kampf können sie ohne Waffen nicht wagen. Im Schlaf töten sie in der Nacht zum 6. April ihre ehemaligen deutschen Kameraden, mit denen sie noch vor Kurzem gefeiert haben und Wasserski gefahren sind. Sie nutzen Dolche und Rasiermesser. Die Aktion dauert nur wenige Stunden und kostet etwa 400 Menschenleben. Es gelingt den Georgiern das deutsche Hauptquartier unter ihre Kontrolle zu bringen. Nur die Küstenbatterien im Norden und Süden bleiben in deutscher Hand. Die Deutschen sind völlig überrascht, organisieren aber Gegenwehr. Die Kanonen der Küstenbatterien werden umgedreht und beschießen das Inselinnere dort, wo sich Georgier befinden oder wo sie vermutet werden. Als Hitler von dem Aufstand erfährt, befiehlt er: „Alle Georgier sofort liquidieren!“ Verstärkungen werden vom Festland her geschickt. In den kommenden Wochen entwickelt sich eine blutige und sinnlose Schlacht abseits des Hauptkriegsgeschehens. Es ist selten ein offener Kampf, eher ein Partisanenkrieg. Die Deutschen gehen rücksichtslos und gnadenlos vor, zahlenmäßig sind sie jetzt überlegen. Dort wo man glaubt, dass sich Georgier verbergen, wird auch die Zivilbevölkerung nicht geschont. Versprengte Georgier leisten hartnäckig Widerstand, verstecken sich auf der Insel. Auch als am 8. Mai das Deutsche Reich kapituliert gehen auf Texel die Kämpfe weiter. Erst am 20. Mai 1945 landen kanadische Truppen auf der Insel und beenden den Spuk. Sie zählen 2347 tote Deutsche, 470 tote Georgier und 114 tote Texelaner. Dies sind die letzten Gefallenen des Zweiten Weltkrieges in Europa.