Schuki aris – Strom ist da

Georgien auf dem Weg vom Energiemangel zum Stromexporteur

Von Daniel Nitsch    

In der Vergangenheit war Georgien Netto-Importeur von Strom. Besonders in der Zeit nach der Unabhängigkeit war die Versorgungslage mehr als nur mangelhaft, es kam immer wieder zu Stromabschaltungen, unter anderem auch, weil die mangelhafte Zahlungsmoral der Stromverbraucher immense Löcher in die Bilanz der Stromversorger gerissen hat. Stromabschaltungen gehörten damals zum Alltag. Der kollektive Aufschrei „Schuki aris“ (Strom ist da) elektrisierte das ganze Land immer dann, wenn die Versorgung mit Elektrizität wieder einsetzte.

Diese Zeit hat Georgien glücklicherweise hinter sich gelassen, die Stromversorgung funktioniert heute zuverlässig. Wenn punktuelle Stromabschaltungen vorkommen, dann dauern sie nur noch kurz und passieren sehr selten. Mittlerweile deckt Georgien seinen eigenen Stromverbrauch durch heimische Produktion, mehr noch, Strom, vor Jahren noch Ausdruck der georgischen Mangelwirtschaft, ist heute ein Exportartikel mit enormem Wachstumspotential. Immer mehr Investoren, auch ausländische entdecken den georgischen Markt.

Grund genug für die Deutsche Wirtschaftsvereinigung in Georgien (DWVG), sich in einem Wirtschaftsforum mit den neuesten Trends und Chancen im Bereich der Wasserkraft zu beschäftigen. Die Referenten waren Giorgi Kawelaschwili, stellvertretender Minister für Energie und Naturressourcen Georgiens; Nino Schanidse, Projektmanagerin bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau; Akaki Tschchaidse, Direktor im Bereich Vertrieb und Marketing von Heidelberg Zement Georgien; sowie Teona Beria, Mitarbeiterin des Georgian Energy Development Found.

Der jährliche Stromverbrauch Georgiens lag 2011 bei etwa 11 TWh (Terawattstunden), weitere 1,3 TWh wurden exportiert. Alle Nachbarländer sind mit Georgien über Hochspannungsleitungen verbunden und lassen zu Zeiten des Spitzenverbauchs Strom aus Georgien in ihre Netze einspeisen. Sogar Russland, jahrelang schlecht bezahlter Importeur von Strom nach Georgien, ist mittlerweile ein Stromkunde des Landes.

Der größte Abnehmer von georgischer Elektrizität ist die Türkei. Die türkische Wirtschaft erlebt derzeit einen Boom und die dortige Stromerzeugung kann den Bedarf nicht decken. Dazu kommt noch, dass in Georgien der Stromverbrauch dann sehr niedrig ist, wenn er in der Türkei sehr hoch ist – just in den heißen Sommermonaten, wenn Wasserkraftwerke besonders viel produzieren können, weil die Flüsse durch die Schneeschmelze im Hochgebirge viel Wasser führen.

Ein gutes Geschäft für Georgien, so gut, dass nun eine weitere Hochspannungsleitung in die Türkei errichtet wird. Die 400-KV-Leitung über Achalziche wird bis Mai fertig gestellt sein, finanziert mit rund 100 Millionen Euro durch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Derzeit werden etwa 85 Prozent des erzeugten Stroms durch Wasserkraft erzeugt, die restlichen 15 Prozent kommen aus dem Thermo-Kraftwerk Gardabani, ein Auslaufmodell. Denn in etwa sechs bis sieben Jahren finanziert, soll die gesamte Stromproduktion in Georgien aus Wasserkraft umgestellt sein.

Das große Potential für Wasserkraft in Georgien wird derzeit nur zu 18 Prozent genutzt. Etwa 300 Flussläufe bieten sich für die Nutzung an, der Staat definiert die potentiellen Standorte und erstellt Machbarkeits- und Umweltverträglichkeitsstudien.  Derzeit sind etwa 40 Kraftwerksprojekte in Arbeit, deren Fertigstellung zwischen 2014 und 2017 erfolgen soll. Diese neuen Kraftwerke mit einer Investitionssumme von 5,4 Milliarden Euro werden insgesamt 10 TWh Strom pro Jahr, das ist fast der derzeitige Jahresstromverbrauch im Land, erzeugen; die Stromerzeugung soll also bis 2018 fast verdoppelt werden. Dennoch werden weiterhin Investoren für den Bau und den Betrieb zusätzlicher Wasserkraftwerke gesucht.

Der Bau wird dann vom Staat gefördert, der zukünftige Betreiber unterliegt jedoch kaum Beschränkungen. Den Strompreis regelt der nationale und internationale Markt. Bis die Baukosten amortisiert sind – man rechnet mit sechs bis acht Jahren an – ist der Betreiber von allen Steuerverpflichtungen befreit, es wird nur ein Prozent Grundsteuer fällig. Notwendige Baugenehmigungen werden innerhalb von 60 Arbeitstagen und die Bewilligung zur Stromerzeugung innerhalb von 30 Arbeitstagen ausgestellt. Der georgische Staat unternimmt viel, um Investoren für den Ausbau der Wasserkraft anzulocken. Kraftwerke mit einer Leistung unter 13 MW, das ist der Strombedarf von 25.000 – 30.000 Menschen, benötigen diese Genehmigung zur Stromerzeugung jedoch nicht.

Die KfW vergab seit 1993 insgesamt 240 Millionen Euro Kreditvolumen im Energiesektor. Die acht Prozent Zinsen sind in Georgien sehr attraktiv, da die Kreditraten bei Banken deutlich höher liegen.

In einer zweiten Phase sollen ab 2012 neue Mittel in der Höhe von 15-24 Millionen Euro auch für größere Kraftwerke vergeben werden.

Zur Unterstützung der Investoren stehen auch zwei georgische Staatsunternehmen bereit, der Georgian Energy Development Found (GEDF) sowie die Georgian Green Energy Development Company (GGEDC). Sie minimieren das finanzielle Risiko durch staatliche Beteiligungen. Investoren fühlen sich oft sicherer, wenn der Staat gewisse Risiken übernimmt, jedoch soll immer eine Exit-Option gewahrt sein, sodass der zukünftige Betreiber unabhängig agieren kann.

Giorgi Kawelaschwili, der stellvertretende Energieminister, sieht deshalb viele Gründe für ausländische Kapitalgeber, jetzt in Wasserkraft in Georgien zu investieren. Im Vergleich zu Europa, wo Investoren oft Jahre für Bewilligungen und Gutachten „verlieren“, habe Georgien ein liberales Investitionsklima geschaffen. Der Erfolg gibt dem Land recht: Investoren aus Europa und Asien stehen Schlange.

Bei all den ambitionierten Plänen sollte nicht vergessen werden: Auch wenn die Wasserkraft eine saubere und erneuerbare Energiequelle ist, hat ihre Nutzung nachhaltige Auswirkungen auf die Landschaft. In den Alpen gibt es nur mehr wenige Flussläufe, die nicht wirtschaftlich genutzt werden, während weite Teile des Kaukasus noch unberührt sind, was besonders für Bergsporttouristen die Region attraktiv macht. Die Vertreter der georgischen Energiewirtschaft betonten, dass bei jedem potentiellen Standort umfassende Studien zu ökologischen und sozialen Auswirkungen durchgeführt werden. Im Zweifel würden Projekte dann sogar gestrichen, wie das mit dem Projekt Zablari I (siehe Info-Kasten) passiert ist. Das Wasserkraftpotential kann Georgien von Stromimporten unabhängig machen und darüber hinaus sogar wichtige Einnahmen bescheren. Problematisch bleibt aber dennoch die Frage nach einer Erhöhung der Energieeffizienz in georgien. Die vollkommene Autarkie beim elektrischen Strom ist jedenfalls positiv. Jedoch werden beispielsweise Wohnungen derzeit oft elektrisch beheizt und die thermische Isolierung der älteren Gebäude ist mangelhaft. Das führt zu horrenden Stromrechnungen im Winter, die die weniger wohlhabende Bevölkerung oft an den Rand des Ruins treibt. Auch bei Neubauten wird noch nicht genügend Wert auf Energieeffizienz gelegt. Daher wird Georgien im Winter weiterhin Elektrizität importieren müssen, wenn der Stromverbrauch hoch ist und die Kraftwerke nur wenig Strom produzieren können, weil die Flüsse wenig Wasser führen. In einer Studie der Weltbank wird Georgien die Möglichkeit bescheinigt, zumindest im Sommer so viel Strom verkaufen zu können, um damit die notwendigen Zukäufe im Winter zu finanzieren. Großes Geld verdienen ließe sich dabei allerdings noch nicht, nicht nur, weil dazu auch massive Investitionen ins internationale Leitungsnetz notwendig werden.

Doch auch diesen Plänen kann das Energieverhalten der Bevölkerung schnell den Garaus machen. Bei der Berechnung des Exportpotentials wird davon ausgegangen, dass die Spitzenzeit im Stromverbrauch der Türkei – der wichtigste Stromabnehmer – im Sommer liegt, das ist die Zeit der höchsten Produktion und dem geringsten Verbrauch in Georgien. Doch auch in Georgien gibt es ein großes Potential für hohen Stromverbrauch im Sommer: Wohlhabende Länder in dieser Klimazone verbrauchen deutlich mehr Energie für Kühlung im Sommer als für Heizung im Winter. Steigt in Georgien – hoffentlich – der Lebensstandard, dann werden auch mehr Leute Wert auf eine Klimaanlage legen, um die sommerliche Gluthitze in den Großstädten leichter zu ertragen. Das alles ist aber aufgrund des scheinbar unbegrenzten Wasserkraftpotentials noch kein Thema von offizieller Seite; man hofft also, dieses Problem durch die Erschließung noch größerer Kapazitäten in den Griff zu bekommen.

Und so positiv die Importunabhängigkeit Georgiens im Bereich der Elektrizität gesehen werden muss, sollte nicht vergessen werden, dass beispielsweise im Verkehrsbereich das Land fast zu 100 Prozent auf Erdöl angewiesen ist. Elektrisch betriebene Verkehrsmittel wie Straßenbahn und O-Bus wurden erst vor wenigen Jahren komplett durch Dieselbusse und Marschrutkas ersetzt. Und auch wenn die Bahn für den Gütertransport – speziell bei Öl aus Aserbaidschan – sehr attraktiv ist, spielt sie im Personenverkehr nur eine untergeordnete Rolle.