Georgien und Europa

Günther Verheugen sprach in Tiflis

Der Mann hat seine Vision nicht vergessen, Günter Verheugen, der als ehemaliger EU-Kommissar in den Jahren 1999 bis 2004 die Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten Osteuropas führte. Verheugen sprach in einer Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis.

Georgien ist für Europa ein Problemland, überraschte Verheugen zu Beginn seine Zuhörer, denn Europa wisse einfach nicht, was es mit Georgien anfangen soll. Ein altes europäisches und christliches Land, im EU-Niemandsland? Verheugen bemängelte, dass es in Europa derzeit keine Emotion für eine dritte Erweiterungsrunde nach Osten gäbe, wobei er die frühere Erweiterungsrunden der Jahre 2004 und 2007 als einen großen Erfolg Europas darstellte. Dabei müsse sich Europa angesichts der Veränderungen in der Welt neu erfinden, wenn es nicht von den aufkommenden Mächten marginalisiert werden wolle. Wenn Europa ein gleichberechtigter globaler Akteur werden wolle, dürfe es jetzt nicht erneut eine Grenze nach Osteuropa ziehen.

Der frühere Vizepräsident der Europäischen Kommission verwies auf die europäischen Verträge, nach denen die Teilnahme an der EU nicht das Privileg für einige sei sondern ein Recht für alle. Es sei unerträglich, dass dieses Postulat von den politischen Akteuren auf der europäischen Bühne derzeit nicht erwähnt würde: „Georgien hat einen berechtigten Anspruch auf Integration in die Europäische Union.“

Verheugen kritisierte auch, dass einige in Europa die Frage der Erweiterung nur als ein „Nebenprodukt des Verhältnisses der EU zu Russland“ sähen. Oder, dass das Instrument der Nachbarschaftspolitik nicht als ein erster, wichtiger Schritt zur endgültigen Integration gesehen würde sondern vielmehr als eine Art Ersatz für die Vollmitgliedschaft. Dafür sei die Nachbarschaftspolitik der EU aber nicht erfunden worden. Im Nachbarschaftsprogramm der EU sind Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Moldawien und die Ukraine.

Dem Beitrittskandidaten Georgien bescheinigte Verheugen große Fortschritte im notwendigen Reformprozess, denn dem Anspruch auf volle Mitgliedschaft in der EU stünden auch erhebliche Hausaufgaben gegenüber. Die klare EU-Perspektive, die sich Georgien gegeben habe, würde jetzt schon trotz aller Skepsis in Brüssel und einigen europäischen Hauptstädten den Transformationsprozess in Georgien beschleunigen. Wenn Georgien die Erwartungen der EU erfülle und sich vorbereite auf eine Vollmitgliedschaft, könne diese möglicherweise innerhalb weniger Jahre schon realisiert sein. Verheugen schloss sein flammendes Credo für Europa mit Georgien und anderen osteuropäischen Ländern mit dem Bekenntnis: „Wer die Freiheit der Völker Europas bewahren will, muss allen Völkern Europas diese Freiheit geben.“