Viele Wege führen zur Toleranz

Seminar der Naumann-Stiftung zur Religionsfreiheit in Georgien

Wenn zwei dasselbe sagen, ist noch lange nicht gesagt, dass sie dasselbe meinen. Der Vertreter des georgischen Patriarchats, der Priester David Sharashenidze, definierte religiöse Toleranz aus der Geschichte des Landes, in der andere Religionen wie Muslime oder Juden niemals diskriminiert sondern immer toleriert wurden, wobei er nicht vergaß zu erwähnen, dass während der russischen Zarenherrschaft die georgische autokephale orthodoxe Kirche vom russischen Imperator unterdrückt und ihrer Rechte beraubt worden war. Schon aus dieser historischen Erfahrung heraus sei die georgische Orthodoxie zur Toleranz verpflichtet.

Bischof Kiderlen von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien bezeichnete diesen historischen Toleranz-Begriff als eine „ethnische Toleranz“, in der die gastgebende Ethnie den zu Gast weilenden anderen Ethnien lediglich den Schutz des Gastgebers zubilligt. Für eine moderne Auffassung von Toleranz, die Respekt vor der individuellen Glaubensentscheidung von Personen einfordert, reiche diese Herleitung des Begriffs Toleranz nicht aus. Religionsfreiheit sei das erste Menschenrecht überhaupt, postulierte das Oberhaupt einer der kleinsten Kirchen des Landes.

Wie leicht hätte sich aus diesen Positionierungen heraus eine hochinteressante, theoretische Diskussion entwickeln können. Dass es dazu beim Seminar „Religionsfreiheit und Toleranz in Georgien“ der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit nicht kam, lag dann auch an den Vertretern  georgischer Religionsminderheiten, die mehr als engagiert jeweils ihre eigenen Interessen vortrugen. Der katholische Vertreter zum Beispiel bemängelte, dass die Orthodoxie mit dem 2002 geschlossenen Konkordat ihren früheren Besitz wieder erhielt, was den Katholiken im Lande verwehrt wurde. Die frühere katholische Kirche von Batumi dient bis heute als orthodoxes Gotteshaus. Ähnlich äußerte sich auch der Vertreter der armenischen Kirche in Georgien. Alle Minderheiten-Religionen bemängelten unisono, dass sie nicht denselben rechtlichen Status hätten wie die Orthodoxie.

Schwere Vorwürfe kamen von den Muslimen Adschariens, die sich einer massiven Christianisierungskampagne gegenüber sehen. Jungen muslimischen Georgiern in Adscharien würde erklärt, nur die orthodoxe Konfession sei die wahre georgische Konfession. Und wer als Georgier nicht orthodox sei, erkläre sich selbst zum Feind Georgiens. „Wir sind Georgier und keine orthodoxen Christen. Sagen Sie uns bitte: Sind wir jetzt auch Feinde Georgiens?“ war eine konkrete Frage an den Vertreter des Patriarchats.

Diskussionen gab es auch um die Frage, wie viele Moscheen die adscharischen Muslime bräuchten, wobei der Vertreter der Orthodoxie die vorhandenen islamischen Gotteshäusern als türkische Moscheen auf georgischem Territorium bezeichnete und die Frage aufwarf, warum es keine georgischen Gotteshäuser in der Türkei gäbe. Außerdem sei den Georgiern in Adscharien der muslimische Glaube während der türkischen Besatzung mit Gewalt aufgezwungen worden.

Alle Vertreter waren sich einig, der Dialog unter den Religionen im Lande sei erheblich verbesserungswürdig, wobei dann wieder unklar blieb, was denn die eine oder andere Seite unter Dialog verstehen will und von ihm erwartet. Der von allen an die Orthodoxie gerichtete Wunsch, Eheschließungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen zu erleichtern, wurde vom Vertreter der Orthodoxie dann allerdings kurz und knapp beschieden: „Das Sakrament der Ehe kann nur zwischen Menschen gestiftet werden, die beide orthodox getauft sind.“ Der Dialog zwischen den Religionen und Kirchen dürfe grundlegende theologische Positionen nicht tangieren. Es gibt eben doch verschiedene Weisen, Toleranz zu praktizieren.