Politik als Selbstinszenierung

Saakaschwili und seine exzentrischen Medienauftritte

Von Rainer Kaufmann

Egal, wie man über die politische Lebensleistung des dritten postsozialistischen georgischen Präsidenten zu urteilen gedenkt, wer die gesamte Karriere dieses Mannes aufmerksam verfolgt hat, kann auch angesichts der jüngsten Ereignisse eines nicht übersehen: Mikheil Saakaschwili – in Georgien noch immer Mischa genannt –  hat es immer verstanden, seine Politik als besonderes Medien-Spektakel zu inszenieren. Und die Liste der Vorstellungen ist beeindruckend bis hin zum Hungerstreik der vergangenen Wochen und seiner Verteidigungsrede vor dem Tifliser Stadtgericht. KaPost-Herausgeber Rainer Kaufmann hat Saakaschwili von den ersten Anfängen seines politischen Wirkens in Georgien und anderswo bis heute intensiv begleitet und erinnert sich an viele Auftritte Saakaschwilis vor und hinter den Kulissen der nationalen wie internationalen Medienwelt:

Schon meine erste Begegnung mit dem damals jungen Parlamentsabgeordneten Saakaschwili war beeindruckend. Es war wohl im Jahr 1995, kurz nach seinem Einzug ins georgische Parlament. Noch nicht einmal 30 Jahre alt, war er von Surab Schwania, dem Generalsekretär der Bürgerunion, für dieses Regierungsbündnis  Schewardnadses angeworben worden, wo er sofort Vorsitzender des Verfassungs-, Rechts- und Rechtsstaatlichkeitsausschusses wurde. Zusammen mit dem außenpolitischen Ressortleiter einer führenden deutschen Tageszeitung hatte ich damals die Gelegenheit, den jungen Reform-Politiker im Tifliser Parlamentsgebäude zu interviewen. In einem rund einstündigen Monolog erzählte uns Saakaschwili, wie er mit seiner amerikanischen Demokratie-Erfahrung sein Heimatland Georgien reformieren werde. Wohlgemerkt er persönlich, nicht etwa Eduard Schewardnadse oder dessen Regierung. Dabei war er erst im Jahr 1994 als Stipendiat in die USA gekommen, wo er kurzzeitig offensichtlich auch in einer New Yorker Anwaltskanzlei ein Praktikum absolvierte. Davor hatte er sich nach seinem Jura-Studium und anschließender Militärzeit in der Ukraine zwei Jahre in Oslo und Straßburg bei Menschrechts-Instituten aufgehalten. Aber diese kurze Zeit in den USA reichte ihm, um sich ausländischen Journalisten als „im Westen ausgebildeten und damit erfahrenen wie überzeugten Demokraten“ vorzuführen. Eine Vorstellung, die bei uns deutschen Redakteuren nachhaltigen Eindruck hinterließ, immerhin war es uns gelungen, in dem 60-minütigen Redeschwall des begnadeten Selbstdarstellers vielleicht eine oder zwei Zwischenfragen zu stellen.

Mischa und die Rose der Revolution

Die erste große öffentliche Inszenierung kam dann sechs Jahre später. Im Jahr 2001 zum Justizminister berufen, sah er nach kurzer Amtszeit schon ein, dass er in der in Reform-Angelegenheiten unbeweglichen Regierung Schewardnadses keine Erfolgschancen hatte. In einer vom Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung warf er seinen Minister-Kollegen Korruption vor, was er eindrucksvoll mit Fotos vom üppigen privaten Immobilienbesitz derselben belegte, bevor er demonstrativ die Sitzung verließ. Der in alte Netzwerke eingebundene Präsident konnte nicht anders, er musste ihn entlassen. Mischa ging in die Opposition, gewann sofort die Nachwahl eines frei gewordenen Direktmandats Im Parlament und zog mit seiner neuen Partei bei der Kommunalwahl schon ein Jahr später in das Stadtparlament von Tiflis ein, dessen Präsidium er übernehmen konnte. Und sein Parteibüro richtete er in direkter Nachbarschaft zu Parlament und Regierungszentrale ein. Wie praktisch, denn während der Demonstrationen, die zur Rosen-Revolution führten, war er als Interviewpartner für die zahlreichen TV-Stationen nahezu omnipräsent. Wann und wo immer etwas passierte, Kameras und Mikrofone konnten Mischa einfach nicht übersehen. Für die bevorstehenden Parlamentswahlen prognostizierte er mindestens 20 Prozent der Stimmen für seine Partei. „Und damit kann man in diesem Land durchaus Präsident werden“, erklärte er mir damals.

Rosen-Revolution: Mischa rund um die Uhr auf dem Schirm

Eine Inszenierung der besonderen Art war dann auch der Machtwechsel, die im Nachhinein so genannte „Rosen-Revolution“. Der Name kommt daher, dass die Anführer des Putsches gegen Schewardnadse – neben Saakaschwili noch Nino Burdschanadse und Surab Schwania – schon vor der Stürmung des Parlaments Vertrauensleute mit großen Sträußen roter Rosen in die Parlamentslobby haben lotsen lassen, die jeden, allen voran Saakaschwili, mit einer Rose bewaffneten, bevor sie in den Plenarsaal eindrangen. Und dort hatte man auch bereits Kamerateams und Fotografen eingeschleust, die Mischa abbilden konnten, als er die Tür aufriss und mit einer Rose in der Hand Schewardnadse lautstark zum Rücktritt aufforderte. Dieser sprach gerade zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode.

Die Inszenierung fing an diesem Samstag im November des Jahres 2003 jedoch schon früher an. Während sich auf den Straßen eine hochbewaffnete Staatsmacht und zehntausende Demonstranten gegenüber standen, waren enge Mitarbeiter Schewardnadses ganz offensichtlich in die Pläne eingeweiht. Der Chef des Nationalen Sicherheitsrates hatte tags zuvor in einem Interview schon deutlich gemacht, dass es zu keinen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten kommen werde. Wie auf ein geheimes Kommando lösten sich dann die Polizei-Kordons rund um Parlament und Regierungssitz auf, die Demonstranten konnten samt Medien-Begleitung ungehindert ihrem Ziel entgegensteuern. Die Türen des Regierungsgebäudes öffneten sich ebenso geräuschlos, die Demonstranten konnte es besetzen, allerdings nur in Fluren und Treppenhaus, nicht in den Büros. Die waren nach vorheriger Absprache tabu und verschlossen. Dafür konnte vom Dach des Gebäudes eine ebenso offensichtlich Tage zuvor bereits vorbereitete, überdimensionierte Fahne der Saakaschwili-Partei heruntergelassen werden. Spontan war das alles nicht, ebenso wenig die Rosen-Aktion im Parlament, aus dem der sich kaum wehrende Noch-Präsident von der eigenen Parlaments-Garde hinaus gedrängt und in ein wartendes Auto eher getragen denn eskortiert wurde. Als er dann spät am Abend im Regierungssitz Ktsanissi auf einer Parkbank noch den Notstand verkündete, kümmerte sich niemand darum. Staatsdiener und „Rosen-Revolutionäre“ feierten gemeinsam auf den Straßen der Hauptstadt das Ende des Alten. Aber die Welt hatte die Legende von einer Revolution, die in Wahrheit nichts anderes war als die Palast-Revolte eines Teils der bisherigen politischen Führung, unterstützt ganz offensichtlich von einflussreichen Sympathisanten aus dem befreundeten Ausland. Und zwei der engsten Mitarbeiter Schewardnadses fanden sich dann in hohen Positionen der neuen Regierung wieder…

Ein gutes Jahr später war Saakaschwili dann Präsident, wenige Wochen zuvor war er erst 35 Jahre geworden, das Mindestalter, das die georgische Verfassung für dieses Amt vorsah. Auch heute noch ist unbestritten: Er peitschte sofort ein Reform-Programm vor allem bei den Sicherheits- und Finanzorganen durch, das allerdings bereits zu Schewardnadses Zeiten in entsprechenden Kommissionen vorbereitet worden war. Mischa machte aber in beispielloser Radikalität sein früheres Versprechen wahr, er werde das Land reformieren. Finanziert wurde es allerdings durch großzügige Spenden eines Oligarchen im Hintergrund: Bidsina Iwanischwili. Erst als dieser, aufgeschreckt vom 2008-er Krieg um Südossetien, den Saakaschwili vom Zaun gebrochen hatte, seinen Geldhahn zudrehte, erlahmte Mischas Reformeifer zusehends. Er inszenierte sich jetzt vor allem als der neue „Erbauer Georgiens“. Nachdem er das Land nicht hatte wieder vereinen können wie sein großes Vorbild, David Aghmaschenebeli, wollt er es wenigstens architektonisch umgestalten. Überall im Land schossen neue öffentliche Gebäude wie Pilze aus dem Boden, allesamt von einem postmodernen Beton-Design, das Georgien zum Hotspot einer neuzeitlichen Architektur machen sollte.

Höhepunkt dieser erneuten Selbst-Inszenierung war ein mehrseitiger Artikel in einem holländischen Architektur-Magazin im Frühsommer 2012 mit dem Spruch auf dem Titelblatt „Saakashvili rebuilds a country“. Dieses Titelblatt lies Mischa bei verschiedenen Anlässen im Land recht großspurig plakatieren, so in Kutaissi und in der Hauptstadt. Und im Artikel selbst heißt es: „Eines Tages werden wir zurückblicken auf die `Mischa-Periode` in der georgischen Architektur“.

Landesweite PR-Kampagne: Mischa, der Erbauer

Wer aber ganz genau hinschaut bei einigen der in diesen Jahren hochgezogenen Fassaden, sieht auch heute noch, dass manchmal eben nur Kulissen gebaut wurden und keine Gebäude, die man nutzen konnte. So hat Mischas Bauboom dem Land eine ganze Reihe von   potemkinschen Straßenzügen hinterlassen und Bauruinen, für deren Entsorgung bis heute niemand aufkommen möchte. Anaklia, Lazika und Mestia sind nur ein paar Beispiele, das neue Parlament in Kutaissi oder die beiden Monster-Türme in Batumi, die Universität und der Alphabet-Turm. Beide wurden nie fertiggestellt und mussten später unter hohen Verlusten verramscht werden. Nie realisiert wurden dagegen die beiden Trump-Towers, die Mischa und Donald im Jahr 2012 Wahlkampf-wirksam mit dem Versprechen verkündeten, in fünf Jahren sei Batumi eine der besten Städte der Welt. Insider wussten damals schon, dass es sich um einen Werbegag handelte, bei dem Trump nie vor hatte, selbst zu investieren. Er soll für den Tagesauftritt mit Mischa allerdings ein mehr als stattliches Honorar kassiert haben.

PR-Partner Donald und Mischa im Jahr 2012

Und der Lizenzvertrag lediglich für die Benutzung des Namens Trump durch einen georgischen Investor  wurde im Jahr 2016 von Trumps Holding gekündigt, da der georgische Partner das Projekt noch nicht einmal angefangen hatte, zu realisieren. Mischa schob die Schuld für die Verschleppung des Bauprojektes allerdings der Regierung des georgischen Traums in die Schuhe mit dem Kommentar,  Georgien hätte das einzige Land der Welt sein können mit einem direkten Investment des damaligen künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Der georgische Investor hatte sein Zögern allerdings damit begründet, dass man nicht genügend potentielle Kunden für die beiden Wohntürme habe finden können. Soweit ein konkretes Beispiel für den Realitätssinn Saakaschwilis. Einen letzten Versuch, die Freundschaft zu seinem früheren Mentor aus den Vereinigten Staaten für sich zu reklamieren, startete er am 20. Januar 2017, dem Tag der Inauguration von Donald Trump. Vor der Kulisse des Washingtoner Kapitols sprach er per Live-Schaltung zu den 7.000 Delegierten des Kongresses seiner Partei in Tiflis. Kenner der Situation bezweifelten aber, dass Mischa wirklich bei der Inauguration anwesend war, zu den geladenen Gästen zählte er offensichtlich nicht.

Aber: Vor allem für den Wahlkampf 2012 hatte Mischa seine Erzählung von sich als neuem Baumeister Georgiens gefunden und machte eifrig Gebrauch davon. Unvergessen sein groß aufgemachter Katalog aller Baumaßnahmen im Land unter seiner Führung, der – von der Wirtschaft finanziert – rechtzeitig vor den Wahlen an alle Haushalte verteilt wurde. Oder seine geradezu manische Einweihungswut öffentlicher Gebäude und Plätze kurz vor dem Wahltermin, vollkommen egal, ob die Bauwerke fertiggestellt waren oder nicht. Ein paar Beispiele: Die Enguri-Brücke von Anaklia. Für eine TV-Inszenierung von der Einweihung wurde eigens Podest aufgebaut, auf dem er stand. Die Brücke war damals noch nicht einmal begehbar, gestand mir der Bauunternehmer, der sie später erst fertigstellte. Oder das Museum in Mestia. Mischa hat es mit großem Pomp eröffnet, für Besucher war es aber noch viele Monate geschlossen, die Baustelle war zum geplanten Einweihungstermin noch nicht fertig. Es gibt noch mehr Beispiele, zum Beispiel die beiden Röhren am Rike-Park in Tiflis, eine Konzert- und eine Ausstellungshalle. Studenten wurden als applaudierende Kulisse angekarrt, vor denen Mischa die beiden Bauwerke als großzügiges Geschenk für die Jugend übergab. Gleich danach wurde die Röhre wieder geräumt und ist bis heute nicht fertiggestellt. Das Video der Einweihungszeremonie mit studentischen Claqueuren wurde kürzlich erst im Internet wieder gezeigt.

Mischa-Architektur in Mestia

Damit diese gestellten Veranstaltungen nicht etwa einer kritischen Presse auffallen konnten, durfte bei den damaligen Wahlkampfauftritten nur ein Kamerateam des Präsidenten Aufnahmen machen. Und die wurden dann auf allen georgischen TV-Kanälen gezeigt. Sogar eine lange vorher bereits von einer Brüsseler PR-Agentur ausgeschriebene Wahlkampf-Begleitung durch europäische Journalisten wurde kurzfristig abgesagt. Mischa wollte bei diesen Einweihungen mit sich und den seinen alleine bleiben, aus guten Gründen. Ähnlich verhielt es sich auch mit einer angeblichen Besteigung des Kazbek und einer Wanderung zu einem Bergsee in der Nähe von Sugdidi, beides damals große Auftritte des Wahlkämpfers im georgischen Fernsehen. Allerdings: Ohne die Hilfe eines Helikopters hätten beide Ausflüge im dicht gedrängten Wahlkampf-Kalender niemals stattfinden können.

Mischa – das Phantom, TV-Screenshot

Eindrucksvoll auch die Selbstinszenierungen nach der verlorenen Parlamentswahl von 2012. Bis zur letzten Minute seiner Amtszeit reiste er durch die Welt, wobei er sich jeweils in Buchhandlungen zeigte, in denen er Literatur einkaufte, die er in seiner öffentlichen „Präsidenten-Bibliothek“ der georgischen Jugend als Vermächtnis hinterlassen wollte. Legenden sind auch verschiedene Aufführungen seiner „Männerfreundschaft“ mit dem neuen mächtigen Mann im Staate, Bidsina Iwanischwili. Und seine Video-Auftritte in verschiedenen Wahlkämpfen seiner früheren Partei, der UNM. Dabei hatte er längst die georgische Staatsbürgerschaft verloren und lebte im Exil.

Und dann natürlich seine Inszenierungen in der Ukraine, wo er sich zunächst als Präsidenten-Berater aufdrängte. Auch hier scheiterte er, wurde des Landes verwiesen, kam aber zurück, wobei er TV-gerecht die Landesgrenze stürmte und sich so einen illegalen Eintritt verschaffte. Auseinandersetzungen mit der Polizei samt einer Verfolgung über das Dach eines Wohnhauses in Kiew sowie Gerichtsverhandlungen und Straßen-Schlachten zwischen seinen Anhängern und der Staatsmacht gingen um die Welt. Auch als Gouverneur von Odessa scheiterte er eindrucksvoll. Und danach seine Selbstinszenierung als wichtigster Oppositionsführer der Ukraine.

Schließlich erhielt er, mittlerweile komplett staatenlos, einen Aufenthaltstitel in den Niederlanden, dem Heimatland seiner Ehefrau Sandra. Nachdem alle seine Versuche, wieder eine Position im politischen Rampenlicht vor allem in Georgien zu erringen, zum Scheitern verurteilt waren und offensichtlich auch sind, hat er sich für einen weiteren großen Auftritt entschieden, der illegalen Einreise nach Georgien, wo er sofort verhaftet wurde. Und dann kam die wohl letzte Selbstinszenierung Saakaschwilis, der wochenlange Hungerstreik, der den Kommunalwahlkampf und die Wochen danach überschattete. Ob er damit allerdings sich und seinen Parteifreunden wirklich einen guten Dienst erwiesen hat, ist jetzt schon mehr als fraglich. Die Zeit für einen ehrenvollen Abgang von der politischen Bühne ist wohl ein für allemal verstrichen.

Und jetzt erinnere ich mich an ein Treffen mit Mischas Vater kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten in einer Nobel-Villa am Stadtrand von Tiflis. Nach einem kurzen, durchaus auch ironischen Small-Talk über seinen Sohn nahm mich der Mann beiseite in den Innengarten des Anwesens. Und dort sagte er mir, was ich bis heute nicht vergessen habe: „My son now is president. But I do know: He is crazy. What shall I do?“ Und er schaute den deutschen Journalisten, der ihm wenige  Minuten zuvor erst vorgestellt wurde, lange schweigend, aber mehr als nur eindrucksvoll und vielsagend an. Eine Anekdote, die deshalb jetzt erst erzählt werden kann, weil ich vor wenigen Tagen erst erfahren habe, dass er diese Einschätzung seines Sohnes damals auch andernorts verkündet hat. Was heute davon bleibt, könnte vielleicht folgende Erkenntnis sein: Ohne diese Eigenschaft, die ihm sein Vater zubilligte, hätte Mikhail Saakaschwili wohl nie diese Karriere gemacht, mit allen Höhen und allen Tiefen. Und ohne diese Eigenschaft hätte er vermutlich auch nie die ersten Reform-Erfolge seiner Amtszeit als dritter Präsident des post-sowjetischen Georgiens erreicht, die ihm auch heute niemand streitig machen kann.

Gute Freunde: Mischa und George W.