Hintergründe zur derzeitigen aktuellen Diskussion
Das Hauptthema der großen, aktuellen Auseinandersetzung zwischen Regierung und nahezu allen Oppositionsparteien in und außerhalb des Parlaments ist die Frage, welches Wahlrecht für Georgien angemessen wäre. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das georgische Wahlrecht kaum vom deutschen. Denn jeder Wähler hat zwei Stimmen. Mit der einen wählt er einen Abgeordneten in seinem Wahlkreis, der direkt in das Parlament einzieht. Mit der anderen – in Deutschland Zweitstimme genannt – nimmt er an einer landesweiten Verhältniswahl teil und kann zwischen den Listen einzelner Parteien auswählen. Damit hat es sich dann aber mit den demokratischen Gemeinsamkeiten. Das georgische Parlament zählt 150 Abgeordnete, 73 von ihnen werden direkt in Wahlkreisen gewählt, 77 Sitze werden den Parteien über landesweite Listen entsprechend ihrer Wahlergebnisse in der Verhältniswahl zugeteilt. In den Direktwahlkreisen gilt ein Quorum von 50 Prozent, wenn nicht im ersten Wahlgang, dann in einer Stichwahl. Bei den letzten Wahlen reichte dem Georgischen Traum deshalb landesweit ein Ergebnis unter 50 %, um im Parlament trotzdem eine verfassungsändernde Mehrheit zu bekommen. Zu den 71 Direktmandaten, die ihm zustanden, kamen noch 44 Mandate aus der Verhältniswahl, so dass es am Ende 115 von 150 Sitzen waren und damit 76,7 %. Das georgische Wahlrecht benachteiligt also eindeutig die kleineren Parteien und erfüllt damit keineswegs eine der Grundforderungen eines demokratischen Wahlsystems, nach der jede Stimme schlussendlich den gleichen Einfluss auf die Mehrheitsbildung im Parlament haben muss.
In Deutschland entspricht die Sitzverteilung im Bundestag zunächst dem Verhältnis der Stimmen, die die Parteien bei den Zweitstimmen, also der Verhältniswahl, erhalten haben. Dann allerdings wird es kompliziert. Aufgeteilt auf die Bundesländer werden dann zunächst einmal die direkt erzielten Mandate vergeben und von den Listen-Mandaten pro Partei abgezogen. Der Rest wird dann über die Landesliste verteilt. Allerdings kann diese Regelung dazu führen, dass eine Partei mehr Direktmandate errungen hat als Listenmandate. Diese „Überhangmandate“ müssen dann bei anderen Parteien ausgeglichen werden, damit am Ende die Sitzverteilung trotzdem dem Ergebnis der Verhältniswahl entspricht.
Würde man dieses System auf die letzte Wahl in Georgien anwenden, so hätten die anderen Parteien, die es auf 35 Sitze brachten zusätzlich 39 Mandate über eine Zuteilung an Ausgleichsmandaten erhalten müssen. Das Parlament wäre demnach auf 189 Sitze aufgebläht worden. Damit ist das deutsche System für georgische Verhältnisse wohl kaum zu übertragen. Denn auch in Deutschland gibt es Überlegungen, wie man die Zahl der Bundestagsmandate angesichts der parteipolitischen Zersplitterung im Parlament eingrenzen kann.
Schwierig wird es auch bei der Frage der Sperrklausel. Ohne jede Sperrklausel würden sich bei der Parteienvielfalt in Georgien vielleicht bis zu zwei Dutzend Parteien im Parlament wiederfinden und damit eine Regierungsbildung unmöglich machen. Strittig ist auch, ob schon bei der Wahl Listenverbindungen unterschiedlicher Parteien antreten dürfen oder nicht. Was zu erwarten war, ist jetzt auch eingetreten: Aus dem Flügel der direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten der Regierungsfraktion gibt es eine Initiative, das künftige Wahlrecht ausschließlich nach dem Mehrheitswahlrecht in Wahlkreisen zu gestalten.