Kommentar zur aktuellen innenpolitischen Lage in Georgien

von KaPost-Herausgeber Rainer Kaufmann
Irgendwie steht die aktuelle Diskussion um das georgische Wahlrecht in der Tradition der jetzt 30-jährigen postsowjetischen Diskussionen im Lande. Verfassungen und Wahlrecht wurden immer von den jeweiligen parlamentarischen Mehrheiten nach ihrem Interesse zurecht gebogen, selten „zu Recht“. Wie oft unter Saakaschwili, lange Zeit auch ausgestattet mit einer satten Parlamentsmehrheit, die Verfassung „maßgeschneidert“ wurde, um eigenen Zielen zu dienen, will man jetzt gar nicht mehr nachverfolgen. Auch der Georgische Traum hätte seit dem Jahr 2012 die Möglichkeit gehabt, das ursprüngliche Versprechen Iwanischwilis nach einem parlamentarischen Mehrparteien-System westlichen Zuschnitts in Gesetzesform zu gießen. Aber immer ging es den Regierenden eindeutig eher um kurzfristiges Eigeninteresse denn um eine nachhaltige, demokratische Grundstruktur des Landes, egal mit welchen Phrasen dieses Verhalten verbrämt wurde. Vielleicht wäre es jetzt einmal an der Zeit, eine unabhängige und wirklich überparteiliche Kommission von Verfassungsjuristen mit der Aufgabe zu betrauen, ein für Georgien praktikables Wahlrecht zu schaffen. Hilfestellung von außen, der Venedig-Kommission des Europarates zum Beispiel, kann da sicher recht hilfreich sein. Die Parlamentsmehrheiten müssten sich dann aber diesem Vorschlag anschließen wollen und ihn als Gesetz verabschieden.

Vielleicht noch eine zweite Idee: Um solche Auseinandersetzungen wie in diesem Jahr vor dem Parlament auszuschließen, könnte man doch über die Einführung einer so genannten Bannmeile nachdenken, wie es sie in Deutschland zum Beispiel gibt. Dort darf im Umkreis von einem Kilometer rund um den Sitz eines Parlamentes keine öffentliche Kundgebung oder Demonstration genehmigt werden. Die Polizei kann so den Abgeordneten jederzeit zumindest einen Zugang zum Parlament sichern, ohne gleich Wasserwerfer oder Gummigeschosse einsetzen zu müssen. Zumindest diesen Konsens sollten die Parteien Georgiens doch zustande bringen. Oder ist es dann doch viel bequemer, angesichts fehlender Partei-Programme, die politische Auseinandersetzung immer wieder auf der Straße stattfinden zu lassen vor Dutzenden TV-Kameras? Wie lange noch können Symbol-Handlungen wie Vorhängeschlösser einen konstruktiven politischen Dialog unter den Parteien ersetzen? Da können die politischen Kräfte des Landes alle noch so sehr das Lied von der Euro-Atlantischen Integration Georgiens singen, die ja aus hiesiger Sicht längst erreicht sein müsste – die real existierende Parteien-Landschaft hat mit der europäischer Demokratien nur wenig gemein. Da ist noch ein weiter Weg, der zu gehen wäre.