Georgische Regierung auf der Suche nach einer realistischen NATO-Formel
War das schon die Antwort auf die klare Ansage von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Staatsbesuch in Georgien Anfang Oktober (Bericht siehe unten)? Steinmeier, vor allem von der georgischen Staatspräsidentin und den Medien geradezu zu einer Aktion in Sachen sofortiger NATO-Beitritt des Landes gedrängt, hatte in einem Hintergrundgespräch dann klar erklärt: „Das georgische Thema Nr. 1 steht nicht auf der Agenda“. Jetzt, einen Monat später, hat der georgische Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili auf der „Georgischen Verteidigungs- und Sicherheitskonferenz“ als erster Politiker des Landes zu erkennen gegeben, dass es mit dem NATO-Beitritt vorerst wohl nicht allzu schnell gehen wird. Seine Formel für das Verhältnis zwischen Georgien und der NATO fasste er in vier Wörtern zusammen: „Sei geduldig, aber bereit!“ Bereit für den Fall, dass es dann doch einmal etwas werden könnte mit der Vollmitgliedschaft im Verteidigungsbündnis. Etwas Kopfschüttel allerdings rief seine Ergänzung hervor, wonach die Regierung des georgischen Traums im Gegensatz zur früheren Führung (unter Saakaschwili, Anm. d.Red.) niemals falsche Erwartungen geweckt habe, was die Mitgliedschaft Georgiens in der NATO angeht. Etwaige Enttäuschungen oder Unzufriedenheit in der georgischen Bevölkerung lastete er damit ausschließlich der Regierung Saakaschwili an. Ähnlich wie Steinmeier hatten sich in den letzten Tagen auch andere hohe Offizielle der NATO geäußert.
Zur Hintergrund-Information hier der Bericht der Kaukasischen Post über den Steinmeier-Besuch, veröffentlicht in der Oktober-Ausgabe.
Georgiens Thema Nr. 1 nicht auf der Agenda
Klare Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Frank-Walter Steinmeier ist ein höflicher Gast, einer der die Regeln diplomatischen Verhaltens beherrscht wie kaum jemand in der internationalen Politikszene. Das hatte er schon als Außenminister bei zwei Georgien-Besuchen der letzten Jahre gezeigt, als er in Sachen NATO- und EU-Beitritt deutlich auf die Bremse getreten war, ohne seinen Gastgebern Anlass gegeben zu haben, ihre Verstimmung öffentlich zu zeigen. Bei seinem jetzigen Staatsbesuch als Bundespräsident Anfang Oktober in Georgien allerdings sah er sich wohl gezwungen, wenigstens einmal mehr als nur deutlich zu formulieren. Dies jedoch nicht bei den öffentlichen Auftritten mit seiner Amtskollegin Salome Surabischwili, da zeigte er sich als ein Meister der unangreifbaren diplomatischen Formulierungskunst, etwa bei dem reichlich verunglückten Pressegespräch im Präsidialpalast. Später aber, bei einem vertraulichen Gespräch mit georgischen und deutschen Wirtschaftsvertretern, redete Steinmeier dann Klartext. In seinem Eingangsstatement verließ er zunächst das Thema Wirtschaft, um klar und deutlich Klage darüber zu führen, dass die georgische Öffentlichkeit die einzelnen Themen und Begegnungen seines Besuches mit dem Schwerpunkt auf kulturellen und wirtschaftlichen Themen anscheinend nicht interessiert. Sein Besuch sei nur auf das georgische Thema Nr. 1 reduziert worden, den Wunsch des Landes nach sofortigem NATO-Beitritt. Steinmeiers Ansage dazu vor Wirtschaftsvertretern: „Das Thema Nr. 1 der Georgier steht derzeit nicht auf der Agenda.“ Die Präsidentin freilich, die zuvor in der Pressekonferenz noch mit dem NATO-Thema offensichtlich die Erwartungen der georgischen Medien eher bediente als die Position ihres Gastes, war da nicht zugegen. Dabei hätte ihr die Position Steinmeiers eigentlich bekannt sein müssen, dann – wie die KaPost aus vertraulichen Quellen erfuhr – hatten die Georgier wohl vor der Reise noch bei höchsten deutschen Stellen in Berlin vorgefühlt mit dem Wunsch, Steinmeier möge doch in Tiflis eine neue Formel auf den Tisch legen, die den NATO-Beitritt beschleunige, so wie er Jahre zuvor mit einer damals neuen Ukraine-Formel den diplomatischen Prozess im und um den Donbass wieder belebt hatte. In Berlin war man, so war zu hören, schon vor Steinmeiers Abflug mehr als nur verschnupft.
Daher hat ihn wohl die NATO-Litanei der georgischen Präsidentin heftig irritiert. Sein Minenspiel während der Rede Surabischwilis ließ kaum einen anderen Schluss zu. Die Georgierin allerdings war von – anscheinend bestellten Journalistenfragen – in die Pflicht genommen worden. Was die Georgier denn noch alles tun müssten, um endlich das Ziel NATO-Mitgliedschaft zu erreichen, wurde beispielsweise gefragt. Oder an Steinmeier ging die Frage, ob denn Angst vor Russland etwa das Motiv sei für den fehlenden politischen Willen in der NATO, Georgien endlich als Vollmitglied aufzunehmen. Salome Surabischwili ergänzte all diese Bemerkungen mit klaren Forderungen an die westlichen Partner, dafür zu sorgen, dass Georgien mit seinen Problemen nicht weiter in Vergessenheit gerät. Sie sprach von einer möglichen Erweiterung des EUMM-Mandats und davon, dass die Partner sich um eine De-Eskalation kümmern mögen und um eine De-Okkupation. Formulierungen, die in Georgien gerne aufgenommen wurden, allerdings nichts mit der Bereitschaft des Gastes zu tun hatten, darauf einzugehen. Das war bereits am Vortag deutlich geworden, als der georgische Außenminister erklärte, man könne an den Besuch Steinmeiers in diesem Zusammenhang keine politischen Impulse und Initiativen erwarten. Die georgischen Medien und ihre Präsidentin ließen sich davon nicht abhalten, den deutschen Bundespräsidenten nur mit diesem Thema zu konfrontieren.
Steinmeiers öffentliche Bemerkungen dazu waren diplomatisch vorsichtig formuliert, aber ebenfalls eindeutig, wenn man sie nur verstehen wollte: Es gäbe innerhalb der NATO keine wesentlichen Unterschiede in der dieser Frage. Man sei sich einig, Georgien dabei zu unterstützen, nach und nach NATO-Standards zu erreichen und dies mit den Mitteln des vor einigen Jahren abgeschlossenen „Substantial Packages“. Für Steinmeier eine „anspruchsvolle Aufgabe“, an der man ja gemeinsam arbeite. Im Übrigen sei die Lage in Georgien zweifelsohne schwierig und da könne man mit „besserwisserischen Vorschlägen“ auch nicht viel erreichen. Langwierige Verhandlungen seien angesagt. Auch zum georgischen Thema Nr. 2, dem EU-Beitritt, hatte Steinmeier nur ausweichende Antworten parat. Die EU habe Georgien ja in der östlichen Partnerschaft strategisch angebunden. Derzeit stünden aber innerhalb der EU vor allem Budget-Fragen im Vordergrund, verstärkt durch den absehbaren Brexit. Erst wenn sich die EU selbst stabilisiert hätte, so machte er zwischen den Zeilen klar, könne man mit weiterer Bewegung in Richtung Neu-Mitgliedschaften rechnen.
Soweit die politischen Botschaften dieses Besuches, der ansonsten eher den Charakter einer privaten Informationsreise hatte: Gespräche mit allseits bekannten Intellektuellen der deutsch-georgischen Kulturszene, Treffen mit Deutsch-Schülern in Telawi, Gespräche zum Thema Berufsausbildung in der Weinwirtschaft und eben das Gespräch bei der Deutschen Wirtschaftsvereinigung in Georgien. Ein umfassender wirtschaftlicher Erfahrungsaustausch war da allerdings kaum möglich. Die jeweils überlangen politischen Grundsatz-Erklärungen des Bundespräsidenten, der georgischen Wirtschaftsministerin und eines deutschen Staatssekretärs nahmen soviel Zeit in Anspruch, dass für einen Dialog mit rund zwei Dutzend Wirtschaftsvertretern nur noch 20 Minuten übrig blieben.
Das öffentliche Interesse an diesem Besuch hielt sich zumindest in Deutschland durchaus in Grenzen. Nur vier Medien-Vertreter waren mit dem Bundespräsidenten nach Georgien gekommen. Frank-Walter Steinmeier und seine Entourage hatten sicher schon wichtigere Auslandsauftritte als diesen Höflichkeitsbesuch bei der georgischen Staatspräsidentin. Ein Besuch, der trotzdem eine eindeutige politische Botschaft hervor brachte. Ob die vor allem von georgischer Seite so vorgesehen war?