RAINwurf – Vorsicht: Satire

Der RAINwurf ist die monatliche Satire-Kolumne der KaPost

Eigentlich, so sagt man, kenne Satire keine Grenzen, das heißt zumindest, niemand darf dem Satiriker irgendwelche Grenzen aufzeigen, es sei denn Gesetze und ihre Vorschriften. Die darf auch Satire nicht verletzen. Auch nicht unter dem Motto: Je suis Charlie. Je suis Böhmermann. Was aber, wenn Satire an ihre Grenzen stößt, weil das, was sie behandeln möchte, bereits so absurd ist, das es satirisch nicht mehr überhöht und verfremdet werden kann, um den Irrsinn, der darin steckt, heraus zu arbeiten? Wenn man mit keinem Gag der Welt das noch auf die satirische Spitze treiben kann, was sich in der Realität gerade zugetragen hat? Wenn also die Realität und ihre Protagonisten in der Lage sind, alle satirische Phantasie zu übertreffen? Soll man dann einfach resignieren? Darf man als Satiriker überhaupt resignieren? Nein, dann bleibt am Ende nur eines, den Spieß umzudrehen, die dargebotene Realsatire ernst zu nehmen und sie mit Mitteln der seriösen Argumentation zu entlarven. An diesem Punkt sind wir in Georgien angekommen. Zumindest, was das Verhalten des jung-forschen Parlamentspräsidenten angeht. Was auch immer er früher einmal an einer deutschen juristischen Fakultät studiert haben mag, eines ist voll an ihm vorbeigegangen: Der Verfassungsgrundsatz von der Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive, Judikative. In Europa Basiswissen eines jeden Abiturienten: Die Legislative (= Parlament) verabschiedet Gesetze und kontrolliert (!!!!) die Regierung (= Exekutive) bei der Umsetzung dieser Gesetze. Und die unabhängige Rechtsprechung (= Judikative) steht, was die Interpretation der Gesetze angeht, über beiden, aber nur, was die Interpretation der Gesetze angeht. Aber lassen wir jetzt einmal das Thema Justiz und Georgien außen vor, obwohl es zu dieser Verfassungssäule des Landes mehr als nur genug zu hinterfragen gäbe. Beschäftigen wir uns etwas intensiver mit dem Präsidenten des georgischen Parlaments, dem obersten Repräsentanten der Legislative.

Also, Herr Präsident, was wäre Ihre vornehmste Aufgabe als Vorsitzender des georgischen Parlaments? Zunächst ganz einfach: Sie hätten das ganze Parament zu repräsentieren und nicht nur die Mehrheit, die Ihnen zu Ihrem Amt verholfen hat. Und sie hätten das gesamte „Verfassungsorgan Legislative“, also auch die Opposition, vor allem gegenüber dem „Verfassungsorgan Exekutive“ zu repräsentieren und zu positionieren. So jedenfalls würde Ihre Funktion in den meisten Ländern Europas verstanden, dem Sie doch angehören zu wollen, nie müde werden, zu proklamieren, das heißt wohl eher zu reklamieren, weils denn doch nicht so schnell klappt, wie hierzulande geträumt.

Dagegen gerieren Sie sich eher als Vorsitzender der Mehrheitsfraktion sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments, eine ganz und gar nicht-europäische Interpretation Ihres Amtes. Und Sie mischen sich in einer Art und Weise in den derzeitigen Präsidentschafts-Wahlkampf ein, die den Anspruch an Ihr Amt, sich parteipolitisch neutral zu verhalten, völlig ad absurdum führt. Wie, Herr Präsident, wollen Sie denn mit dem künftigen obersten Repräsentanten Ihres Staates zusammen arbeiten, wenn etwa Ihre Favoritin, sofern sie das bei Drucklegung dieser Zeilen überhaupt noch ist, nur als zweite ins Ziel kommt, wenn also das Wahlvolk, der oberste Souverän des Landes, etwas anderes entscheidet als das, was Sie ihm auftragsgemäß aufzutragen und einzutrichtern versuchen? In der Demokratie soll es gelegentlich auch mal eine Niederlage geben, haben wir ja gerade im fernen Berlin vernehmen dürfen. Und das von einem politischen Alpha-Weibchen, das seit Jahrzehnten nur ans Siegen gewohnt war. Und: Können Sie sich nicht vorstellen, dass Ihre eigenwillige Interpretation Ihres Amtes andernorts wahrgenommen und recht kritisch bewertet wird?

Glauben Sie uns, Herr Präsident, wir hätten statt dieser ernsthaften Zeilen lieber eine krachende Satire über Sie geschrieben, eine, bei der wir, Sie und vor allem unsere Leserschaft sich vor Vergnügen auf die Schenkel hätten klopfen können. Aber, was nicht ist, kann ja noch werden, jung genug sind Sie ja. Immerhin, in den letzten Tagen haben Sie uns schon eine erste Steilvorlage für satirisches Nachkarten geliefert: Ihre Aussage, mit dem Anbau von Cannabis könne die Armut in Georgien statt in zehn Jahren schon in sechs bis sieben Jahren überwunden werden. Chapeau für diese Erkenntnis. Vielleicht sollten Sie diesen Vorschlag mal bei den Vereinten Nationen oder anderen Organisationen unterbreiten, die sich der internationalen Bekämpfung der Armut verschrieben haben. Wenn sich diese Idee durchsetzt, könnte – nein: müsste – man Sie ja fast für den Friedensnobelpreis vorschlagen, denn die Überwindung der Armut ist doch eine Grundlage für ein friedvolles Nebeneinander der Menschen. Cannabis for peace! Nur eine klitzekleine Kleinigkeit haben sie mit diesem forschen Statement übersehen: Sie haben der Bevölkerung Georgiens heute schon einmal prophylaktisch angedeutet, dass das Problem der Massen-Arbeitslosigkeit und Massen-Armut im Lande auch bei der nächsten Parlamentswahl im Jahr 2020 noch nicht annähernd gelöst sein dürfte. Das ist ja schon fast eine geniale Langfrist-Strategie für den nächsten Wahlkampf. Wir sind heute schon gespannt, mit welchen Erfolgen Sie dann um die Mehrheit im Parlament kämpfen. Irgendetwas müssen Sie doch vorweisen, wenn der „gesellschaftliche“ Konsens zum Thema Cannabis und Armutsabbau nicht erzielt werden kann. Aber, Moment, das dürfen wir nicht vergessen: Sie selbst müssen ja zur nächsten Parlamentswahl gar nicht mehr kämpfen, wenn Sie bis dahin das 1×1 der Gewaltenteilung gelernt haben. Dann dürfen Sie im nächsten Wahlkampf zu allen Sachfragen schweigen. Als neutraler Repräsentant des Verfassungsorgans Legislative. Womit wir dann doch noch die Kurve zur Satire gekratzt hätten. Oder etwa nicht?