Mischas Feldgottesdienst in Jena

Oder: Die peinliche Selbstdarstellung des ehemaligen Präsidenten Georgiens

von Rainer Kaufmann, Herausgeber der Kaukasischen Post

Da haben die studentischen Veranstalter vom Fachschaftsrat Politikwissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) in Jena die Rechnung völlig ohne ihren Gast gemacht. „Europa zwischen Fortschritt und Rückschritt – Gehören Oligarchen in die moderne Zeit?“ hieß das angekündigte, anspruchsvolle Thema, zu dem der Referent allerdings recht wenig Erhellendes beizutragen hatte, schon gar nicht irgendwelche wissenschaftliche Erkenntnisse und Analysen. Der Referent: Micheil Saakaschwili, der ehemalige Präsident Georgiens und zu Hause noch immer eine öffentliche Persönlichkeit, liebevoll Mischa genannt, obwohl er seit jetzt sechs Jahren nur noch als politisches Phantom auftritt und mittlerweile in Holland lebt, finanziell unterstützt von seiner Mutter, wie er kürzlich selbst in einem Interview erklärte.

Der Mann sei zwar als Politiker und Person umstritten, das wisse man, sagten die Veranstalter vorab, aber er sei ja mittlerweile durchaus zu etwas Distanz zu seiner eigenen Amtszeit fähig, sogar zu kritischer Distanz, wurde gesagt. Und angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Europawahlen sei das Thema für Studierende ja durchaus aktuell. Damit konnte aber noch lange nicht erklärt werden, welche Expertise Saakaschwili in Sachen Europa wirklich aufzuweisen hat und was die Oligarchen aus Saakaschwilis politischen Herkunftsländern – Georgien und die Ukraine – mit Europa und speziell mit der bevorstehenden Wahl zum EU-Parlament zu tun haben.

Schwer zu erklären ist auch, wie es überhaupt zu dieser Einladung nach Jena kam. Jedenfalls sind die Antworten nicht gerade präzise, die man auf diese Frage bekommen konnte. Der ungarische Botschafter in Berlin habe den Vortrag vermittelt, hieß es. Und: Saakaschwili selbst habe sich über eine georgische Studentin der FSU für diesen Vortrag angeboten. Dazu erklärte der Leiter des Instituts für Politikwissenschaften recht schwammig, Saakaschwili befände sich derzeit auf einer Art Vortragstournee durch europäische Universitäten, da hätten die Studenten vom Fachschaftsrat eben zugegriffen und das Institut habe ihnen dann einen Raum zur Verfügung gestellt. Er selbst, der Professor, sei allerdings an diesem Termin verhindert….

Der Hörsaal 3 war dann mit weit über 400 Zuhörern übrigens voll besetzt. Aber trotz vielfältiger Bemühungen ist es der KaPost nicht gelungen, weitere Vortragstermine im Kalender des Vielbeschäftigten zu finden, der einst im Weißen Haus in Washington ein und aus ging. So bleibt denn – auch angesichts der recht kurzfristig erfolgten Organisation des Vortrags in einem Zeitraum von nur zwei Wochen zwischen Anfrage und Termin – der fatale Eindruck, dass da jemand noch unbedingt kurz vor den georgischen Präsidentenwahlen einen öffentlichen Auftritt haben wollte. Jedenfalls wurde die Rede samt Frage- und Antwort-Spiel sofort nach der Veranstaltung auf der Facebook-Seite Saakaschwilis in vollem Umfang veröffentlicht. Man sieht, der Mann versteht noch immer sein PR-Handwerk, nicht umsonst war er begleitet von einem georgischen Kamerateam und der vermutlichen Facebook-Influenzerin, die ihn schon im Foyer der Uni Jena ertwartet und vor dem Vortrag fachgerecht verkabelt haben..

Der Erfolg: Nach einem Tag schon rund 50.000 Clicks auf Facebook, ungezählte Likes und Loves und stattlich viele Kommentare, meist positive Emojis. Ob all das real war oder faked – wer kann das in diesen Zeiten schon beurteilen. Kritik, das jedenfals scheint klar: Fehlanzeige. Auf Facebook bleiben Star und Fans unter sich. Allerdings: In Georgien hat wohl kaum jemand Notiz genommen von dieser Rede, selbst Rustavi 2, der Haus- und Hofsender der Saakaschwili-Partei UNM, hat sich offensichtlich verweigert, obwohl Mischa immer wieder auch auf die am 28. Oktober bevorstehende Präsidentenwahl in Georgien eingegangen ist. Seine frühere Partei hat sich mittlerweile ja in zwei Teile zerlegt, die sich im Präsidenten-Wahlkampf bekriegen statt gemeinsam die Regierung anzugreifen. Und Wano Merabischwili, einst Saakaschwilis treuer Diener als Innenminister und Premier, hat kürzlich erst aus dem Gefängnis heraus mitgeteilt, er werde sich mit aller Kraft für eine Wiedervereinigung der beiden Parteien einsetzen. Für Mischa, das muss man damit wissen, wäre in einem solchen Szenario nun wirklich kein Platz mehr.

Die Gremien der Universität und des verantwortlichen Instituts jedenfalls müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich mit dieser Veranstaltung nicht leichtfertig zum Gehilfen eines Mannes und seines Netzwerkes gemacht haben, dem es weniger um wissenschaftliche Analyse und Aufklärung ging denn um persönlich geprägte politische Demagogie und Propaganda. Schon einen Tag nach Mischas Rede sprach man in Jenaer Universitätskreisen davon, dass die Veranstaltung unbedingt nachbereitet werden müsse, eine Uni habe immerhin politische Neutralität zu wahren. Man darf gespannt sein, ob und wie das geschieht. Denn – unabhängig davon – muss man sich jetzt schon darüber wundern dürfen, wie leicht es politisch-familiären Netzwerken gemacht wird, eine eindeutig politische Interessens-Veranstaltung mit universitärem Segen zu organisieren.

Saakaschwili verklärte zunächst ziemlich ausschweifig seine eigene historische Leistung, nach der Rosen-Revolution aus Georgien erst einmal einen richtigen Staat gemacht zu haben: Mischa, the Nation-Builder, the only one. Dass er selbst Mitglied der Regierung Schewardnadse war, zu deren Zeit die grundlegenden gesetzlichen Entscheidungen zur Staatlichkeit Georgiens gelegt wurden, verschweigt er großzügig. Die Staatlichkeit Georgiens hat für ihn nur einen Vater: Mischa, himself. Reihenweise präsentiert er altbekannte Statistiken über den Easy-Doing-Business-Index, über Wachstumszahlen in Tourismus, Volkswirtschaft, Staatshaushalt und Steueraufkommen und vieles, vieles mehr, das alles garniert mit ebenso altbekannten PowerPoint-Tabellen und Schaubildern. Höhepunkt der peinlichen Selbstbeweihräucherung Saakaschwilis: Fotos von den architektonisch-futuristischen Bürgerbüros im ganzen Lande, mit denen er – wer denn sonst – die demokratische Entwicklung „seines“ Georgiens bis hin zu einer „transparenten Verwaltung“ gelegt hat.

Für Georgien-Kenner jedoch nichts anderes als das landesweit bekannte optische Erbe von Mischa, dem Erbauer, dem nach dem erfoglosen Krieg um Südossetien des Jahres 2008. In Jena durfte er dies alles widerspruchslos als seinen Beitrag zur politischen Entwicklung Europas präsentieren. Der begrüßende Professor des Abends hatte einleitend die Studenten aufgefordert, angesichts der bekannten, polarisierenden Persönlichkeit des Redners in der Diskussion selbst keine polarisierenden Fragen zu stellen, sondern sich auf wissenschaftliches Niveau zu begeben. Dem Redner allerdings hatte er diesen Hinweis, wissenschaftliches Niveau einzuhalten, anscheinend erspart.

Denn der führte dann mit einer lapidaren Wende, einem rhetorischen Salto mortale, über zum zweiten Teil seines Vortrages, zur Selbstbemitleidung. Denn: Das all das, seine Erfolge, habe der Oligarch kaputt gemacht. Der Oligarch von Tbilissi, der, ebenso wie seine Kollegen in der Ukraine, vom Ober-Oligarchen Putin entsandt sei. Erkenntnisse, die in Europa sicher ernst genommen werden müssen.

Keine Bemerkung aber, dass er selbst einen Großteil seiner damals wirklich erstaunlich effektiven Anfangs-Reformen in Staat und Gesellschaft nur mit finanzieller Hilfe dieses Oligarchen im Hintergrund hat durchziehen können. Und natürlich kein Hinweis auf die vielen Fehler seiner eigenen Regentschaft, in der er selbst in bester Oligarchen-Manier, wenngleich demokratisch gewählt, in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens durchregierte. Hat nicht die – von Saakaschwili zu Recht beklagte – immer schlimmer werdende Abhängigkeit der Justizorgane, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte, von den Regierenden, nicht gerade unter seiner Präsidentschaft begonnen und damals schon all die ursprünglich erfolgreichen Reform-Ansätze in der Justiz aus der Schewardnadse-Ära zunichte gemacht? Oder: Georgien, erklärte er voll selbstbewusstem Stolz, wurde unter seiner Regentschaft zu einem der sichersten Länder Europas. Kein Hinweis aber auf die zu seiner Zeit völlig überfüllten Strafgefängnisse und die unerträglichen Zustände in diesen mit widerwärtigen Folterungen und vielem mehr. Oder, eine eher nebensächliche, aber dennoch vieles erklärende Episode: Eine Versteigerung überflüssiger Edelkarossen des Innenministeriums durch die neue Regierung des Georgischen Traums musste abgebrochen werden, weil unter Saakaschwili ein Großteil der ministeriellen Fahrzeuge den früheren Besitzern nachweislich widerrechtlich enteignet worden war. Für nahezu alle Bereiche, in denen Saakaschwili den derzeit nun wirklich nicht gerade positiven Einfluss des georgischen Oligarchen bejammert und dies zu Recht, könnte man ähnliche Beispiele aus seiner Regierungszeit zitieren. In Jena durfte er jetzt ohne jede Korrektur seine Sicht der Dinge erzählen, eine Sicht, die mit der Realität dieser Jahre nicht eben allzu viel zu tun hat.

Denn noch immer hat Saakaschwili nicht realisiert, dass im Jahr 2012 seine Regierung durch eine demokratische Wahl abgewählt worden war und damit auch seine Chance, sich durch einen Verfassungstrick a la Medwedew-Putin doch noch für einige Jahre die Macht zu erhalten, zunichte gemacht wurde. Der erste Präsidenten des post-sowjetischen Georgiens, Swiad Gamsachurdia, wurde in einem blutigen Putsch davon gejagt; der zweite, Eduard Schewardnadse, in einer Straßen-Revolte ungeheuren Ausmaßes. Der dritte, Micheil Saakaschwili, in einem zweifellos demokratisch korrekten Urnengang. Eigentlich ein ungeheurer demokratischer Fortschritt, den er selbst kurz nach den Wahlen im Jahr 2012 noch anerkannte. Anscheinend war damals der Druck der „Freunde“ aus dem Westen doch zu groß, um der Versuchung zu nachzugeben, das Wahlergebnis zu kassieren. Aus heutiger Sicht, so ist man nach dem Vortrag Saakaschwilis in Jena geneigt, zu folgern, war das in seinen Augen anscheinend ein Fehler, denn der Oligarch Putins war es doch, der seiner, Saakaschwilis Partei den Wahlsieg gestohlen hatte. Aus der abschließenden Diskussion in Jena wäre dann nur noch anzumerken, dass sich Saakaschwili auf Nachfrage aus dem Publikum keiner Fehler bewusst war, die er in seiner Amtszeit selbst gemacht hätte, außer dem, den Georgiern nicht genügend „Umverteilung“ geboten zu haben, um sie auf seinem demokratischen Parforceritt mitzunehmen. Eine Frage, die sich der Oligarch Georgiens angesichts seiner vielen, nicht eingehaltenen Versprechungen irgendwann einmal auch wird stellen müssen. Ob Mischa dann ein Comeback feiern kann? Die überwiegende Zahl der Facebook-Emoji-Kommentare würde das begrüßen. Womit das eigentliche Ziel des Vortrags dann wohl doch erreicht worden wäre, zumindest aus der Sicht derer, die den Abend wohl eingefädelt und ge-facebookt haben. Ob man das in der Jenaer Universität  ebenso sehen kann, bleibt abzuwarten.

Rainer Kaufmann, Herausgeber der Kaukasischen Post und Autor dieses Artikels, ist seit knapp 30 Jahren als deutscher Journalist in Georgien aktiv, hat Micheil Saakaschwili vor über 20 Jahren erstmals interviewt und seither in seiner ganzen politischen Karriere begleitet. Mehr Artikel über den ehemaligen Präsidenten Georgiens finden Sie in diesem Buch, das soeben erst erschienen ist.

Mehr Informationen unter: www.erka-verlag.de