Visafreiheit unter Beschuss

Zwiespältige Bilanz nach neun Monaten – Warnschüsse und Empfehlungen aus Brüssel und EU-Mitgliedsländern

Nach Berichten georgischer Behörden haben zwischen dem 28. März und dem 30. November des vergangenen Jahres 173.396 georgische Bürger vom Recht auf visafreien Reise-Verkehr in den Schengen-Raum Gebrauch gemacht.

Im ersten Bewertungsbericht der Europäischen Kommission vom 20. Dezember wird Georgien zwar bescheinigt, die Vorgaben zur Visaliberalisierung weithin erfüllt zu haben. Es wird aber auch deutlich gemacht, dass die EU „eine weitere Verbesserung“ bei der Umsetzung der Bedingungen zur Visafreiheit erwartet. Eine diplomatisch verklausulierte Aufforderung an Georgien, deren Bedeutung dann Ende Januar klar wurde, als die Leiterin der georgischen Vertretung bei der EU, Natalia Sabanadze, ihr Land ermahnte, sich mehr um den Visafreien Reiseverkehr mit den Schengen-Staaten zu kümmern. Noch sei nicht davon auszugehen, dass der in Brüsseler Gremien erstmals besprochene  Aussetzungsmechanismus in absehbarer Zeit abgerufen werde.
Aber die gestiegene Zahl an Asylanträgen in einigen Ländern des Schengen-Raumes – genannt wurden insbesondere Schweden, Island und die Schweiz – sei durchaus bedenklich. Das Statement von Natalia Sabanadse ist für Georgien mehr als nur ein erster Warnschuss, denn eine Diplomatin meldet sich selten ohne entsprechenden Hintergrund zu Wort. Es darf nach aller Erfahrung in solchen Angelegenheiten davon ausgegangen werden, dass ihr irgendwer in Brüssel vermutlich angeraten hat, sich so zu äußern. Denn schon im Dezemberbericht hatte die EU-Kommission erklärt, dass die Asylfrage in einigen Ländern im Interesse der nationalen Sicherheit „Besorgnis erregend“ sei.

Giorgi Ruchadse vom Zentrum für Strategische Analysen in Georgien bemerkt dazu, die Regierung von Georgien habe keine Möglichkeit, diesen Prozess – mehr Asylanträge und die eventuelle Einführung des Aussetzungsmechanismus – zu stoppen. Das Ansteigen der Asylanträge sei nicht verwunderlich, da sich die soziale Situation im Lande nicht verbessert habe. Ruchadse wörtlich: „Je besser die Situation im Lande, desto weniger Menschen wollen das Land verlassen. Die Regierung kann niemandem verbieten, sich woanders um bessere Lebensbedingungen umzusehen.“ Ein deutlicher Hinweis, der sich mit vielen Informationen deckt, die in der georgischen Szenerie in Deutschland oder anderen EU-Staaten erhältlich sind. Die Graswurzel kennt genügend Geschichten, die bei georgischen wie auch deutschen Behörden die Alarmglocken läuten lassen müssten. Ein Beispiel nur: Eine deutsche Rechtsanwältin georgischer Abstammung hat sich jüngst bei einem Tiflis-Besuch allen Ernstes über das Verhalten deutscher Arbeitgeber beklagt, die ihren georgischen Mitarbeiten im Falle einer Krankheit sogar den Arztbesuch verbieten würden. Das Thema Schwarzarbeit und Visafreiheit steht irgendwann ganz sicher auf der Tagesordnung.

Im EU-Bericht vom Dezember über Georgien wird allerdings klar gestellt, dass die Zahlen für Asylanträge georgischer Staatsangehöriger in der EU insgesamt zwischen dem zweiten Halbjahr 2016 (4.750) bis Mitte 2017 (4.630) keinen weiteren Anstieg anzeigen. Es muss also in einigen Ländern, darunter auch Deutschland, zu einer Abnahme der Asylanträge gekommen sein. Außerdem wird in dem Bericht positiv vermerkt, dass die georgischen Behörden die große Mehrheit der eingereichten Rückübernahme-Ersuchen gebilligt hätten.

Im Zusammenhang mit dem Thema „Organisierte Kriminalität“ stellt der Bericht allerdings fest, dass Banden aus Georgien „nach wie vor als eine der am häufigsten vertretenen Nicht-EU-Nationalitäten in die schwere und organisierte Kriminalität verwickelt sind“. Weitere Anmerkungen der Kommission: Georgien sei ein Transitland für verschiedene illegale Waren, insbesondere Drogen. Und: „Georgien wird zunehmend dazu verwendet, illegale Erlöse zu waschen, die aus Aktivitäten der Organisierten Kriminalität in und außerhalb der EU stammen“, ein deutlicher Hinweis, dass die volkswirtschaftliche Erfolgsziffer vom ausländischen Direkt-Investment durchaus auch kritisch betrachtet werden kann.

Indem der EU-Bericht von Georgien deutliche Fortschritte auf einigen Feldern anmahnt, beschreibt er – wiederum diplomatisch verklausuliert – eindeutige Defizite, die sich unter Umständen auch auf die Visafreiheit auswirken könnten. Darunter zählen:

–  Fortführung von Kampagnen zu den Regeln für visumfreies Reisen, Abschluss der Migrationsanalyse- und Risikoanalysesysteme und verstärkte Anstrengungen zur Beseitigung der identifizierten Ursachen von Migration;
– Umsetzung des vorrangig mit Europol geschlossenen Kooperationsabkommens und Abschluss des Kooperationsabkommens mit Eurojust;
– Abschluss der Reform der nachrichtendienstlichen Polizeiarbeit und der Schaffung eines einheitlichen Verbrechensanalysesystems als vorrangige Aufgabe;
– Fortsetzung und weitere Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafverfolgung und Justiz;
– Verstärkte Anstrengungen zur Durchsetzung der Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche, zur Aufspürung, zum Einfrieren und zur Beschlagnahme krimineller Vermögenswerte, auch grenzüberschreitend und die Angleichung der Rechtsvorschriften an die vierte EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche;
– Verabschiedung von Änderungen des Antidiskriminierungsgesetzes, um seine Umsetzung wirksam zu machen.

Ein Aufgaben-Katalog, der für georgische Behörden nichts anderes ist als eine stattliche Mängelliste.

Update: In der Zwischenzeit mehren sich Meldungen, wonach zum Beispiel am Flughafen Memmingen Georgiern noch bei einer Kontrolle am Flugzeug die Einreise nach Deutschland verweigert worden war. Sie musste von der Airline im Rückflug zurück genommen werden. Außerdem hat ein erstes Bundesland, Nordrhein-Westfalen, angekündigt, die Aufhebung der Visafreiheit für Georgien zu beantragen.

Wir berichten in unserer Februar-Ausgabe ausführlich darüber.