Eine Frage des Charakters?

Georgien, die Frankfurter Buchmesse und viele offene Fragen
Georgien hat im Jahr 2018 als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse alles andere als einen guten Start hingelegt. Im National Book Center (NBC), der Agentur, die eigens für dieses Event gegründet wurde, kriselt es ganz gewaltig. In einem offenen Brief, allen kund getan über das Medium Nr. 1 Facebook, beschwerten sich im Dezember georgische Schriftsteller und Mitglieder des NBC-Aufsichtsrates darüber, dass das in ihren Augen erfolgreiche Management des NBC anscheinend ausgetauscht werden soll. Von Rücktritten war seither die Rede, von Personalwechseln und von heftigen internen Diskussionen. Wie die KaPost aus gut unterrichteten Kreisen erfahren hat, soll es sich bei den Machenschaften hinter den Kulissen vor allem um Kritik an der Vetternwirtschaft innerhalb des Ministeriums für Kultur und Denkmalschutz bei der Vergabe einzelner Leistungen im Zusammenhang mit dem Gastauftritt Georgiens bei der Frankfurter Buchmesse handeln. Die Vetternwirtschaft soll bis in höchste Kreise des Ministeriums reichen. Trotz umfangreicher Recherchen-Versuche waren bis zum Redaktionsschluss keine weiteren Informationen erhältlich. Allerdings: Die angekündigten Personaländerungen sind anscheinend ausgeblieben. Trotzdem scheint es in Fragen der Betreuungs-Agentur einige Verwirrung hinter den Kulissen zu geben.

Über Internet öffentlich einsehbar ist jedoch das offizielle Video, mit dem sich Georgien für die Frankfurter Buchmesse 2018 präsentiert. Es hat, wie der Gesamtauftritt Georgiens auf der Messe, den Titel: „Georgia – made by characters“. Eine optische Führung durch Georgien, seine Landschaften, seine Kultur und seine Geschichte, aufgezeigt an den 33 Buchstaben des Alphabets, mithin 33 characters oder 33 Zeichen. Besonders interessant der Buchstabe E wie Enguri. Die Werbeagentur des NBC vermittelt zu dem Fluss folgende Information: „Enguri – ein tosender Fluss, der in das Schwarze Meer mündet in einer spektakulären Region Georgiens: Abchasien, derzeit von Russland okkupiert.“

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass die Buchmessen-PR die geographische Situation des Landes wohl völlig falsch darstellt. Der Enguri entspringt, wie jeder Reiseleiter schon im ersten Lehrjahr seinen Gästen erläutern kann, unterhalb des gleichnamigen Gletschers am höchsten Berg Georgiens, dem Schkhara, fließt durch Ober-Swanetien und durch die atemberaubend schöne und wilde Enguri-Schlucht in den Enguri-Stausee. Unterhalb der Staumauer geht es weiter am Dorf Dschwari vorbei in Richtung Sugdidi. Bis dahin führt der Enguri nicht einen Kilometer durch Abchasien, erst nach dem Dorf Lia ist er dann hauptsächlich Grenzfluss zwischen Abchasien und Mingrelien, einige wenige Kilometer nur fließt er dabei komplett durch abchasisches Gebiet, eine sumpfige Ebene, alles andere als eine spektakuläre Landschaft. Kurz vor Anaklia, etwa beim Dorf Darcheli trennen sich Fluss und Grenze. Der Enguri mäandert noch ein paar Kilometer durch die mingrelische Ebene, um in Anaklia ins Schwarze Meer zu münden, rund drei Kilometer südlich der abchasischen Grenze. Eine bekannte Szenerie, spätestens seit Saakaschwili im Jahr 2012 den Enguri etwa 100 Meter vor seiner Mündung mit einer spektakulären Holzbrücke überspannen ließ, um die beiden Teile seines geplanten, großen Badeparadieses Anaklia miteinander zu verbinden.

Durch Abchasien führt allerdings ein Teil des Stausee-Abflusses und zwar zunächst durch das Enguri-Kraftwerk, das nordöstlich des Gali-Reservoirs liegt. Von da aus fließt das Wasser in das Gali-Reservoir und von dort über den so genannten Gali-Kanal dann ebenfalls ins Schwarze Meer, wobei ausweislich einer im Internet erhältlichen Landkarte noch vier weitere Kraftwerke die Wasserkraft des Gali-Kanals nutzen. Wieder alles andere als eine spektakuläre Landschaft: ein nahezu mit dem Lineal gezogener, künstlicher Kanal durch eine eher langweilige Fluss-Aue, kaum besiedelt und kaum erschlossen.

Unerklärlich, warum die Image-Werber unter E=Enguri nicht dessen Oberlauf beschrieben haben mit all den Sagen und Geschichten vom Schaf-Fell zum Beispiel, mit dem Goldstaub aus dem Fluss gewonnen wurde, dem Ursprung der Sage vom Goldenen Vliess? Oder von den herrlichen, mittelalterlich anmutenden Wehrturmdörfern in Oberswanetien, die am Enguri liegen? War die – anscheinend politisch motivierte – billige Okkupations-Propaganda eine solche inhaltliche Verrenkung wert, eine solche Peinlichkeit? Wollen sich die georgischen Intellektuellen zur Geschichte der Konflikte um Abchasien und Südossetien nur mit der Erklärung von der Okkupation zufrieden geben? Darf die Weltmesse der Literatur von seinem Ehrengast nicht eine tiefer gehende Analyse der historischen Ereignisse erwarten? Könnte man die georgische Position in Sachen Abchasien und Südossetien nicht viel wirkungsvoller damit präsentieren, dass man Literatur aus diesen Landesteilen wie selbstverständlich auf der Buchmesse präsentiert als Teil georgischen Kulturerbes? Und: Welche Rolle spielen die anderen nationalen Minderheiten, ihre Sprachen und ihre Kultur auf der Frankfurter Buchmesse? Finden sie statt oder werden sie unterschlagen? Fragen, die eigentlich tiefer greifen als die Diskussion um die Klüngelwirtschaft hinter den Kulissen georgischer Agenturen und Ministerien. Ob es vor, während oder nach der Buchmesse hierzu einen öffentlichen Diskurs gibt?  Oder muss auch auf der Buchmesse 2018 mit einem politischen Protest georgischer Schriftsteller gerechnet werden wie auf der Vorgängermesse 2017?

Noch ein Aspekt wäre es wert, untersucht zu werden. Das Buchstaben-Video scheint nämlich alles andere als eine kreative Leistung einer georgischen Agentur zu sein. Bei der Eröffnung der Winterolympiade in Sotschi im Jahr 2014 wurde ein vierminütiges Video gezeigt mit dem Titel: Epic Cyrillic oder Russian Alphabet. Darin führt ein Schulkind die Betrachter aus aller Welt anhand des russischen Alphabets in Kultur und Geschichte Russlands ein. Haben die georgischen Imagewerber für die Frankfurter Buchmesse damit ausgerechnet beim bösen Okkupanten aus dem Norden abgekupfert? Eine Frage des Charakters, vermutlich. Und das auch noch bei einer der umstrittensten sportlichen Großveranstaltung der letzten Jahrzehnte, der großen Putin-Show? Was, wenn das offensichtliche Plagiat vor aller Welt bloßgestellt wird?

 

 

 

 

 

 

 

Zum Überprüfen dieser Geschichte hier die Links für beide Videos:
https://www.youtube.com/watch?v=KIyaZirHLOA

http://www.georgia-characters.com/Concept.aspx