Vor 25 Jahren: Wer hat Georgien als erstes Land völkerrechtlich anerkannt?

Ein Autokennzeichen und seine wirkliche Geschichte

Die Bundesrepublik Deutschland, so die allgemeine Spracheregelung zumindest in Deutschland, habe im Jahr 1992 als erstes Land das postsowjetische Georgien völkerrechtlich anerkannt und die deutsche Botschafterin führe für ihr Dienstfahrzeug deshalb auch das Diplomaten-Kennzeichen 001-CMD-1, ihr amerikanischer Kollege das Kennzeichen 002-CMD-1. Irgendwie wahr und irgendwie trotzdem eine Legende, denn die Recherchen zu den Vorgängen dieser Jahre und die Aussagen von amtlich Beteiligten – von der KaPost schon einmal vor fünf Jahren veröffentlicht – zeigen ein eher verwirrendes Bild. Wir versuchen, den Ablauf der Ereignisse noch einmal nachzuvollziehen.Autokennzeichen des Deutschen Botschafters in Georgien im Jahr 2012

Die UdSSR wurde offiziell am 25. Dezember 1991 aufgelöst und durch selbständige Staaten in den Grenzen der ehemals Sozialistischen Sowjetrepubliken ersetzt, wiewohl die Auflösungserscheinungen schon seit Frühjahr 1990 mit den Unabhängigkeitserklärungen der baltischen Staaten einsetzten. Unter Swiad Gamsachurdia, eigentlich gewählter Präsident der Sozialistischen Georgischen Sowjetrepublik, hatte Georgien dann am 9. April 1991 seine Unabhängigkeit erklärt. Nach dem Putsch gegen Gorbatschow im August desselben Jahres schickte Gamsachurdia Dutzende von Regierungsbeamten nach Moskau mit dem Auftrag, bei den dortigen ausländischen Botschaften innerhalb kürzester Frist mindestens 40 völkerrechtliche Anerkennungen einzuholen. Dies hätte angeblich für eine UNO-Mitgliedschaft Georgiens gereicht. Der heutige Herausgeber der KaPost und Autor dieser Zeilen saß zufällig in demselben Flugzeug nach Moskau wie die Tifliser Diplomaten, übernachtete wie sie im Gästehaus des georgischen Außenministeriums in der noch-sowjetischen Hauptstadt und kann daher von dieser Mission und ihrem Scheitern aus eigener Anschauung berichten. Die Weltgemeinschaft war einerseits nicht bereit, dem umstrittenen Gamsachurdia und seinem nationalistischen Regime diese Ehre zu erweisen, andererseits wollte man auf keinen Fall mit Georgien einen Sonderfall schaffen, sondern die völkerrechtliche Anerkennung der postsowjetischen Realitäten für alle neuen Staaten in einem Zug abwickeln.

Trotzdem gelang Gamsachurdia ein gewisser Durchbruch an der diplomatischen Front noch vor dem Ende der UdSSR. Denn am 12. Dezember, mithin 13 Tage vor dem Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums, einigten sich die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien auf eine gegenseitige, völkerrechtliche Anerkennung. Zumindest aus der Sicht dieser beiden Länder hat damit die Ukraine Georgien als erster Staat völkerrechtlich anerkannt. Zuvor hatten die Präsidenten Russlands, Weißrusslands und der Ukraine, Boris Jelzin, Stanislaw Schuschkewitsch und Leonid Krawtschuk, bereits am 8. Dezember den Vertrag von Minsk unterzeichnet, der als das eigentliche Ende der UdSSR angesehen werden kann. Weihnachten 1991, wenige Tage nach dem Georgien-Ukraine-Abkommen, wurde Gamsachurdia dann durch einen Staatsstreich aus dem Amt getrieben. Er musste fliehen und fand Unterschlupf in Tschetschenien.

Im Frühjahr 1992 überschlugen sich die Ereignisse. Am 23. März verkündete Portugal, das den Vorsitzend der Europäischen Union inne hatte, dass alle EU-Mitgliedsländer in einer konzertierten Aktion Georgien und auch die anderen Nachfolgestaaten der UdSSR völkerrechtlich anerkannt hätten. Tags darauf, am 24. März, so ein Hinweis von 2012 auf der Webseite der US-Botschaft, hätten die USA Georgien völkerrechtlich anerkannt. Und jetzt wird es wirklich spannend.

Der deutsche Botschafter Günther Dahlhoff reiste am 18. April 1992 über Wien zum Dienstantritt nach Tiflis an. Am 24. April erst machte Dahlhoff seine erste offizielle Aufwartung bei Eduard Schewardnadse, wie dieser in seinen Memoiren beschreibt. Am 23. April aber hatten die USA bereits ihre Botschaft in Tiflis eröffnet und das offizielle Beglaubigungsschreiben durch ihren Botschafter überreicht. Was also war geschehen, damit die deutsche Botschaft in den Besitz dieses besonderen Auto-Kennzeichens kam?

Hans-Dietrich Genscher, der angekündigt hatte, am 18. Mai vom Amt des Außenministers zurückzutreten, besuchte am 11. und 12. April noch überraschend seinen Freund Eduard Schewardnadse in dessen neuer Funktion als Vorsitzender des Staatsrates der Republik Georgien. Dieses Amt hatte der frühere Außenminister der UdSSR erst am 20. März 1992 angetreten. Bei dieser Gelegenheit stellte Genscher ein Mitglied seiner Delegation, den AA-Beamten Günther Dahlhoff, als künftigen deutschen Botschafter in Georgien vor. Um dies offiziell zu unterstreichen, hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Beglaubigungsschreiben Dahlhoffs bereits am 10. April ausgestellt, das dieser dann Eduard Schewardnadse anlässlich des Genscher-Besuchs am 12. April als besonderes Gastgeschenk des deutschen Außenministers überreichen konnte und damit gut eine Woche vor seinem offiziellen Dienstantritt. Dahlhoff, der zunächst mit Genscher wieder nach Deutschland zurückflog, erzählte diese Geschichte in einem KaPost-Artikel im April 2012, also 20 Jahre nach diesen Ereignissen. Ohne den plötzlich anberaumten Genscher-Besuch hätte der US-Amerikaner demnach einen Tag vor dem Deutschen sein Beglaubigungsschreiben überreicht und hätte sich damit das Autokennzeichen 001-CMD-1 geschnappt. Egal, für Georgien markiert eigentlich der 23. März 1992 mit der Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft das Datum, an dem die internationale Isolation des Landes überwunden wurde. Deutschland war bei diesem völkerrechtlichen Schritt ein Land unter vielen.

Die Sache ist aber noch etwas verwirrender als bisher geschildert. Der Nachfolger Dahlhoffs als deutscher Botschafter in Georgien, Norbert Baas, war Ende 1991 Botschaftsrat für außenpolitische Beziehungen an der deutschen Botschaft in Moskau. In einem KaPost-Beitrag vom Mai 2012 erinnert er sich an folgendes Geschehen: „Am 31.12.1991 gingen bei der Botschaft Moskau die von Bundespräsident von Weizsäcker gezeichneten Schreiben ein, mit denen die Bundesrepublik Deutschland den neuen unabhängigen Staaten, also den früheren Republiken der Sowjetunion, die diplomatische Anerkennung aussprach. Sie sollten sofort überbracht werden. Wir mussten diese eilige Aufgabe arbeitsteilig bewältigen. Der Botschafter bat mich, die an die südkaukasischen und zentralasiatischen Republiken bestimmten Schreiben auszufahren und persönlich den damaligen Leitern der Vertretungen der Sowjetrepubliken zu übergeben. Inzwischen war es Nachmittag geworden und so kam es dazu, dass ich die Anerkennungen buchstäblich am Silvesterabend überbrachte. Jedenfalls übergab ich das Schreiben auch der damaligen georgischen Vertretung in Moskau, wo man mich mit ausgesuchter Höflichkeit empfing.“

Hat demnach Deutschland Georgien doch noch vor den USA und den anderen Staaten der EU, aber erst nach der Ukraine völkerrechtlich anerkannt? War die Ukraine damals schon ein Völkerrechtssubjekt, das einen solchen Schritt hätte unternehmen dürfen? Fragen, auf die vielleicht Historiker einmal eine Antwort geben werden. Mit dem Diplomaten-Kennzeichen 001-CMD-1 hat das alles aber nichts zu tun. Das kann Deutschland nicht mehr weggenommen werden, denn in der Registratur des georgischen Außenministeriums ist das Beglaubigungsschreiben Dahlhoffs dank Genschers Blitzbesuch das erste, das dort abgelegt wurde. So banal war die Geschichte mit dem Autokennzeichen, der seit diesen Tagen immer wieder eine tiefere Bedeutung zugemessen wird.

Der Zeitpunkt, Silvester 1991, ist allerdings politisch durchaus interessant. Kurz zuvor war Gamsachurdia aus dem Amt geputscht worden. Ihm hatte die deutsche Außenpolitik jede völkerrechtliche Anerkennung verweigert, obwohl er durchaus demokratisch legitimiert war. Und als Hans-Dietrich Genscher seinen Freund Eduard Schewardnadse im April besuchte, den ersten deutschen Botschafter samt Beglaubigungsschreiben im Gefolge, war Schewardnadse nichts anderes als der Vorsitzende einer Militärjunta, ohne jede demokratische Legitimation, abhängig von den Führern zweier Privatarmeen, Tengis Kitowani und Dschaba Josseliani. Botschafter Dahlhoff, vom Autor dieser Zeilen, der bei dessen Antrittsflug nach Tiflis zufällig Sitznachbar des Diplomaten war, zu diesem sensiblen Sachverhalt befragt, antwortete damals, Schewardnadse habe Genscher und Baker, dem amerikanischen Außenminister dieser Tage, in die Hand versprochen, Georgien zu Marktwirtschaft und Demokratie zu führen. Das habe zur völkerrechtlichen Anerkennung geführt. Und was war ist mit seiner Rolle als Chef einer Militärjunta, als Marionette zweifelhafter Warlords? Die Antwort Dahlhoffs:  „Schewardnadse bleibt nichts anderes übrig, als den Tiger Josseliani zu reiten. Und er ist wohl der einzige, der dies kann.“ Was Schewardnadse später durchaus bewiesen hat.

Um eine Legende handelt es sich auch bei den derzeitigen Bekundungen der USA, die neue Republik Georgien seit der diplomatischen Anerkennung kräftig und vorbehaltslos unterstützt zu haben, also seit dem April 1992. Dem war offensichtlich nicht so. Während Deutschland dank der Freundschaft Genscher-Schewardnadse das Land von Anfang an vor allem auf dem Gebiet der Rechtsreformen nachhaltig und mit erheblichen Finanzmitteln und Beratungspersonal förderte, konnten die Amerikaner mit dem neuen Staat im Südkaukasus zunächst nicht allzu viel anfangen, wie politische Beobachter dieser Zeit mehrfach bestätigten. Er lag irgendwie am Rande ihres geopolitischen Sichtfeldes oder gar außerhalb. Erst als die Idee konkret wurde, Ölpipelines vom Kaspischen Meer weder über Russland noch über den Iran zum Mittelmeer zu führen, sondern über Georgien, erst dann profilierte sich das amerikanische Engagement in Georgien, einhergehend freilich mit einem sichtlich verstärkten Interesse der NATO am Südkaukasus. Ein amerikanischer Spitzendplomat in Tiflis hatte zuvor in wochenlangen Fußmärschen die Route der alt-sozialisitischen Ölpipeline von Baku nach Batumi (freilich nur auf georgischem Gebiet) erkundet. Von da an hatte Deutschland seine Rolle als führendes Land in den Beziehungen Georgiens zum Westen verloren. Immerhin: Als die Deutsche Botschaft in Tiflis vor fünf Jahren 20 Jahre diplomatischer Beziehungen mit einer Veranstaltungsreihe beging, zeigte sich kein Mitglied der georgischen Regierung Saakaschwili. Sie war ausschließlich auf die 20 Jahre diplomatischer Beziehungen mit den USA fixiert. Heute, soviel wäre denn doch festzuhalten, heute zeigt sich die georgische Regierung in dieser Frage wieder neutral und feiert die letzten 25 Jahre mit beiden Ländern irgendwie auf Augenhöhe. Dabei spielt für sie das Auto-Kennzeichen der jeweiligen Chefdiplomaten wohl eher eine untergeordnete Rolle.
Rainer Kaufmann