Sind nur institutionelle Beziehungen auch wirklich Beziehungen?

Kommentar von Rainer Kaufmann zu einer Podiumsdiskussion im DGJ
Vor fünf Jahren fand anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der diplomatischen Anerkennung Georgiens durch die Bundesrepublik eine deutsche Woche in Georgien statt, u.a. mit einer Podiumsdiskussion zu diesem Thema, moderiert von keinem Geringeren als dem deutschen TV-Dino Fritz Pleitgen. Die KaPost kritisierte diese Diskussion damals besonders heftig (Originaltext: s.u.), weil zum allumfassenden Thema der deutsch-georgischen Beziehungen nur Vertreter von staatlichen Institutionen und Geisteswissenschaftler auf dem Podium saßen. Vertreter privater Organisationen oder Vertreter der Wirtschaft etwa wurden nicht aufs Podium gebeten. Jetzt, fünf Jahre später: dasselbe Bild. Wieder eine Podiumsdiskussion, veranstaltet am nächsten Dienstag von der Deutschen Botschaft. Und auf dem Podium wieder nur zwei ehemalige  Diplomaten, also Vertreter von Regierungs-Institutionen, und zwei Geistes-Wissenschaftler, moderiert von einer deutschen TV-Journalistin. Kein Vertreter der ansonsten ach so hoch gelobten Zivilgesellschaft, die zu unterstützen Deutschland einiges an Geld ausgegeben hat. Kein Vertreter der Wirtschaft, als ob die Zukunft der deutsch-georgischen Beziehungen nicht auch – oder gerade vor allem – in der Wirtschaft gelebt und erfahren werden kann. Wenn es um das Sponsoring des Deutsch-Georgischen Jahres geht, ist die Wirtschaft selbstverständlich aufgefordert, sich zu engagieren. Wenn es darum geht, die deutsch-georgischen Beziehungen zu ergründen, ihre Vergangenheit, die Erfahrungen aus dieser Vergangenheit, die Probleme der Gegenwart und vor allem die Chancen für die Zukunft – dann werden Wirtschaft und Zivilgesellschaft anscheinend nicht benötigt. Da bleiben die Institutionen und ihre Vertreter gerne unter sich. Alle anderen, immerhin, dürfen hinterher Fragen stellen. Das fühlt sich ungeheuer nach Obrigkeitsstaat an, jedenfalls nicht nach dem Gesellschaftsmodell, das mit deutschen Steuergeldern weltweit propagiert wird, auch in Georgien.
Die Beziehungen zwischen zwei Ländern würden nicht nur von den Institutionen gelebt, sie würden vor allem von Menschen gelebt, hat der georgische Botschafter in Berlin, Lado Tschanturia, kürzlich bei einer Veranstaltung im Rahmen des DGJ im badischen Plankstadt erklärt. Bis zur Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Tiflis hat sich diese Erkenntnis wohl noch nicht herumgesprochen.

Zur Information hier die KaPost-Kritik über die Podiumsdiskussion bei der Deutschen Woche 2012, erschienen im Juni 2012:

 „Im Prinzip ausgezeichnet, es muss nur anders werden“
Kritische Anmerkungen zu einer Podiumsdiskussion

Wer in einem öffentlichen Forum kompetent über Geschichte reden will, lädt sich Historiker ein. Wer über Politik reden will, Politologen, vielleicht auch Politiker. Wer über Wirtschaft reden will, Vertreter der Wirtschaft. Wer über Kultur reden will, Künstler oder Kritiker.

Bei der als „kritische Bestandsaufnahme“ angekündigten Podiumsdiskussion zum Stand der deutsch-georgischen Beziehungen nach 20 Jahren erneuerten diplomatischen Miteinanders wurde über all diese Bereiche und einige mehr geredet. Auf dem Podium aber saßen nur Geisteswissenschafter und Vertreter staatlicher Institutionen. Leute mithin, die sich seit Jahren wenn nicht täglich, so doch mindestens wöchentlich begegnen bei Arbeitssitzungen, Konferenzen oder auf Empfängen. Und mit Fritz Pleitgen ein Moderator, der seine Kenntnisse über Georgien im Wesentlichen aus seiner Zeit als ARD-Korrespondent im sozialistischen Moskau des letzten Jahrhunderts bezog und aus einer mehrwöchigen TV-Produktion im „wilden“ Kaukasus vor 13 Jahren. Kontroverse Diskussionen versprach er sich und der mehr als überschaubaren Zuhörerschaft, die er gerne schlichten wolle.

Bei der Zusammenstellung des Podiums war diese Kompetenz des erfahrenen deutschen TV-Profis allerdings nicht gefragt. Die Diskussion plätscherte über mehr als eine Stunde vor sich hin mit einer Auflistung altbekannter Geschichten aus der gemeinsamen Geschichte und Gegenwart, ohne diese dann kritisch zu hinterfragen, wo es hätte spannend werden können. Zum Beispiel die „Patenschaft“ des Deutschen Reiches für die erste Unabhängigkeit Georgiens vor 100 Jahren. Dass Berlin damals in Georgien handfeste wirtschaftliche und vor allem auch militärische Interessen verfolgte und nicht nur von der Freundschaft zum georgischen Volk und seinem Willen nach Unabhängigkeit geleitet war, wurde nicht dazugesagt. Dies wäre vergleichender Stoff gewesen, um die Situation der deutschen Außenpolitik heute zu analysieren, oder die georgische Außenpolitik im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Interessen seiner internationalen Partner.

Da wurde über die schleppenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Georgien gesprochen und die „enttäuschende“ Tatsache, dass eine namhafte deutsche Kaffeemarke es abgelehnt habe, nach Georgien zu kommen, oder dass man nicht wisse, ob sich hinter der Mercedes-Vertretung in Tiflis auch wirklich Mercedes verbirgt oder jemand anderer. Oder dass deutsche Firmen nur ihre Produkte hier verkaufen wollten, statt zu investieren, zu produzieren und hier einzukaufen. Und dass deshalb Georgien gezwungen wäre, seine Produkte an Türken zu verkaufen. Kein Widerspruch oder Nachhaken vom Moderator.

Dass georgische Produkte in vielen Bereichen einfach die auf europäischen Märkten geforderten Standards nicht erfüllen und dass daran zu arbeiten wäre, wurde nicht gesagt. Oder dass es in der Welt, insbesondere vor der Haustür Georgiens, auch andere Märkte gibt, in denen das Land Absatzchancen hat und durchaus Erfolge vorzeigen kann. Warum glaubt man bei deutsch-georgischen Diskussionen über Wirtschaft immer, Deutschland sei der wichtigste Absatzmarkt für georgische Produkte? Warum kann Georgien für deutsche Unternehmen nicht als Basis dienen, andere Märkte zu bedienen? Und, schließlich, warum überlassen Geisteswissenschaftler nicht den Märkten, diese Dinge zu regeln? Die verstehen etwas von der Materie.

Dass es viele deutsche Firmen gibt, die in Georgien investieren und produzieren – sicher könnten es mehr sein – wurde so gut wie nicht angesprochen. Firmen übrigens, die sich bei vielen Gelegenheiten gerne als Sponsoren zur Verfügung stellen, so auch auf dem Plakat der Deutschen Woche. Wenn sich die Behörden aber auf eine deutsch-georgische Selbstreflektion begeben, ist auf dem Podium kein Platz für andere. Da bleibt man lieber unter sich. Dass die Beziehungen zwischen zwei Ländern auch außerhalb der regierungsamtlichen Ebenen stattfinden und dort eigentlich erst richtig ge- und belebt werden, wurde bei der Besetzung des Podiums  übersehen.

Lediglich bei zwei Themenbereichen kam so etwas wie Spannung auf. Etwa bei der Frage, ob denn Deutschland die vielen Erwartungen der georgischen Öffentlichkeit in den letzten zwei Jahrzehnten erfüllt hätte. Die Erwartungen damals seien natürlich auch zu romantisch gewesen, nicht alles, was man sich versprochen habe, wurde erfüllt wie etwa diese: „Die Deutschen kommen und erklären uns die neue Welt.“ „Eine enttäuschte Liebe“ wollte man die Diskussion in der Planungsphase betiteln. Hätte man es doch bei diesem Titel belassen, der Moderator hätte dann wenigstens eine Vorgabe gehabt, an der er sich durch das Gespräch hätte hangeln können.

Denn die enttäuschte Liebe beruht auf Gegenseitigkeit, die Stellung Deutschlands in der georgischen Politik zum Beispiel, die heute schon lange nicht mehr mit der von 20 Jahren zu vergleichen ist, wäre ein Thema gewesen, das aufzuarbeiten sich gelohnt hätte. Zum Beispiel eine Antwort auf die Frage, warum bei dieser eigentlich wichtigen Diskussion, wie später auch bei der Eröffnung der großen Ausstellung, noch nicht einmal politische C-Prominenz aus Georgien anwesend war. Da muss sich in den letzten 20 Jahren doch etwas verändert haben. Aber was?

Investitionssicherheit, warf der Moderator ein, sei eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliches Engagement. Eine Binse. Aber warum hat dann niemand erklärt, dass Georgien mit erheblicher  Finanzierung und Beratung durch die Bundesrepublik als erstes Land der früheren Sowjetunion ein Katasterwesen und Bodenrecht bekamt, das Grund und Eigentum sichert und so eine der Grundlagen der jetzt möglichen Investitionen ist? Von dieser Grundlage profitieren Investoren aus allen Teilen der Welt, nicht zuletzt das Land selbst.

Wie immer nahm das georgische Themen-Trauma Russland-Europa-NATO einen großen Raum in der Diskussion ein. An Deutschland wurde die Erwartung herangetragen, Mediator für einen „großen Vertrag“ mit dem russischen Nachbarn zu sein. Dass Georgien sein Verhältnis zu Russland mit seinem Streben nach NATO- und EU-Vollmitgliedschaft selbst in Übereinstimmung bringen muss, hat Fritz Pleitgen mit seiner Moskau-Erfahrung wenigstens zu thematisieren versucht. Ganz sicher ist auch diese heutige Erwartung viel zu romantisch, um sie im Beziehungsgeflecht zwischen Europa, Russland und Georgien in absehbarer Zeit auch nur andenken zu können. Zumal es in Europa kein Konzept gibt, wie man mit dem Kaukasus umzugehen gedenkt, wie auf dem Podium vermerkt wurde. Eine der wenigen Phasen dieses Gesprächs, wo immerhin im Ansatz so etwas wie analytisches Bemühen erkennbar war.

Das Zuhörer-Interesse war überschaubar. Bei Eröffnung des Podiums mit akademischer Viertelstunde waren nicht einmal 30 Zuhörer da, institutionelle Mitarbeiter eingeschlossen. Wie hätten auch mehr kommen sollen, wenn außer Fritz Pleitgen nicht einer der Podiumsteilnehmer vorher öffentlich bekannt gegeben wurde? Und so zugkräftig ist der deutsche TV-Dinosaurier im Kaukasus dann auch nicht. Immerhin hatte er aus dem Zettelkasten langjähriger Moderatoren-Erfahrung einen passenden Schlusssatz parat: „Die Beziehungen sind im Prinzip ausgezeichnet, es muss nur einiges anders werden.“ Für die Moderation eines TV-Presseclubs reicht so ein Zettelkasten, da sind die Podien kontrovers genug besetzt, da darf ein Moderator inhaltlich nicht eingreifen, er darf nur „Bälle“ verteilen. Bei der Zusammensetzung des Podiums in Tiflis, wo Kenntnisse im Detail von Nutzen gewesen wären, war Pleitgen mit diesem, seinem TV-Latein schnell am Ende.

So wurde eine gute Chance, das deutsch-georgische Miteinander gründlich und analytisch aufzuarbeiten, schlichtweg vergeigt. An den Diskussionsteilnehmern hat es nicht gelegen. Ihnen wurden nur die falschen Stühle untergeschoben.
                                                                                                        Rainer Kaufmann