Gift und Galle im georgischen Patriarchat

Wer steckt hinter der Inszenierung um die geplante Ermordung des Patriarchen?

Umberto Eco, lebte er noch, hätte sicher ein besonderes Interesse an dem Drama gefunden, das sich rund um den georgischen Patriarchen in den letzten zwei Wochen abgespielt hat. Dabei war dieser zunächst einmal völlig außen vor, er lag gut bewacht in einer Berliner Klinik und wurde dort – erfolgreich – an der Galle operiert. Mittlerweile ist Ilia II. wieder zurück in Tiflis und will sich jetzt – zusammen mit den zuständigen Staatsorganen – um die Aufklärung des mysteriösen Falles kümmern.

Soweit derzeit überhaupt möglich, sei zunächst einmal das bisher bekannte Geschehen rekonstruiert: Noch bevor das Oberhaupt der orthodoxen Kirche Georgiens in Berlin überhaupt operiert worden war, meldete der Generalstaatsanwalt in Tiflis einen ganz besonderen Coup. Kurz vor dessen Abflug nach Deutschland habe man im Tifliser Flughafen einen Priester aus dem Patriarchat verhaftet, in dessen Gepäck eine gewisse Menge an Zyanid gefunden wurde, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft jedenfalls ausreichend, um einen oder gar mehrere Morde zu begehen. Tage zuvor schon habe man aufgrund einer Anzeige die Ermittlungen aufgenommen. Der Informant, so der Staatsanwalt, sei von dem Priester um die Lieferung des Giftes und um andere obskure Dienstleistungen gebeten worden, weil er angeblich einen oder mehrere hochrangige Kleriker des Patriarchats ermorden wollte. Obwohl noch keine gesicherten Beweise vorlagen und die Herkunft des Giftes im Gepäck nicht geklärt war, da der Beschuldigte   alle Vorwürfe bestritt, wurde er mit vollem Namen der Öffentlichkeit präsentiert und damit nahezu vorverurteilt. Bei der Öffnung seines Koffers sei er nicht hinzugezogen worden, erklärte er Tage später. Er und sein Anwalt mussten überdies eine Verpflichtung unterschreiben, keine Ermittlungsdetails an die Öffentlichkeit zu bringen, da der Fall als geheim klassifiziert wurde. Der Staatsanwalt allerdings ging mit teilweise abenteuerlichen Spekulationen kaum einem Mikrofon aus dem Weg, ohne auch nur ein einziges Mal ein belastbares Ergebnis vorweisen zu können. Einem vom Verdächtigen später hinzugezogenen zweiten Anwalt hat nach dessen Aussagen die Staatsanwaltschaft gar mit der Eröffnung eines eigenen Ermittlungsverfahrens gegen ihn gedroht, sollte er die einseitige Schweigeverpflichtung nicht unterschreiben.
Die öffentlichen Reaktionen kamen prompt: Premierminister Kwirikaschwili lobte die Sicherheitsorgane überschwänglich, die mit ihrer Arbeit eine Katastrophe verhindert und großen Schaden nicht nur von der Kirche sondern vom ganzen Land abgewendet hätten. Dies zu einer Zeit, als noch nicht einmal ein einziger Verdachtsmoment erhärtet worden war. Kwirikaschwili, ohnehin auf dem Wege nach Deutschland, besuchte den Patriarchen denn auch kurz nach dessen Operation. Er offenbarte allerdings auch, dass er von der Staatsanwaltschaft von Anfang an über den Verdacht und die Ermittlungen  unterrichtet worden sei und er den Stand des Verfahrens ständig unter Kontrolle gehabt hätte.  Soviel, ganz nebenbei, zur Unabhängigkeit der staatlichen Ermittlungsorgane von der Regierung. Andere Spitzenpolitiker äußerten sich ebenso eindeutig, was ihnen heftige Kritik des Ombudsmannes und von Menschenrechtsorganisationen angesichts des recht eigenwilligen Verständnisses eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens einbrachte. Die Unschuldsvermutung sei vollkommen missachtet worden, ebenso seien die Rechte der Verteidigung infolge des Stillschweigegebots durch die Staatsanwaltschaft beeinträchtigt.

Als später dann selbst der Staatsanwalt zurückruderte und erklären musste, der Verdächtige habe es vermutlich doch wohl „nur“ auf das Leben der Privat-Sekretärin des Patriarchen, einer unter dem oberen Klerus durchaus umstrittenen Frau, abgesehen, musste der Regierungschef auf Journalistenfrage kleinlaut eingestehen: „Einen Priester daran zu hindern, mit tödlichem Gift das Land zu verlassen, ist das nicht die Verhinderung einer großen Katastrophe?“ Wie gesagt, bewiesen war zu diesem Zeitpunkt noch nichts, geschweige denn letztinstanzlich per Gericht entschieden.

Die ganze Geschichte würde eigentlich zur Tragik-Komödie ausarten, würde man alle Stellungnahmen von Politikern und geistlichen Würdenträgern der letzten Tage zitieren. Viel spannender dürfte die Frage sein, wer – mit welchen möglichen Motiven – hinter dieser Inszenierung steckt, sollte man dem Priester am Ende die unterstellten Mordabsichten doch nicht nachweisen können. Allerdings, wenn auf der einen Seite die Unschuldsvermutung reklamiert wird, kann man auch die Schuldvermutung nicht komplett ausschließen. Der Priester allerdings genießt nach nahezu allen Stellungnahmen aus Kleriker-Kreisen einen guten Ruf im Patriarchat. Er ist in der kirchlichen Hierarchie eher im unteren Bereich anzusiedeln, war aber in einer führenden Stelle in der Wirtschaftsabteilung des Patriarchats beschäftigt und damit mit der Aufsicht über das kommerzielle Verhalten vieler Betriebe und Unternehmen der Kirche. Prompt veröffentlichte der Oppositionssender Rustavi 2, der derzeit selbst im Mittelpunkt heftiger Auseinandersetzungen um die Rundfunkfreiheit in Georgien steht, einen Brief, in dem der Priester dem Patriarchen von kriminellen Machenschaften in den kirchlichen Wirtschaftsbetrieben berichtete, von Geldunterschlagungen und hohen Verlusten zum Beispiel im Klinikbereich. Der Brief konnte zwar vom Beschuldigten nicht autorisiert werden, da er ihm das Original, aus dem Rustavi 2 zitierte, nicht zur Verfügung stand. Nach Auskunft seines Anwaltes aber seien die in dem Brief enthaltenen Vorwürfe zutreffend, der Priester habe sie dem Patriarchen mehrfach vorgetragen. Die Vermutung, ebenfalls öffentlich mehrfach geäußert, lag also nahe, es könnte möglicherweise bestimmte Kreise im Patriarchat geben, die – vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit entsprechenden Kreisen der Regierung – den kritischen Priester ausschalten wollten, indem sie ihm ein Mordkomplott unterstellten. Als Begründung für diesen Verdacht wurde auch das doch eigenartige Ermittlungsverfahren des Generalstaatsanwaltes angeführt.

In der Tat ist der kommerzielle Komplex des Patriarchats nahezu undurchschaubar. Das hat vor allem mit dem im Jahr 2002 noch unter Schewardnadse abgeschlossenen Konkordat zwischen dem georgischen Staat und der Kirche zu tun, ein Vertrag, dem sich Schewardnadse lange widersetzt hatte. Der endgültige Text wurde denn auch an seiner Staatskanzlei und Regierung vorbei vom Patriarchat direkt mit einem Parlamentsausschuss ausgehandelt. Und Schewardnadse wurde von der Patriarchats-treuen Mehrheit seiner Partei gezwungen, das Konkordat zu unterzeichnen. Das geschah im Herbst 2002 in der Kathedrale Sweti Zchoweli in Mzcheta. Als der Patriarch sofort nach der Unterzeichnung des Jahrhundertvertrages mit dem Zelebrieren einer feierlichen Messe begann, verlies das Staatsoberhaupt mehr oder weniger demonstrativ die Kathedrale und begab sich zu dem großen Volksfest in den Straßen der einstigen georgischen Hauptstadt: Mzchetoba.

Der heilige Synod bei der Unterzeichnung des Konkordats am
14. September 2002                                       (Foto: Rainer Kaufmann)

In dem Konkordat wird der Orthodoxie eine besondere Rolle innerhalb der Religionen des Landes zugebilligt, der eigentliche Wunsch des Patriarchats, Staatsreligion zu werden, konnte angesichts europäischer Verpflichtungen – Georgien war damals schon Mitglied des Europarates – nicht erfüllt werden. Neben einigen Sonderrechten sind es vor allem die wirtschaftlichen Vorteile, die sich die Orthodoxie in diesem Konkordat hat zusichern lassen, zum Beispiel  Steuerfreiheit aller kirchlichen Unternehmen. Damit sind diese nahezu jeder öffentlichen Finanzkontrolle entzogen. Darüberhinaus bekommt die Kirche jährlich zig Millionen aus dem Staatshaushalt als Subvention, bisher mehr als 250 Millionen insgesamt, wie eine NGO dieser Tage erklärte. Und: Seit dem Jahr 2002 wurden ihr rund 1 Million Hektar Grund und Boden zurückgegeben, das sind 10.000 Quadratkilometer, angeblich alles Besitz aus vorsozialistischen Zeiten, allein mehr als 1.500 qkm an Wäldern, diese allerdings nicht als Besitz. Sie dürfen von der Kirche lediglich gemanagt und wirtschaftlich verwertet werden. In einer nachhaltigen Forstwirtschaft deutschen Stils könnten etwa vier Forstamtsleiter, 40 Förster und rund 200 Waldarbeiter auf dieser Fläche beschäftigt werden.

Die Orthodoxie istsomit ohne Frage einer der größten Grundbesitzer des Landes, wenn nicht sogar der größte. Wieviel Arbeitsplätze damit geschaffen werden, ist nicht bekannt. Eine wirtschaftliche Macht, die kaum einer durchschaut, am wenigsten – vermutlich – der Patriarch. Und ein Geflecht an Abhängigkeiten, in dem es sich manch ein Kleriker wohl recht gemütlich eingerichtet hat sehr zum Verdruss anderer, die dem kirchlichen Kommerztreiben eher distanziert zuschauen. Mit der Intrige um den angeblich mordlüstigen Priester wurde wohl ein tiefer Riss innerhalb des Patriarchats und der Kirche sichtbar, der Insidern schon lange bekannt gewesen sein soll.

Es gibt aber auch Indizien, die den tiefen Riss innerhalb der Orthodoxie nicht nur mit wirtschaftlichen Fragen erklären. Wenngleich die deutsche katholische Nachrichtenagentur KNA in einem Artikel zu dem Giftskandal in Georgien konstatiert, dass sich die „grusinische Mafia“ aus früheren Zeitennicht nur in vielen Bereichen der Politik und Wirtschaft Georgiens wieder ausgebreitet habe, sondern auch in der georgischen Orthodoxie, sieht sie auch einen tiefen Riss zwischen Ultra-Orthodoxen und damit Gegnern jeglicher Ökumene, während sie Ilia II. genau das Gegenteil attestiert, nämlich eine offenere Haltung anderen Glaubensgemeinschaften gegenüber, insbesondere der Katholischen Kirche. Dieser Riss sei beim jüngsten Besuch von Papst Franziskus in Georgien im Herbst vergangenen Jahres offensichtlich geworden, wo sich Ilia II. habe deutlich zurückhalten müssen. Teile des georgischen Patriarchats seien eher auf der Seite des Moskauer Patriarchen und damit des Kreml zu verorten, denen es ein Dorn im Auge sei, dass Ilia II. wieder Anschluss an die Weltorthodoxie um Patriarch Bartholomaios II. von Konstantinopel suche, von der sich Russen, Bulgaren und Georgier durch ihre Ablehnung des Konzils von Kreta im Juni 2016 isoliert hatten.

Ob kommerzielle oder kirchliche Streitfragen, bekannt ist seit einiger Zeit, dass die einige Treffen des heiligen Synods im vergangenen Jahr jeweils mit tiefen Zerwürfnissen innerhalb des Klerus endeten. Ob Ilia II., in dessen Abwesenheit diese inneren Konflikte öffentlich aufbrachen, noch einmal die Kraft hat, seinen Klerus zu einigen, darf abgewartet werden. Gleich nach seiner Ankunft hat er erklärt, er wolle den beschuldigten Priester persönlich treffen, dem er allerdings aus Deutschland schon bescheinigte, er habe bisher nur Gutes über ihn gehört. Das Treffen hat Ilia II. dann aus Gesundheitsgründen abgesagt, allerdings erst, nachdem er einige wichtige Funktionsträger des Landes empfangen hatte: den Präsidenten, den Premier, einige Minister, den Generalstaatsanwalt. Ein Treffen des Priesters mit hohen Klerikern des Patriarchats, wie von diesem als Ersatz für eine eventuelle Absage des Patriarchen gewünscht,  hat der Staatsanwalt aus Sicherheitsgründen verhindert. Er hat den Klerus auch aufgefordert, den beschuldigten Priester nicht in der Untersuchungshaft zu besuchen. Die Frage stellen sich jetzt viele Beobachter: Haben sich Patriarchat und Staatsorgane bereits auf ein Ermittlungsergebnis geeinigt?
Rainer Kaufmann

Einen Artikel aus dem Jahr 2002 über den Abschluss des Konkordats, erschienen auf der damaligen Webseite georgien-news finden Sie hier.