Da waren`s nur noch sechs

Mischas Partei im Parlament –  ein Scherbenhaufen

Das Bild hatte Symbolcharakter: Als sich Mikheil Saakaschwili, Gründer und nach wie vor gefühlter Vorsitzender der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM – United National Movement) vor etwas mehr als einer Woche in Kiew mit „seiner“  Parlamentsfraktion traf, bekannten sich zunächst nur noch fünf UNM-Abgeordnete zur einst übermächtigen Regierungspartei. Ein Abgeordneter zu wenig, um eine eigene Fraktion bilden zu können. Erst als sich Azer Suleymanov, UNM-Abgeordneter aus Marneuli, letztendlich zu einem Verbleib in der UNM-Fraktion entschieden hatte, reichte es für Saakaschwili und die Seinen gerade noch zur Bildung einer eigenen Fraktion.

Alle anderen Abgeordneten, die im Oktober über die Liste der Saakaschwili-Partei ins Parlament eingezogen waren, 21 an der Zahl, traten aus der UNM aus und bildeten gleich zwei neue Oppositionsfraktionen. Unter ihnen fast die gesamte UNM-Parteiprominenz wie Davit Bakradze, Giga Bokeria, Sergo Ratiani und Gigi Tsereteli – alles frühere Kampfgefährten von Mikhail Saakaschwili, die sich nicht erst in den letzten Monaten von ihm abwandten. Die Partei, die den Sturz Schewardnadses herbeigeführt und danach durchaus erfolgreich ein rigoroses Reform-Programm in Georgien durchgezogen hatte, hat sich in Folge der Wahlniederlagen vom Oktober 2012 und 2016, eine verheerender als die andere, jetzt endgültig selbst zerlegt. Und viele Beobachter geben nur einem die Schuld an diesem Desaster: Mikheil Saakaschwili.

Der Partei-interne Streit schwelte seit Monaten, die KaPost hat darüber mehrfach berichtet. Es ging vordergründig um den  Parteikongress vom 20. Januar (siehe Artikel: Wiedergeburt vor dem Kapitol). Das eigentliche Entscheidungsgremium der Partei, der Politische Rat, konnte sich nicht über die Zahl der Delegierten – 2.000 oder 7.000 – einigen. Saakaschwilis innerparteiliche Kritiker wollten einen übersichtlichen Kongress, auf dem  vor allem ein neuer Parteivorsitzender gewählt werden sollte, um den informellen Vorsitz Saakaschwilis zu beenden. Ohne georgische Staatsbürgerschaft ist ihm eigentlich per Gesetz jedes politische Engagement im Lande untersagt. Saakaschwili aber ließ, da der Politische Rat handlungsunfähig war, den Kongress über eine Ad-hoc-Kommission, die formal keine politische Legitimation besaß, im Format 7.000 Delegierte vorbereiten. Ein Parteikonvent, der eher eine Akklamations-Veranstaltung für Saakaschwili darstellen sollte als eine satzungsgemäße Delegiertenkonferenz einer politischen Partei westlichen Zuschnitts.

Der Streit war unlösbar, da Saakaschwilis Gegner nicht mehr bereit waren, dem Altmeister im Exil nachzugeben. Da kam Anfang Januar plötzlich Bewegung zwischen die erstarrten UNM-Fronten, als nach einem überraschenden Urteil eines Berufungsgerichts Gigi Ugulawa, früher Tifliser OB und engster Vertrauter Saakaschwilis, einen Tag vor dem georgischen Weihnachtsfest aus der Haft entlassen wurde. Sofort mischte sich Ugulawa in den innerparteilichen Konflikt ein, den er vor Wochen selbst mit einem Brief aus der Haftanstalt angeheizt hatte. In dem Brief hatte er heftige Kritik an Saakaschwili geäußert. Wenn es auch nur ein Prozent Chance gäbe, die Einheit der Partei zu retten, so erklärte er gleich nach seiner Entlassung, wolle er recht schnell in die Ukraine reisen, um mit Saakaschwili zu reden. Ein vergeblicher Vorsatz, denn einen Tag später musste Ugulawa einräumen, dass Saakaschwili sich derzeit nicht in der Ukraine aufhalte und für ihn damit unerreichbar sei.

Ugulawa und alle anderen Saakaschwili-Kritiker zogen die Reißleine, traten aus der UNM aus und in die Partei Europäisches Georgien ein. Saakaschwilis Reaktion via Facebook: Die Verlierer hätten jetzt endlich die Partei verlassen. Und: Der Oligarch (gemeint ist Iwanischwili) hätte es nicht geschafft, die UNM und Saakaschwili zu trennen. Eine Einschätzung, die jetzt nur noch für sechs Parlaments-Abgeordnete gilt. An Ugulawa gerichtet, der erklärt hatte, er könne Saakaschwili nur noch bedauern, sagte dieser: Ugulawa habe mehr über ihn, Saakaschwili, geredet, als über den, der ihn ins Gefängnis gebracht habe. Nichts geht also mehr zwischen Mischa und seinen früheren Mitstreitern.

Ugulawa war es auch, der jetzt publik machte, dass der Konflikt um den Vorsitz der Partei bis in das Jahr 2013 zurück reicht, als er und andere Saakaschwili bereits aufforderten, das Amt des Vorsitzenden niederzulegen. Seither habe sich Saakaschwili beharrlich einem solchen Schritt verweigert.

Ein paar Merkwürdigkeiten können bei den überraschenden Ereignissen zu Jahresanfang aber nicht übersehen werden. Ugulawa wurde im Jahr 2015 zu einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, weil er im Wahljahr 2012 – angeblich mit Vorsatz – in einer städtischen Tochterfirma einige Hundert UNM-Parteiaktivisten eingestellt hatte, die nichts anderes machten als Wahlkampf für die UNM.  Veruntreuung städtischer Gelder war der strafrechtliche Vorwurf, den auch das Berufungsgericht aufrecht erhielt, es hat jetzt nur das Strafmaß auf ein Jahr und drei Monate reduziert. Eine der Fragen, die im Raum stehen:  Warum hat es so lange gedauert, bis das Berufungsgericht dieses Urteil fällte? Und: Besteht irgendein Zusammenhang zwischen dem innerparteilichen Zwist in der UNM und der Freilassung Ugulawas, vielleicht sogar ein Deal zwischen Ugulawa und der Regierung, der eine Selbstauflösung der UNM nicht unrecht sein kann? Die Vermutung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, hatte sich Ugulawa doch aus der Haft heraus den Kritikern Saakaschwilis angeschlossen. Die Frage stellen sich viele in Tiflis: Wäre Ugulawa vorzeitig entlassen worden, hätte er sich im UNM-Streit eindeutig für Saakaschwili positioniert? Kaum jemand in Tiflis, der das glauben möchte.

Das alles hat möglicherweise sogar etwas mit dem Besuch des amerikanischen Senators McCain zu tun, der bisher eigentlich als engster Verbündeter Saakaschwilis in den USA galt. Auffällig war aber, wie der Amerikaner bei seinem Kurzbesuch erstmals ausdrücklich die Reform-Arbeit der Regierung Kwirikaschwili lobte. Und Insider wollen wissen, er habe bei der Regierung des georgischen Traums möglicherweise  als Gegenleistung für dieses Lob auf die Freilassung „politischer Gefangener“ gedrängt, unter anderen eben Ugulawa.

Auffällig ist auch, dass sich Saakaschwili zu der Zeit, als Ugulawa ihn angeblich in Kiew besuchen wollte, in den USA aufhielt, anscheinend im Umfeld McCains und für ein paar Tage selbst auf Facebook sprachlos war. Sollte da unter Umständen ein letzter Vermittlungsversuch zwischen den UNM-Streithälsen versucht worden sein, ein Vermittlungsversuch, der wohl nur mit einer innerparteilichen Niederlage Saakaschwilis hätte enden können, der dieser sich freilich widersetzte? Kann es sein, dass sich McCain und dessen Georgien-Freunde bei den amerikanischen Republikanern  im zu erwartenden Streit mit Trump in Sachen Verhältnis  Amerika zu Russland von dem Ballast Saakaschwili aus taktischen Gründen trennen mussten und deshalb das Ende des UNM-Provinztheaters in Georgien beförderten? Wie immer bei solch merkwürdigen Entwicklungen: Tiflis ist voll von Spekulationen jeder Art. Doch nicht selten in den letzten zwei Jahrzehnten hatten solche Spekulationen oft genug durchaus ihre Berechtigung. Auffällig war jedenfalls, wie schnell die amerikanische Botschaft das Berufungsurteil in der Strafsache Ugulawa zum Anlaß nahm, der georgischen Justiz Unabhängigkeit zu attestieren. Ein Urteil, über das sich viele Juristen im Land nur wundern. Auch darüber, dass die Staatsanwaltschaft, die vor zwei Jahren noch das harte Urteil gegen Ugulawa erstritten hatte, zur aktuellen Korrektur des damaligen Strafmaßes beharrlich schweigt.