Visa-Freiheit noch in diesem Jahr?

Seit einem Jahr wartet Tiflis vergebens auf grünes Licht aus Brüssel

Auf diese Nachricht, wenn sie denn nach all den europäischen Eiertänzen in dieser Frage belastbar ist, hat man in Georgien jetzt seit einem ganzen Jahr gewartet: Schon in der nächsten Woche könnte das EU-Parlament den endgültigen Startschuss dafür geben, dass Georgier ohne umständliche Visa-Prozeduren in die EU reisen dürfen. Erinnern wir uns: Genau vor einem Jahr hatte die EU-Kommission mit ihrem vierten und letzten Fortschrittsbericht dem Land attestiert, alle Voraussetzungen für diesen Schritt erfüllt zu haben. Bis zur endgültigen Entscheidung schien es nur noch eine Frage der Zeit. Die Regierung in Tiflis lies daher im Überschwang der europäischen Gefühle nahezu jedes öffentliche Gebäude in den Farben der EU anstrahlen und verkündete einseitig bereits, dass der georgische Traum von einem visafreien Europa schon zum Frühjahr wahr werde. Ein Jahr ist seither vergangen, der Termin für die Verkündung der Visafreiheit wurde immer wieder verschoben. Die EU verweigerte der georgischen Regierung sogar den Gefallen, noch kurz vor den Wahlen im  November das Erfolgsereignis verkünden zu dürfen. Kaum jemand konnte den wahren Grund hierfür erklären, da viele Politiker aus Brüssel und vor allem aus den Staaten Osteuropas nicht müde wurden, den sofortigen Vollzug anzumahnen.

Was ist im abgelaufenen Jahr eigentlich geschehen, damit die Georgier auf diese Geduldsprobe gestellt wurden? Gegen den sofortigen Vollzug der Visafreiheit durch Brüssel regte sich schon im Frühjahr erheblicher Widerstand in einigen EU-Ländern, vornehmlich aber in Innenministerien deutscher Bundesländer, allen voran Bayern. (Die KaPost berichtete mehrfach zu diesem Thema.) Der Grund war der rapide angestiegene Anteil georgischer Tatverdächtigter an der ebenfalls rapide gestiegenen Zahl von Wohnungseinbrüchen. Eine Entwicklung, der die georgische Regierung beharrlich jede Aufmerksamkeit verweigerte, obwohl deutsche Medien in einer nahezu konzertierten Aktion darüber berichteten. Meist handelte es sich um Asylbewerber, die von kriminellen Hintermännern schon  zu Hause in Georgien angeworben wurden, um während der Bearbeitungszeit ihres Asylantrages bestens organisiert für ihre Auftraggeber auf Diebestour zu gehen. Mit der Visafreiheit für Georgien, so die Befürchtung, würde diese Zahl noch erheblich ansteigen. Hinter diesen deutschen Störmanövern standen nicht nur sicherheitspolitische Motive, es ging offensichtlich auch um einen Koalitions-internen Nebenkriegsschaupatz zur Migrationsdebatte in Deutschland.

Der Ausweg für Berlin: Zusammen mit anderen EU-Ländern – vor allem Italien und Frankreich – setzte Bundesinnenminister de Maiziere in Brüssel als Vorbedingung für die Visafreiheit für Georgien und die Ukraine durch, dass künftig der so genannte Aussetzungsmechanismus für den Fall erleichtert wurde, dass sich aus der Entwicklung mit den Reisenden eines Landes schwerwiegende Belastungen für die innere Sicherheit eines EU-Landes ergäben, zum Beispiel ein deutliches Ansteigen der Asylanträge. Das heißt, auf Initiative eines Mitgliedslandes sollte der bei Visafreiheit schon immer vorgesehene Aussetzungsmechanismus schneller ausgelösen werden können als bisher.

Eine Formalie, die eigentlich schon im Herbst 2016 von den Instanzen der EU rechtlich hätte abgehandelt werden können. Dem war aber nicht so, denn hinter den Kulissen stritten sich anscheinend das EU-Parlament und der Europäische Rat als Vertretung der Mitgliedsstaaten darüber, wer die vorrübergehende Aussetzung der Visafreiheit für eines der betroffenen Länder auslösen kann: Das EU-Mitgliedsland in größtmöglicher Eigenverantwortung oder nur die Brüsseler Instanzen der  EU – Kommission, Europäischer Rat und Parlament nach einem genau vorgeschriebenen Prozedere. Ein grundsätzlicher Streit um die Macht-Balance in der EU, deren Zentrale in Brüssel auch im kleinsten Detail danach trachtet, keine Befugnisse an einen Mitgliedsstaat abzutreten. In der Sache, der Erleichterung des Aussetzungsmechanismus, war man sich offensichtlich längst einig.

Bewegung kam in die festgefahrene Angelegenheit erst, als Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, Anfang Dezember in einem Brief an Martin Schulz, Präsident des Europa-Parlamentes, die Reißleine gezogen hat. Tusk betonte, dass sich die Mitgliedsstaaten trotz der Migrationskrise bereit erklärt hätten, Georgien und der Ukraine Visafreiheit zu gewähren. Dies gehe aber nur, wenn der Aussetzungsmechanismus von Anfang an „robust und effektiv“ sei, will heißen, wenn die betroffenen Mitgliedsstaaten mehr Entscheidungsrecht hätten als bisher. Es gehe um eine realistische, nicht um eine ideale Lösung dieses EU-internen Streites. Man dürfe allerdings nicht zulassen, so der Ratspräsident, dass „diejenigen, die ihr Vertrauen in uns gesetzt haben, am Ende zu Opfern unserer internen Streitigkeiten werden.“

Nach diesem Brandbrief ging es dann recht schnell, wenn man der mittlerweile im Politikbetrieb wichtigsten, weil schnellsten und intimsten, Informationsquelle, dem Nachrichtendienst Twitter, vertrauen darf. Am Abend des 7. Dezember überraschte die niederländische EU-Parlamentariern Kati Piri die georgische Öffentlichkeit mit einem Tweed, dass Rat und Parlament der EU in dieser Frage einen Kompromiss gefunden hätten. Dieser sieht jetzt vor, dass die bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten die Visafreiheit für neun Monate aussetzen kann.  Danach erst werden Brüsseler Institutionen, u.a. das Europäische Parlament, eingeschaltet. Die Holländerin verkündete gleichzeitig die in Georgien mit Freude aufgenommene Erwartung, dass das EU-Parlament deshalb wohl schon in der nächsten Woche die Visafreiheit verabschieden könne. Reaktion einiger georgischer Politiker: Damit könne die Visafreiheit schon zu Neujahr wirksam werden.

Die georgische Regierung wird allerdings gut daran tun, mit der erneuten Illuminierung ihrer Hauptstadt in den EU-Farben etwas abzuwarten. Denn schon am Morgen des 8. Dezember stand auf der offiziellen Webseite des EU-Parlaments, dass dieses am 18. Januar erst den Kompromiss in Sachen Aussetzungsmodus diskutieren wird. Eine Meldung, die dann am Nachmittag wieder korrigiert wurde. Möglicherweise wird jetzt doch schon in der kommenden Woche endgültig das Thema Aussetzungsmodus behandelt.

Wann Europa jetzt endlich liefern wird, wann das Parlament die Visafreiheit endlich in Kraft setzen wird, ist angesichts der langwierigen Brüsseler Prozeduren auch damit nicht gesichert. Überraschungen, das hat das vergangenen Jahr gezeigt, sind immer möglich. Sicher aber ist, das Ansehen der EU und ihrer Strukturen hat jetzt schon erheblichen Schaden erlitten.

Anscheinend wurde auch die eine oder andere Botschaft eines EU-Landes in Georgien vom langen Prozedere in dieser Frage überrascht. Denn in einigen Konsulaten wurde bereits in diesem Jahr mit dem Personalabbau begonnen….