Nur ein privater Rechtsstreit?

Hintergründe zum Justiz- und Politik-Spektakel um Rustavi 2

Kaum ein Thema hat in den letzten Wochen die georgische Medien- und Politik-Klasse derart in Aufwallung gebracht wie der Rechtsstreit um die Anteile am Privatsender Rustavi 2. Regierung und Opposition gerieten derart aneinander, dass sogar ausländische Medien, Politiker und Diplomaten ihre Besorgnis äußerten um die Freiheit der Meinungsäußerung in Georgien, um die Zukunft des Rechtsstaates, um die Sicherung der Euro-atlantischen Werte im Kaukasusland schlechthin.

Worum geht es? Der frühere Mehrheitsaktionär des Senders Kibar Chalwaschi, ein Geschäftsmann aus Adscharien, erklärte, er sei im Jahr 2006 von der Regierung Saakaschwili gezwungen worden, seine Anteile zu verkaufen und zwar weit unter Wert. Diese Anteile klagte er jetzt in einem Zivilprozess ein. Mit Erfolg in der ersten Instanz, dem Tifliser Stadtgericht. Nika Gwaramie, Direktor von Rustavi 2, wertete dies als einen Angriff der Regierung Iwanischwili-Garibaschwili auf die Rundfunkfreiheit und rief zum öffentlichen Widerstand auf. Rustavi 2 gilt als regierungskritisch und eher der Partei Saakaschwilis, der UNM, zugeneigt, Chalwaschi dagegen werden direkte Beziehungen zu Bidsina Iwanischwili nachgesagt.

Gwaramia seinerseits erklärte, er stehe über einen Mittelsmann unter direktem Druck der Regierung, nicht in den Zivilprozess einzugreifen. Ansonsten würden private Informationen über ihn und seine Familie veröffentlicht, außerdem abgehörte Telefongespräche zwischen ihm und dem ehemaligen Staatspräsidenten. Tatsächlich wurden einige Tage später über eine obskure ukrainische Webseite Telefonmitschnitte veröffentlicht, in denen Mikhail Saakaschwili, derzeit Gouverneur in Odessa und noch immer Ehrenvorsitzender der UNM, seinen Freunden Gwaramia und Giga Bokeria (unter Saakaschwili Chef des Nationalen Sicherheitsrates) riet, über Straßenblockaden und öffentliche Unruhen in Sachen Rustavi 2 das Klima für einen Putsch gegen die Regierung des Georgischen Traums aufzuheizen. Weitere Veröffentlichungen von Telefongesprächen Saakaschwilis mit anderen Parteifreunden zum gleichen Thema folgten. Ein Vorgang, der in diplomatischen Aktivitäten zwischen Georgien und der Ukraine endete, immerhin hat mit Saakaschwili ein hochrangiger Offizieller des befreundeten Nachbarstaates zu einem Putsch in Georgien aufgerufen. Ein Szenario für Spekulationen aller Art.

Ein Rückblick in die Geschichte von Rustavi 2 zeigt, dass der im Jahr 1994 in der Stadt Rustawi gegründete Sender, der die größte Reichweite hat in Georgien und die höchsten Einschaltquoten, nicht zum ersten Mal im Mittelpunkt des politischen Streites steht. Rustavi 2 verband schon zu Zeiten Eduard Schewardnadses populäre TV-Unterhaltungs-Formate, meist aus Amerika importiert, mit unabhängigem, regierungskritischem, teilweise sogar investigativem Journalismus. Im Juni 2001 wurde ein Moderator des Senders ermordet, er hatte in der Tschetschenen-Szene im Pankisital in Sachen Drogenschmuggel recherchiert und wollte die Beteiligung hoher Regierungsbeamter nachweisen.

Im November desselben Jahres besetzten Einheiten des georgischen Staatssicherheitsministeriums den Sender wegen angeblicher Steuerschulden. Öffentliche Solidaritäts-Kundgebungen, bei denen Parlamentspräsident Surab Schwania zurücktrat und sich der Opposition anschloss, waren die Folge und eine Umbildung der Regierung Schewardnadse. Die Steuerfahnder zogen später kleinlaut ab. Unter seinem Generaldirektor Erosi Kizmarischwili, einem frühen Vertrauten von Saakaschwili, der bereits im September das Regierungslager verlassen und eine Oppositionspartei gegründet hatte, wurde Rustavi 2 zur publizistischen Hauptwaffe gegen Schewardnadse, ohne die die so genannte Rosenrevolution niemals Erfolg gehabt hätte. Während der Zwei-Wochen-Demonstrationen vor dem georgische Parlament nach den manipulierten Wahlen von 2003 unterbrach der Sender regelmäßig selbst populäre Spielfilme oder Shows, sobald sich einer der Führer der Proteste, Saakaschwili, Schwania oder Burdschanadse, mit einer öffentlichen Stellungnahme zu Wort meldete. Am Tag, an dem Schewardnadse nachmittags aus dem Parlamentssaal vertrieben wurde, brachte der Sender frühmorgens schon im Viertelstundentakt einen Rap, in dem die letzten Stunden des „Alten“ herbei gesungen wurden. Rustavi 2 war den ganzen Tag live dabei und forderte seine Zuschauer auf, an den Massendemonstrationen teilzunehmen.

Auch unter der neuen Regierung, die der Sender mit in den Sattel gehoben hatte, blieb Rustavi 2 seiner Linie treu, regierungsunabhängig und kritisch zu berichten, nicht unbedingt zum Gefallen Saakaschwilis. Die Reaktion: Im Jahr 2004 erklärten die georgischen Finanzbehörden, Rustavi 2 habe 2,2 Millionen Dollar Steuerschulden. Der Sender ging in Konkurs. Kizmarischwili und zwei weitere Aktionräre mussten aufgeben. Kizmarischwili wurde erst georgischer Botschafter in Moskau. Jahre später wurde er in einer Autogarage in Tiflis ermordet.

Kibar Chalwaschi, ein Newcomer im Mediengeschäft, übernahm im Jahr 2004 – wohl unter Vermittlung Saakaschwilis – 90 Prozent der Aktien, die Steuerschulden wurden großzügig erlassen. In der Folgezeit wurden einige regierungskritische Formate eingestellt, Rustavi 2 konnte durchaus als Saakaschwilis Sender bezeichnet werden, er zeigte sich bis zu den Wahlen im Jahr 2012 mehr als nur regierungsfreundlich.

Allerdings gab es einen Partei-internen Bruch während der Ära Saakaschwili. Im Jahr 2006, dem Jahr, in dem Chalwaschi seine Mehrheit angeblich unter massivem Druck Saakaschwilis abtreten musste, gab es eine heftige Auseinandersetzung zwischen Saakaschwili und seinem Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili. Okruaschwili wurde entlassen, rächte sich später mit dem schwerwiegenden Vorwurf, Saakaschwili habe ihn aufgefordert, Badri Patarkazischwili, einen ebenfalls in die Opposition abgewanderten Tycoon, zu liquidieren. Patarkazischwili war Gründer und Inhaber des TV-Senders IMEDI, den er ebenfalls unter Druck der Regierung Saakaschwili abtreten musste. Okruaschwili wurde daraufhin verhaftet, später, wiederum nach heftigen Straßenprotesten, ins Ausland abgeschoben. Die Straßenproteste, beginnend am 7. November 2004, lies Saakaschwili mit Gewalt niederschlagen.

Das hat mit Rustavi 2 insofern zu tun, als Kibar Chalwaschi, der heutige Kläger, als engster Vertrauter von Okruaschwili galt und möglicherweise deshalb von Saakaschwili gezwungen wurde, seine Anteile an Rustavi 2 zu abzutreten. Damals war auch Bidsina Iwanischwili noch als stiller Sponsor im „Team Saakaschwili“. Iwanischwili soll zum Beispiel große Teile der Polizeireform finanziert haben, die Okruaschwili noch als Innenminister durchgezogen hatte. Kommt daher die Verbindung Chalwaschi-Iwanischwili und die beiderseitige Gegnerschaft zu Saakaschwili und dessen Partei?

Die derzeitigen Aktionäre des Senders bezeichnet Chalwaschi als Strohmänner Saakaschwilis, der über eine, angeblich ihm selbst gehörende und auf den Jungferninseln registrierte Holding lange Zeit den Sender direkt kontrolliert haben soll. Mit dem erstinstanzlichen Urteil sei Saakaschwili endgültig nicht mehr der Besitzer von Rustavi 2, triumphierte der siegreiche Kläger, der allen Mitarbeitern des Senders eine Weiter-Beschäftigung versprach und einen „kritischen, unabhängigen und profitablen“ Journalismus.

Vor diesen Hintergründen ist der Fall Rustavi 2 – unabhängig von allen durchaus schwerwiegenden historischen und politischen Belastungen – vielleicht tatsächlich zunächst einmal nichts anderes als eine zivilrechtliche Auseinandersetzung, die ausschließlich mit den Mitteln der Justiz gelöst werden kann. Hinter dieser Formulierung verschanzt sich die Regierung gebetsmühlenartig und weist alle Vorwürfe, Einfluss auf das Gericht genommen zu haben, zurück. Dass sie möglicherweise gerade im Wahljahr Nutznießer eines Eigentümerwechsels werden könnte, diese Unterstellung kann nur Chalwaschi widerlegen, indem er im Falle eines endgültigen Sieges nicht wieder regierungskritische Formate einstellt und tatsächlich den gerade versprochenen kritischen und unabhängigen Journalismus gewährleistet.

Dass zumindest während des Gangs durch die beiden nächsten Instanzen keine vorschnellen Fakten geschaffen werden können, dafür hat kürzlich das Verfassungsgericht gesorgt, indem es einer Klage der jetzigen Eigentümer von Rustavi 2 entsprach. Es hat eine bisher gültige Gesetzesregelung ab sofort außer Kraft gesetzt, nach der schon ein erstinstanzliches Urteil auf Anordnung des Grichts sofort vollstreckt werden kann. Zumindest bis zur dritten und letzten Instanz sollte dem Sender, seinen jetzigen Eigentümern und seiner Belegschaft also keine Veränderung drohen.

Nach Tagen heilloser Konfusion im In- und Ausland in Sachen „Rustavi 2 und die Folgen“ hatte es der amerikanische Botschafter Ian Kelly dann auf den Punkt gebracht: Die Freiheit der Justiz sei genauso wichtig wie die Pressefreiheit. Es sei eine gute Sache, wenn jetzt in einem transparenten Verfahren der Zug durch die Instanzen der Justiz gewährleistet sei.

Dem frommen Wunsch machte allerdings der Richter aus Tiflis einen Strich durch die Rechnung, indem er – wohl gegen die Intention des Verfassungsgerichts – Teile seines Urteils für sofort vollstreckbar erklärte und ein Interimsmanagement einsetzte, das ab sofort den Sender zu führen hat. Für Nika Gwaramia der Beginn einer Diktatur in Rustavi 2 und damit in Georgien.

Mit diesem juristisch fragwürdigen Sofortvollzug hat das Tifliser Stadtgericht alle Chancen auf eine mehr oder weniger friedliche juristische Lösung des Streits zunichte gemacht und den politischen Streithälsen beider Seiten neue Munition gegeben. Der Verdacht, die Regierung habe im Hintergrund den Richter in ihrem Sinne beeinflusst, um rasch Fakten zu schaffen, hat neue Nahrung bekommen. Georgische Regierungen, das zeigt die Geschichte von Rustavi 2, haben bis heute einfach ihre Probleme mit kritischen Journalisten.                                                                                             

Rainer Kaufmann