Zwischen Regierungslyrik und Wirklichkeit

Georgischer Weinbau steckt in einer tiefen Strukturkrise – und keiner will es wissen

An Tagen wie diesen, dem 4. Oktober etwa, den Regierungschef Garibaschwili vor einem Jahr zum „Tag des georgischen Weins“ ausgerufen hatte, ist die Welt wunschgemäß in heiler Ordnung. Der Premier zeigt sich mit seinen Kindern bei der Weinlese, überall finden Weinfeste mit Degustationen statt und bei der Eröffnung eines neuen Weinzentrums erläutert Garibaschwili den Plan seiner Regierung, die Qualitätskontrollen in der georgischen Weinwirtschaft zu verstärken, wiewohl sich die Weinqualität in den letzten Jahren signifikant verbessert hätte. Fälschungen, so der Regierungs-amtliche Plan, sollen künftig vermieden werden. Der Tag des Weines, so das Agrarministerium in einer ergänzenden Stellungnahme, würde begangen, um „georgischen Wein auf dem lokalen Markt populär zu machen und die Kultur des Weinkonsums zu verbessern“. Ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte.

Alles Regierungslyrik der besonderen Art, denn die Realität in der georgischen Weinwirtschaft sieht weniger rosig aus. Noch vor ein paar Wochen, kurz vor Lesebeginn, haben Weinbauern in Kachetien mit Straßenblockaden auf das zu erwartende Desaster im Herbst 2015 aufmerksam gemacht. Als Folge der Wirtschaftskrise in der Ukraine und Russland sind die Exporte in diese beiden Länder in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 55 und 62 Prozent gesunken. Da beide Länder im letzten Jahr mehr als zwei Drittel des georgischen Weinexports abnahmen, wurden in diesem Jahr insgesamt 44 Prozent weniger Flaschen Wein exportiert. Auf die Umsätze bezogen sieht das Bild noch katastrophaler aus: Der georgischen Weinwirtschaft fehlen in den ersten neun Monaten knapp 70 Millionen Dollar an Export-Einnahmen, was einen Rückgang um 51,3 Prozent bedeutet.

Exportiert wird in 41 Länder, wobei die ersten fünf (Russland, Kasachstan, Ukraine, China und Polen) rund 86 Prozent der rund 24 Millionen Flaschen abnehmen. Trotz der enormen Rückgänge entfallen auf Russland und die Ukraine noch immer mehr als 60 Prozent des Exports, unabhängig davon, ob die Importeure derzeit ihre Rechnungen bezahlen können oder nicht. Manch eine Kellerei liefert trotz schleppender Zahlungen weiter, einerseits um Marktanteile zu halten, andererseits um Lagerkapazitäten zu Hause zu schaffen.

Interessant in diesem Zusammenhang: China, von vielen als der große Zukunftsmarkt gefeiert, bringt es mit 1,5 Millionen Flaschen auf 6 Prozent des Exports, allerdings bei einem Wachstum von nahezu 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ob diese Rate langfristig fortgeschrieben werden kann, ist mehr als fraglich. China und der fernöstliche Markt werden die Mengenausfälle in Russland und der Ukraine kaum ersetzen können, wiewohl der georgische Landwirtschaftsminister kürzlich davon schwärmte, China werde schon in kurzer Zeit mehrere zehn Millionen Flaschen Wein pro Jahr abnehmen.

Die EU-Länder spielen – mit Ausnahme des Baltikums, das mit 1,6 Millionen Flaschen immerhin sieben Prozent des Exports stellt – eine eher untergeordnete Rolle. Deutschland (189.000 Flaschen) und Frankreich (119.000 Flaschen) nehmen jeweils nicht einmal ein Prozent des georgischen Weinexportes ab. Der georgische Weinbau war seit Sowjetzeiten mehr oder weniger abhängig vom Markt in Russland und der Ukraine. Auf lange Sicht, diese Prognose liegt nahe, wird sich daran wenig ändern, zumindest dann, wenn sich die georgische Weinwirtschaft weiter einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel verweigert.

Die aktuellen Probleme des georgischen Weinbaus sind somit zunächst einmal eindeutig von außen verursacht durch die politischen und ökonomischen Krisen in Russland und der Ukraine. Die großen Weinkellereien hatten sich auf einen nimmer endenden Exportboom nach Russland eingerichtet, nachdem Moskau im Jahr 2013 den früheren Importstopp für Wein und Mineralwasser aus Georgien aufgehoben hatte. Neue Kellereien mit Millionen-Investitionen sind aus dem Boden geschossen, die Traubenpreise vor allem im letzten Jahr ins nahezu unermessliche gestiegen.

Der Herbst 2015 drohte, zum Desaster zu werden für viele, vor allem für kleinere Weinbauern, die bisher sicher gehen konnten, dass die großen Kellereien ihre Trauben gegen gutes Geld abnehmen. Wegen der Absatzflaute in Russland und der Ukraine aber sind die Tanks der großen Kellereien übervoll. Von einigen wird berichtet, sie hätten überdies einige Hunderttausend Flaschen Wein für Russland auf Lager, die derzeit nicht abfließen. Weine, die im Qualitätsanspruch nur für den russischen Markt gemacht wurden und die, zum Beispiel, keine Importzertifizierung etwa für die Europäische Union bekommen.

So waren die Schlangen an Trauben-Lieferanten bei einigen Großkellereien in diesem Herbst mehr als überschaubar. Das Gegenteil wird sogar berichtet, einige Verarbeitungsbetriebe müssen mit Trauben aus eigenen Rebflächen auf den Markt, weil sie diese selbst weder aufnehmen noch verarbeiten, geschweige denn verkaufen können. Insider erwarten sogar die eine oder andere Insolvenz in den nächsten Monaten. Die Folge: Die seit Jahren vom Staat festgelegten Traubenpreise sind erheblich gefallen, für Saperavi zum Beispiel von 2,00 bis 2,50 GEL pro Kilogramm (je nach Qualität) auf 82 Tetri, für Rkatziteli von 1 GEL auf 70 Tetri. Für die Bauern eine gigantische Einbuße, für die Großbetriebe ein Einkaufsvorteil, der noch höher ausfällt, da die staatlichen Subventionen abgezogen werden müssen. Im vergangenen Jahr wurden diese noch über die Abnehmer verrechnet, in diesem Jahr werden sie direkt den Bauern ausbezahlt. Von den 70 Tetri, die der Erzeuger für ein Kilogramm Weißwein-Trauben erhält, bezahlt der Staat 35 Tetri direkt an den Erzeuger. Damit liegt der Einkaufspreis für die Betriebe bei nur noch 35 Tetri. Ob sich diese Veränderungen im Einkauf mittelfristig auf den Endverkaufspreis durchschlagen, darf bezweifelt werden. Auf die Qualität der Traubenverarbeitung schlägt sich die Subventionsbürokratie allemal nieder und zwar negativ. Die Trauben dürfen, so die Klage eines Privatwinzers, erst angenommen werden und verarbeitet, wenn die staatlichen Subventions-Auszahler das Abwiegen der angelieferten Mengen persönlich überwacht haben. Stundenlang standen die Lieferanten deshalb mit den Trauben in der Sonne, Qualitäts-Produktion sieht anders aus.

Das staatliche Subventionsprogramm ist ohnehin umstritten, auch in Georgien. Mit mehr als 30 Millionen Lari unterstützt der Steuerzahler jährlich den Absatz der Trauben. Der Anteil der Subvention am Traubenpreis beträgt in diesem Jahr vermutlich mehr als 35 Prozent. Anfang Oktober wurden für die Weinwirtschaft darüber hinaus noch einmal 10 Millionen Lari aus dem Reservefond der Regierung bereitgestellt. Andere Zweige der Landwirtschaft, die Obstbauern zum Beispiel, dürften mit Neid auf ihre Kollegen im Weinbau schauen, von übrigen Bereichen der Volkswirtschaft zu schweigen. Da die staatliche Subvention ausschließlich an die Menge gebunden ist und nicht an die Qualität, steht sie überdies auch einem dringend notwendigen Strategiewechsel in der georgischen Weinwirtschaft im Wege. Kein Bauer kann daran interessiert sein, durch Mengenbegrenzung höhere Qualitäten zu erzeugen, woran besonders kleinere Privat-Kellereien leiden, die sich auf den europäischen Markt spezialisiert haben. In Europa kann der georgische Wein nur als Nischenprodukt mit Topp-Qualität reüssieren. Das geht nicht ohne Begrenzung der Hektar-Erträge. Die EU-Assoziierung alleine bedeutet alles andere als eine automatische Steigerung der georgischen Exporte in den größten Binnenmarkt Europas. Da muss sich die Weinwirtschaft im Lande schon gewaltig ändern, wenn die EU etwa einen dauerhaften Verlust des russischen Marktes ersetzen soll.

Problematisch ist auch, dass die Regierung erklärt, alle Trauben aufzunehmen, die nicht von Kellereien aufgekauft werden. Freilich zu einem geringeren Preis, denn diese Trauben werden in Betrieben, die der Staat vorsorglich angepachtet hat, zu Alkohol destilliert. Die Folge dieser Intervention: Der Marktpreis für Rein-Alkohol wird ebenfalls unter Druck geraten.

Die georgischen Weinwirtschaft steckt in einer schweren Krise, die freilich niemand sehen will, deren Wurzeln ohne Frage bis in die Sowjetzeit reichen. Allerdings hat man hierzulande auch 25 Jahre nur auf den großen Nachbarn geschaut und andere Märkte vernachlässigt. Dabei ist die Orientierung auf den einen Markt, den russischen als Hauptabnehmer auch ohne politische Unwägbarkeiten mehr als riskant, eine Marketing-Grunderkenntnis, die man in Georgien sträflich vernachlässigt hat.

Ob diese Krise auf Dauer mit staatlichen Subventionen zu lösen ist, die nur kurzfristig – von Herbst zu Herbst – Ruhe in den Haupt-Weinbau-Regionen schaffen und damit die Wählerschaft besänftigen, ist fraglich. Die georgische Weinwirtschaft, so ein deutscher Intimkenner des georgischen Weinbaus, sollte sich auf ihre Jahrtausende alte Tradition als Wiege des Weinbaus besinnen und mit dieser Marke hochwertige Qualitätsweine herstellen, die weltweit exportfähig sind und nicht nur in Russland. Dazu müsste die Regierung aber ihre Massen-Subventionen auf Kilogramm-Basis aufgeben, Winzer und Kellereien auf diesem Wege zu marktwirtschaftlichem Verhalten zwingen. Der internationale Markt verlange hochwerte Qualitätsprodukte. Ohne Eingreifen des Staates hätten Bauern und Kellereien keine andere Wahl, als sich diesem Gesetz zu unterwerfen. „Wenn die Regierung dafür die Hälfte des eingesparten Geldes in weltweites Marketing für das Weinland Georgien und seine besonderen Rebsorten und Qualitäten stecken würde, dann werden die Weinbauern in wenigen Jahren kein Problem mehr damit haben, gute Trauben zu einem guten Preis auf dem Markt unterzubringen.“

Kleine Begebenheit am Rande: Kurz vor Beginn der Weinlese hat es in Kachetien noch einmal erhebliche Hagelschäden in den Weinbergen gegeben. Wohl dem, der seine Rebflächen angemessen versichert hat. Nur, wer hat das schon?
Rainer Kaufmann