Regierungskrise in Georgien – Ein Schauspiel in mehreren Akten

Ob es jetzt großes Kino war oder nur ein Provinzschauspiel, das die georgischen Politiker in der letzten Woche dem staunenden Publikum im Lande und außerhalb präsentierten, mag dahingestellt bleiben. Es lohnt aber auf alle Fälle, die einzelnen Szenen etwas intensiver zu durchleuchten.

Vorspiel
Irakli Alasania, profilierter Verteidigungsminister und Kabinetts-Einzelgänger, der wohl schon lange keine allzu intensive Kommunikation mit seinem Regierungschef, Irakli Gharibaschwili, und dessen Mentor, Bidzina Iwanischwili pflegte, war zu einem Besuch bei den europäischen NATO-Partnern Frankreich und Deutschland. Der erste offizielle Besuch eines georgischen Verteidigungsministers in Berlin übrigens, seinen Vorgängern wurde diese Aufmerksamkeit nie zuteil. Ursula von der Leyen machte routiniert den Hof und versprach auf offener Bühne, Deutschland würde bei der Umsetzung der NATO-Gold-Card für Georgien eine führende Rolle spielen. In Paris, so war mittlerweile zu erfahren, habe er Alasania – diesmal weniger öffentlich inszeniert – Rüstungsabkommen unterschrieben, die in der georgischen Regierungszentrale auf wenig Gegenliebe stießen. Der selbstbewusste Alasania, so darf man vermuten, hat in Paris gegen den Willen seines Regierungschefs militärische Beschaffungen unterzeichnet. Zwei Stunden später wurden in Tiflis fünf hohe Mitarbeiter Alasanias wegen des Verdachts auf Millionenunterschlagung im Amt verhaftet. Diese dramaturgische Entwicklung erinnert fatal an die Gepflogenheiten längst vergangener Zeiten.

1. Akt
Zurück in Tiflis verbreitet Alasania wüste Verschwörungstheorien gegen die Euro-Atlantische Führerschaft seines Hauses, ohne die wirklichen Hintermänner, die im Inland wie im Ausland vermutet werden können, zu nennen. Das bringt ihm und seinen Stellvertretern ganz schnell die Entlassung durch seinen Premier ein. Mit Alasania gehen, dramaturgisch garniert mit nicht minder schweren Verschwörungstheorien gegen die Westorientierung Georgiens, der Staatsminister für Euro-Atlantische Integration, ein Parteifreund Alasanias, und die Außenministerin, Mitglied der Partei des Georgischen Traums, deren Mitgliedschaft sie gleichermaßen gekündigt hat. Die Stellvertreter der Außenministerin treten aus Solidarität mit ihr auch zurück, zwei von ihnen treten aber einen Tag später wieder vom Rücktritt zurück und verbleiben in der Regierung.

2. Akt
Das oberste Koalitionsgremium der Regierungskoalition tagt. Mit dabei: Bidzina Iwanischwili, Gründer dieser Parteienkonstruktion und seit einem Jahr nur noch Strippenzieher im Hintergrund, eigentlich ohne erkennbares politische Mandat, nachdem er vom Posten des Ministerpräsidenten zurückgetreten war. Alasania erklärt bei dem Koalitionsgipfel, er sei nicht hier, um mit Iwanischwili zu reden, verlässt die Szene und mit seiner Partei auch die Koalition, die dadurch rein rechnerisch ihre Mehrheit verliert. Was dann zu aufgeregten Verhandlungen hinter den Kulissen des Parlaments führt, wo einige unabhängige Abgeordnete, die vorher meist der Oppositionspartei UNM angehörten, bereit sein sollen, das Mehrheitsloch wieder aufzufüllen. Der Haushalt 2015 dürfte also gesichert sein.
Die Anwesenheit Iwanischwilis bei dieser Koalitionsrunde, veranlasste den zu politischer Neutralität verpflichteten Staatspräsidenten zu der Bemerkung, er verstehe nicht, warum sich Iwanischwili wieder in die Angelegenheiten des Georgischen Traums einmische. Tage zuvor hatte er bei einem Staatsbesuch in Wien noch kryptisch erklärt, das Land müsse durch seine Institutionen regiert werden, nicht aus dem Hintergrund heraus.

3. Akt
Der Premier ernennt einen neuen Verteidigungsminister seines und wohl auch Iwanischwilis Vertrauens, einen politisch wie militärisch ebenso unbekannten wie unerfahrenen Bürokraten, der jetzt die NATO-Integration Georgiens zweifelsfrei weiter führen soll. Ob er sich möglicherweise auch damit profilieren will, indem er die georgische Armee familienfreundlicher gestaltet, ist nicht bekannt. Berlin wartet ganz sicher auf entsprechende Anfragen. Er ist allerdings nicht einmal der englischen Sprache mächtig. Mehr weiß man von ihm nicht, außer, dass er – so der Premier – ein viel besserer Verteidigungsminister sein werde als sein Vorgänger, der von eben demselben Premier einmal mit viel Vorschusslorbeeren ernannt worden war.
Das Euro-Atlantische Publikum, dessen erklärter Favorit Alasania war, reibt sich verwundert die Augen. Der Premier versichert deshalb dem versammelten diplomatischen Corps, dass sich an der strategischen Ausrichtung des Landes nichts ändern werde, um gleich im Anschluss daran der georgischen Rumpfregierung sowie der Öffentlichkeit zu erklären, Alasania sei nichts anderes gewesen als ein „dummer und ehrgeiziger Abenteurer“. Die Öffentlichkeit wie seine Parteifreunde hätten noch viele Überraschungen zur Person Alasanias zu erwarten, Überraschungen, die für diesen eine „Schande“ bedeuteten.
Dieses verbale Nachtreten wiederum bringt dem Premier in einem der späteren Akte eine Rüge seines Mentors Iwanischwili ein, der ihm fehlende politische Reife bescheinigte. Über frühere Freunde rede man nicht in diesem Ton. Trotzdem sei er ein guter Regierungschef, eine starke Person, ein Praktiker, der Tag und Nacht arbeite für das Land. Allerdings bekam auch Alasania eine schlechte Betragensnote vom „Präceptor Georgias“: Der frühere Verteidigungsminister habe weitaus größere Fehler gemacht als der Premier. Davor hatten sich Iwanischwili und Alasania allerdings zu einem Vieraugengespräch getroffen, dessen Inhalt selbstredend dem Publikum vorenthalten wurde. Nur soviel wurde bekannt: Beide hätten sich versichert, dass es ihnen nur um das Wohlergehen des Staates ginge.

4. Akt
Die Schlüsselszene, Parteitag der Freien Demokraten, deren Vorsitz Alasania abgeben musste, als er Verteidigungsminister wurde. So will es die georgische Verfassung, die Minister anscheinend nur dann als fähig ansieht, wenn sie kein Parteiamt bekleiden. Als ob es schon von langer Hand vorbereitet gewesen wäre, wurde Alasania, jetzt wieder und gerade noch rechtzeitig vor dem Parteitag der parteipolitischen Enthaltsamkeit entbunden, einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Die Freien Demokraten versprechen eine konstruktive und staatstragende Opposition zum Georgischen Traum, können sich jetzt aber mit ihrem Frontmann voll und ganz auf den Parlamentswahlkampf in zwei Jahren konzentrieren. Die zurückgetretene Außenministerin, die noch vor zwei Jahren den Wahlkampf Iwanischwilis gemanagt hatte, wurde Mitglied der Freien Demokraten und auch sofort in den Vorstand berufen.
Parlamentspräsident Usupaschwili, er gehört der Partei der Republikaner an, ebenfalls in der Traum-Koalition und ebenfalls dem liberalen Parteienspektrum zuzuordnen, hält eine kluge Rede und beschwört die Gemeinsamkeit der Demokraten im Land, vor allem der Parteien, die seit Jahren freundschaftlich miteinander verbunden sind, Republikaner und Freie Demokraten. Usupaschwili gibt die Rolle dessen, der seine Worte sorgfältig abzuwägen weiß, ohne dass sie dabei Inhalte oder Wirkung verlören. Der heimliche Held mit demokratischem Stilempfinden in diesem Schauspiel?
Bidzina Iwanischwili äußert sich auch zur Wahl Alasanias, die er als einen Fehler bezeichnete. „Ich sagte ihm, es sei nicht richtig, sich in dieser Situation, zum Parteivorsitzenden wählen zu lassen.“ Er beschädige wegen seiner Fehler und falschen Aussagen der letzten Tage nur eigene Partei. Womit dann doch wieder ein Teil des Vieraugengesprächs Iwanischwili-Alasania bekannt geworden wäre, vielleicht auch ein Vorgeschmack auf das, was in den nächsten zwei Jahren noch alles auf der Bühne der georgischen Politik aufgeführt werden kann.

Nachspiel
Bidzina Iwanischwili kündigt an, dass er künftig Sonntag Abends in einem analytischen TV-Projekt eine wöchentliche Analyse der georgischen Politik vornehmen werde. Er habe der Parlamentsmehrheit bereits gesagt, dass sie viele Fehler gemacht habe. Das war wohl hinter verschlossenen Türen, jetzt will er das TV-öffentlich machen und der Gesellschaft die „richtigen“ Analysen anbieten. „Ich helfe den Politikern, Entwicklungen zu erkennen.“

Nachtrag:
The Show must go on. Wirklich? Vielleicht erinnert sich die georgische Politik an eine historische Reminiszenz aus klassischer Vorzeit: „Panem et circenses“ – Brot und Spiele für das Volk! Vor zwei Jahren wurde das vollmundig versprochen. Wie wäre es denn, wenn sich die handelnden Personen in diesem Stück auch einmal um den ersten Teil dieses Klassikers kümmerten statt sich fast ausschließlich in selbstgefälligen Inszenierungen zu ergehen? Bis zur nächsten Abrechnung durch die Wählerschaft sind es nur noch zwei Jahre. Wenn das Volk sich dieses Theater dann überhaupt noch antut…
                                                                                                                   Rainer Kaufmann