„Ich habe ein anderes Georgien vorgefunden“

KaPost-Gespräch mit dem Parlamentspräsidenten Davit Usupaschwili

Als er im Jahr 1988 von einem zweijährigen Militärdienst in der Roten Armee, für den er sein Jurastudium unterbrechen musste, nach Georgien zurückkehrte, hat Davit Usupaschwili ein ganz anderes Georgien vorgefunden. Auf dem Campus der Universität demonstrierten Studenten der Geisteswissenschaften gegen die Basis Vasiani der Roten Armee, die sich für ihre Artillerie-Übungen ausgerechnet das Höhlenkloster am Berg Udabno in David Garedschi ausgesucht hatte, georgisches Kulturerbe und Nationalheiligtum – der Anfang der Unabhängigkeitsbewegung in der damaligen Sowjetrepublik Georgien.

Megaphone der Protestierer beherrschten die Szene, zuvor nahezu undenkbar im Sowjetsystem. Zu seiner Überraschung hatten sich die Studienkollegen von der juristischen Fakultät mit der Polizei zusammengetan, um das Universitätsgebäude vor den Demonstranten zu schützen. Juristen standen damals selbstverständlich auf der Seite der Staatsmacht. Wer zu Sowjetzeiten Jura studierte, wollte entweder Richter, Staatsanwalt oder Polizeioffizier werden. Usupaschwili, damals gerade 20 Jahre alt, haben diese Berufe nie interessiert. „Mich haben immer andere Themen gereizt, vor allem die Verfassung eines Staates, das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat.“ Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht.

Davit Usupaschwili erinnert sich an diese Szene auf dem Campus: „Ich musste plötzlich mein Leben definieren und stand vor der Wahl, meine Juristenkollegen zu unterstützen oder die Protestierer“. Überflüssig zu fragen, wie diese Entscheidung zwischen Staatsmacht und Bürgern ausgefallen ist. Seither ist Usupaschwili Teil des bürgerschaftlichen Netzwerks Georgiens, das damals im Entstehen war. „Sich um die Dinge kümmern, verantwortlich für das sein, was passiert“, war die Motivation. Heute, 25 Jahre nach diesem prägenden Ereignis, ist er Präsident des georgischen Parlaments und der wichtigste Rechtsstaatler und Verfassungsspezialist in der georgischen Politik. Ein langer und steiniger Weg, überwiegend in der politischen Opposition, aber immer fokussiert auf das Thema Rechtsstaat.

Als junger Student gründete Usupaschwili im Jahr 1994 mit anderen die „Georgian Young Lawyers Association“ (GYLA), eine Nicht-Regierungs-Organisation, die sich bis heute einen untadeligen Ruf als Hüter von Rechtsstaat und Menschenrechten erworben hat. Seit dieser Zeit war er – lange vor seinem Studienabschluss – für GYLA in vielen Gremien in die Entwicklung des Rechtsstaates in Georgien eingebunden. Unter anderem in einer Kommission, die nach dem Putsch gegen Gamsachurdia Verfassung und Wahlrecht erarbeitete. Oder in der Zentralen Wahlkampfkommission dieser Jahre. Oder als juristischer Berater des damaligen Präsidenten Schewardnadse, der neben seinen alten Netzwerken, die er zur Machtabsicherung brauchte, immer wieder junge Reformer in die politischen Prozesse einbezogen hat. In dieser Zeit hat Usupaschwili gelernt, Positionen zu formulieren, sie mit anderen auszutauschen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Dass er heute als der große Moderator in der georgischen Politik gilt, als einer, der seine Prinzipien verficht, aber trotzdem zwischen unterschiedlichen Positionen ausgleichen kann, liegt vor allem in den Erfahrungen dieser Jahre. Usupaschwili fügt noch eine ganz persönliche Note hinzu: „Ich habe damals schon meine Selbstbestätigung gefunden, ich muss heute meinen Adrenalinspiegel nicht mit politischer Bedeutung regulieren. Das ist bei mir seit 1993 erledigt.“ Eine exponierte Position war nie sein Lebensziel. „Als Nobody hatte ich viel mehr Einfluss auf die Politik denn als Somebody.“ Dass er jetzt an einer exponierten Stelle steht, nennt er ganz einfach „Paradoxie des Lebens. Eigentlich wollte ich ein ganz ruhiges Leben führen abseits des politischen Lärms. Das habe ich aber nicht hinbekommen.“

In der so genannten Rosenrevolution im Jahr 2002 war er mit vielen an vorderster Stelle auf der Straße, um die in Korruption erstarrte Regierung Schewardnadses abzulösen und Mikhail Saakaschwili zur Macht zu verhelfen. Ein politisches Mandate lehnte er ab, ebenso den Schritt in die junge Regierung, den viele seiner Mitstreiter damals gemacht haben. Saakaschwili hatte ihm für die Wahlen im Jahr 2001 sogar den ersten Listenplatz der UNM angeboten mit der Begründung, sie beide seien doch ein gutes Tandem. Er, Saakaschwili, der damals Vorsitzender des Tifliser Stadtparlaments war und deshalb nicht für das nationale Parlament kandidierte, als radikaler Frontmann, Usupaschwili sollte den Part des besonnenen und nachdenklichen Politikers in diesem Duo übernehmen. Usupaschwili hat abgelehnt. „In Mischas Team waren fragwürdige Leute, da wollte ich nicht mitmachen.“ Er blieb regierungsfern, um schon drei Jahre später Saakaschwili die Gefolgschaft aufzukündigen. Der Weg in eine Ein-Mann-Demokratur war allzu offensichtlich. Ebenso offensichtlich war ihm aber, dass klares politisches Engagement erforderlich war. Die Arbeit in einer Nicht-Regierungs-Organisation, unter Schewardnadse noch recht erfolgversprechend und erfolgreich, erschien mehr und mehr wirkungslos. Usupaschwili wurde ehrenamtlicher Vorsitzender der Republikaner (siehe Kasten), einer Partei, die sich vor allem rechtsstaatlichem Gedankengut verschrieben hatte – die wohl einzige Programm-Partei westlichen Stils in Georgien. Bei den großen Demonstrationen der damaligen Parlaments-Opposition gegen Saakaschwili in den Jahren       sah man Usupaschwili mit seinen Republikanern eher am Rande als skeptische Beobachter der wütenden Straßensperren und -schlachten. Zum Jahresende 2011 wollte er eigentlich auch den Parteivorsitz aufgeben und – resigniert durch die politische Entwicklung im Lande – sein Ideal vom ruhigen Leben verwirklichen. „Was immer ich in diesem Georgien politisch versucht habe, war wirkungslos. Ich wollte eigentlich nur noch Bücher schreiben und mich um Studenten kümmern.“

Dann kam der Paukenschlag, der das Land ein Jahr später wieder gründlich verändern sollte: Bidsina Iwanischwili erklärte seinen Einstieg in die Politik. „Leider zu früh. Wäre er einen Monat später gekommen, wäre ich weg gewesen.“ Schelmisches Lächeln. Usupaschwili blieb selbstredend Parteivorsitzender und wurde einer der führenden Politiker in der Koalition vom Georgischen Traum. Ironie des Geschichte: Der frühere Wunschpartner von Saakaschwili hatte in dieser Koalition maßgeblichen Anteil an dessen politischem Niedergang.

Wie sieht er heute die Person Saakaschwili? „Mischa war energiegeladen, radial, aber er war der effektivste Politiker Georgiens. Er war die Kraft, die Georgiens politisches Spektrum damals vorwärts getrieben hat.“ Aber: Macht verderbe immer, absolute Macht verderbe eben absolut. Es habe im Team Saakaschwili kein Frühwarnsystem gegeben, keine Kontrolle. Ein Teil seines Teams, diejenigen, die aus der Zivilgesellschaft in die Regierung gekommen sind, habe in ihm lediglich einen nützlichen Patron für die Umsetzung ihrer politischen Ziele gesehen, den sie nur zu instrumentalisieren gedachten. Später habe er sie instrumentalisiert und damit alle politischen Perspektiven für das Land blockiert. Andere, Leute aus dem Schewardnadse-Lager, hätten nur danach getrachtet, ihre beschämende Rolle in dieser Zeit vergessen zu machen. Wieder andere, die Republikaner und Leute wie Koba Davitaschwili haben sich in die Opposition verabschiedet. Nur in einem solchen Biotop konnte sich die Eigendynamik der Person Saakaschwili ungehemmt entfalten.

Warum hat der Westen, EU und USA das nicht gemerkt und Saakaschwili so lange gestützt? Aus ihrer Sicht, natürlich nicht aus seiner, hätten sie keine andere Wahl gehabt. Was immer Saakaschwili gemacht hat, sei besser gewesen als das, was die Führer aller Nachbarländer gemacht hätten. Ein Mann mit westlichem Habitus, pro NATO und Anti-Putin und mit einer höchst effektiven und teuren persönlichen PR-Maschinerie im westlichen Ausland. Das Ausland habe überdies nie daran geglaubt, das das politische Georgien genügend Potential und Personal habe für eine Alternative. Man habe einfach darauf gesetzt, dass sich aus seinem Lager ein halbwegs geeigneter Nachfolger rekrutieren ließe. Augen zu und durch sei die Devise gewesen.

“Ich werfe ihnen das heute nicht vor. Ich werfe der internationalen demokratischen Gemeinschaft aber vor, dass sie nur auf Personen geschaut hat, nicht auf das politische System, nicht auf die demokratischen Standards. Man ließ uns einfach schwimmen, hat uns aber nicht geholfen, den Pool auch mit Wasser zu füllen.“ Mit wenigen Ausnahmen. Usupaschwili und seine Republikaner wurden über all diese Jahre von der deutschen Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit gefördert und unterstützt.

„Seit Ihr in der Lage, Wahlen zu gewinnen?“ sei er immer wieder von westlichen Kontaktleuten gefragt worden. Ein überflüssige Frage angesichts der mageren Ergebnisse der Republikaner und anderer Oppositionsparteien. Jetzt ist es anders gekommen. Davit Usupaschwili, der Ruhige und Besonnene, ist da, wo er nie sein wollte, mitten im politischen Lärm. Und Georgien ist wieder einmal ganz anders geworden.

                                                                                                                     Rainer Kaufmann