Geschafft: Georgien bekommt eine neue Verfassung

Schrille Begleitmusik vor und nach dem Parlamentarischen Durchbruch

Es war ein öffentliches Hauen und Stechen bis kurz vor der entscheidenden Parlamentsabstimmung, obwohl sich schon lange abgezeichnet hatte, dass sich Regierungsfraktion und Opposition in der Sache Verfassungsänderung eigentlich recht nahe waren. Die weit reichende Vollmacht des Präsidenten, die Regierung auch ohne Zustimmung des Parlaments entlassen zu können und durch eine eigene Mannschaft zu ersetzen, waren kaum in Einklang zu bringen mit dem demokratischen Wertekodex Europas, von dem hierzulande alle reden. Diese in Europa wohl einmalige Machtstellung hatte sich Mikheil Saakaschwili in 25 Verfassungsänderungen während seiner Amtszeit zurecht schneidern lassen. Allein diese Zahl dürfte reif sein für einen Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde. Verfassungsänderungen, die angesichts der damaligen Mehrheitsverhältnisse im Parlament meist geräuschlos über die Bühne gingen.

Dabei hatte schon die alte Regierungsmehrheit alles geregelt und die Rechte des Präsidenten gründlich beschnitten. Diese Verfassungsänderung sollte aber erst im Oktober 2013 in Kraft treten, wenn die Amtszeit des jetzigen Präsidenten ausläuft. Beobachter haben schon immer vermutet, dass auch diese letzte Verfassungskorrektur der Ära Saakaschwili eher dessen Interessen dienen sollte als dem Aufbau eines parlamentarischen Staatssystems. Man unterstellte Saakschwili wohl nicht ganz unbegründet, dass er – Putin und Medwedew lassen grüßen – bei einem für seine Partei positiven Ausgang der letzen Parlamentswahl zu gerne in die Rolle des Premiers geschlüpft wäre, da er nach zwei Präsidialperioden nicht mehr für das Amt des Staatsoberhauptes kandidieren darf. Die Kohabitationsregierung von Bidsina Iwanischwili allerdings wollte nicht bis zum Oktober warten und nach ihrem überwältigenden Wahlsieg unter dem Damoklesschwert amtieren, vom Präsidenten ohne Zustimmung des Parlaments entlassen werden zu können.

Eigentlich eine vernünftige Ausgangssituation für einen fairen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition. Der Männerfreundschaft zwischen Präsident und Premier war es dann geschuldet, dass die parlamentarische Prozedur von einer schrillen Begleitmusik umrahmt wurde. Die UNM Saakaschwilis (United National Movement) konnte mit ihren 53 Abgeordneten eine Verfassungsänderung verhindern, für die mindestens 100 von insgesamt 150 Stimmen notwendig sind. Das Iwanischwili-Lager durfte allerdings immer davon ausgehen, in einer offenen Abstimmung genügend Unterstützung aus den Reihen der Opposition zu bekommen. Saakaschwili hat diese Versuche, Leute aus seinem Lager für ein Vorziehen der Verfassungsänderung zu gewinnen, immer mit dem Vorwurf kommentiert, Iwanischwilis Partei würde bei diesen Gesprächen unlautere Methoden wie Erpressung oder Bestechung anwenden, ohne allerdings hierfür Beweise vorzulegen.

Es ist ihm dann mit einem Verfahrenstrick gelungen, die Reihen seiner Partei noch einmal geschlossen zu halten. Er forderte vor der eigentlichen Abstimmung im Parlament eine Probeabstimmung, die klar machen sollte, dass die Regierungsmehrheit nicht in der Lage ist, eine Verfassungsänderung aus eigener Kraft durchzusetzen. Nach dieser Probeabstimmung werde man dann, so das generöse Angebot der UNM, in der eigentlichen Abstimmung genau so viele Stimmen für die Regierung organisieren, die ihr zur Verfassungsmehrheit fehlen. Parlamentarische Muskelspiele auf georgisch, die wiederum Bidsina Iwanischwili nicht mitmachen wollte. Allerdings hatte er vor einigen Wochen den verbalen Catch-as-Catch-Can mit einem reichlich ungeschickten Ultimatum an den Präsidenten eröffnet, die Verfassungsänderung unverzüglich zu akzeptieren.

So wurde in der ersten Lesung im Parlament auch relativ wenig über den Inhalt der Verfassung gesprochen, da war man sich nach monatelangen Diskussionen auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft ja ohnehin längst einig. Es ging nur noch um die Frage, wer aus dieser Propagandaschlacht als Sieger hervorgehen würde und dem anderen eine Demütigung zufügen kann: Iwanischwili oder Saakaschwili.

Da traf es sich ganz gut, dass der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses Tedo Japaridze ausgerechnet am Tag der Verfassungsdiskussion und vermutlich rein zufällig den amerikanischen Botschafter Richard Norland zu einem Routinetreffen mit seinem Ausschuss ins Parlament von Kutaissi eingeladen hatte. Norland selbst berichtete den Medien, er habe diese Gelegenheit genutzt, um in Einzelgesprächen mit den Fraktionsführungen der zerstrittenen Lager Hintergrundgespräche zu führen, wobei er nicht vergaß zu erwähnen, dass eine Verfassungsänderung natürlich eine interne Angelegenheit Georgiens sei. Ob er es aber hinter den Kulissen – wieder einmal – gerichtet hat?

Jedenfalls löste sich die ganze Hysterie um die Abstimmung urplötzlich in Wohlgefallen auf. Saakaschwili bekam seine Probeabstimmung, bei der es die Regierung auf nur 93 statt der erforderlichen 100 Stimmen gebracht hat. Dafür bedankte sich die Opposition dann in der eigentlichen Abstimmung, indem sie nicht nur die fehlenden sieben Stimmen einbrachte, sondern geschlossen für die neue Verfassung stimmte. Die neue Verfassung wurde somit ohne Gegenstimme von allen 135 anwesenden Parlamentariern in erster Lesung verabschiedet. Beifall im Hohen Haus. Die zweite und dritte Lesung waren dann nur noch Formsache. Die Kohabitation hat ihre erste richtige Bewährungsprobe im Parlament mit Anlaufschwierigkeiten, aber dann doch noch mit Bravour bestanden.

Was Norland allerdings nicht verhindern konnte, war das propagandistische Nachtreten. Mikheil Saakaschwili kostete seinen vermeintlichen Triumph im Verfahrenshickhack und die „Kampfbereitschaft seiner UNM-Fraktion“ weidlich aus, indem er erklärte: „Heute hat Bidsina Iwanischwili mit eigenen Augen gesehen, dass seine Vorstellung, er könne alles mit Geld kaufen, falsch ist. Er hat auch gesehen, dass die russischen Diebesmethoden der 90er nicht funktionieren in dem gesunden und demokratischen Teil der Gesellschaft, der nach der Rosenrevolution entstanden ist.“ So sehen Sieger aus im kaukasischen Parlaments-Nahkampf.

Die neue Verfassung sieht für eine Regierungskrise jetzt folgende Regelung vor: Egal, ob eine Regierung zurücktritt oder vom Präsidenten entlassen wird, wird sie geschäftsführend weiter im Amt bleiben, bis eine neue Regierung gebildet ist. Der Präsident schlägt in diesem Falle dem Parlament eine neue Regierung zur Billigung vor. Erhält diese in drei Abstimmungen keine Mehrheit im Parlament, kann er das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Die alte Regierung bleibt aber noch immer geschäftsführend im Amt bis zur regulären Bildung einer neuen Regierung. Ein Verfahren, das im übrigen mit der Venedig-Kommission, der Beratungsinstitution für Rechts- und Verfassungsfragen für alle Mitgliedsländer des Europarates, als demokratisch ausgewogen bezeichnet wurde. Georgien ist, jedenfalls was den Text der Verfassung anbelangt, nun doch in Europa angekommen.

Bidsina Iwanischwilis Antwort auf Saakaschwilis verbales Nachtreten: Man habe dieser „Laune der UNM“ nachgegeben und ihr damit einen Fallschirm beschafft, damit sie nicht völlig abstürzt und ihre Rolle im parlamentarischen Leben als Opposition spielen kann. Tags zuvor hatte er noch völlig anders geklungen. Erleichtertes Fazit des Regierungschefs: „Wir haben doch erreicht, was wir erreichen wollten.“ Erster offizieller Gratulant für diesen Durchbruch in Sachen Parlamentarische Demokratie: die amerikanische Botschaft.

Kommentar eines UNM-Abgeordneten zu dem ganzen Gezerre: „Wir haben das weder für Saakschwili noch für Iwanischwili gemacht. Wir haben nur unsere Pflicht für Georgien erfüllt.“ Sein Wunsch: Beide Kontrahenten sollten künftig das Parlament in Ruhe arbeiten lassen.                                                                                                                              rak