Die georgische Heerstraße – Eine Straße verbindet die Kontinente

Die Georgische Heerstraße ist wieder eine transkontinentale Hauptverbindung, doch kann sie bald den Transitverkehr nicht mehr bewältigen.

Die sogenannte Georgische Heerstraße von Wladikawkas nach Tiflis, seit Jahrtausenden eine integrale überregionale Verbindung und seit dem späten 18. Jahrhundert auch als Straße ausgebaut, ist speziell seit dem Zerfall der Sowjetunion ein Zankapfel. Die heutige strategische Bedeutung wird klar, wenn man bedenkt, dass dieser Weg nun die einzige Landverbindung zwischen Russland und den ehemaligen südkaukasischen Sowjetrepubliken ist. Seit dem Zerfall der Sowjetunion ist der Transit durch Abchasien und Südossetien nicht mehr möglich. Auch die Fahrt von Aserbaidschan nach Russland führt durchs bürgerkriegsgebeutelte Dagestan und ist für Ausländer gesperrt.

Seit Kurzem ist nun der Grenzübergang Dariali / Werchnyj Lars zwischen Stepanzminda und Wladikawkas wieder für alle Reisende geöffnet – entsprechende Visa vorausgesetzt. Dadurch erlangt diese Straßenverbindung umso mehr eine wichtige überregionale Bedeutung. Nicht mehr nur geht es hier um den geopolitischen Einfluss, den die Russische Föderation im Südkaukasus ausübt bzw. ausüben möchte. Es geht auch nicht mehr nur um kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen, die über Jahrhunderte, und nicht erst seit der Sowjetzeit, gewachsen sind, die aufrecht erhalten und ausgebaut werden sollen. Die Straße ist wieder ein wichtiger interkontinentaler Weg geworden, der Nordosteuropa mit dem Nahen Osten auf kürzestem Wege verbindet. Die Strecke von Wien nach Tiflis ist beispielsweise über Wladikawkas knapp 300 km kürzer als über Istanbul, von Berlin aus beträgt die Wegersparnis sogar mehr als 700 km.

Hoffnungen setzt Georgien vor allem im Tourismusbereich auf die Bedeutung dieser Straße. Aus diesem Grund wurde im Winter unilateral von Georgien die Visumpficht für russische Staatsbürger aufgehoben. Beim Lokalaugenschein entlang der Straße wird klar: Russische Autokennzeichen fahren in Massen über die Heerstraße. Auch zahlreiche armenische und aserische Fahrzeuge sind unterwegs, sporadisch trifft man auch auf ukrainische, polnische, tschechische und lettische Kennzeichen.

Von den russischen Kennzeichen, die am Weg zu sehen sind, wurde ca. ein Drittel in der Republik Nordossetien-Alanien ausgestellt und weitere 15 % im Stawropolskij Kraj. Gemeinsam weitere 15 % der Fahrzeuge stellen die Stadt plus die Oblast Moskau, doch vereinzelte Kennzeichen kommen sogar aus St. Petersburg und Tscheljabinsk. Ein Zeichen, dass die Reisenden aus Russland derzeit hauptsächlich aus den grenznahen Regionen kommen, doch auch aus größeren Entfernungen bereits Leute mit dem Auto anreisen – und in Zukunft werden es deutlich mehr werden.

Denn die nun offene Grenze wird dazu führen, dass die große Diaspora von Georgiern und Armeniern – in Russland leben 1,2 Millionen Armenier und 200.000 Georgier – vermehrt Verwandte und Freunde südlich des Kaukasus besuchen wird, und dazu werden viele von ihnen den Landweg wählen. Schon jetzt sieht man zahlreiche Reisebusse auf der Heerstraße, die Jerewan-Rostow, Tiflis-Wolgograd oder sogar Jerewan-Moskau fahren und am Tifliser Busbahnhof Didube warten täglich mehrere Taxis für die Fahrt nach Wladikawkas auf Kundschaft.

Inzwischen ist die Straße speziell am Kreuzpass, das ist der Abschnitt zwischen Mleta und Kobi, an der Kapazitätsgrenze angelangt. In derselben Trassierung seit dem Bau im späten 18 Jahrhundert werden teilweise immer noch die alten Brücken befahren. Enge Serpentinen, starke Steigungen und geringe Straßenbreiten lassen weder hohe Geschwindigkeiten noch ein sicheres Überholen der langsamen Fahrzeuge zu – überholt wird aber dennoch. Begegnen sich zwei der zahlreichen LKW aus Russland, Armenien oder der Ukraine, können diese nur im Schritttempo aneinander vorbei. Viehtrieb und frei herumlaufende Weidetiere leisten einen weiteren Beitrag zur Verkehrsbehinderung und speziell der schlechte Straßenzustand über den 2379 m hohen Kreuzpass ist einer interkontinentalen Hauptverbindungsstraße unwürdig: Zwischen Kobi und Gudauri ist die Straße zwar asphaltiert, aber durch Frostaufbrüche im harten Winter, wo zeitweise die Straße auch über Wochen unpassierbar ist, soweit verwittert, dass man gar nicht einmal mehr von Schlaglöchern sprechen kann. Die Fahrzeuge rumpeln nur mehr über den Unterbau aus Schotter, Erdreich und Steinbrocken und machen somit den Straßenzustand noch schlechter.

Viehtrieb und schlechter Straßenzustand – Alltag auf der transkontinentalen Verbindung über den Kreuzpass

Zwar sind die Probleme des Transitverkehrs und schon gar nicht die Unfallzahlen entlang der Heerstraße bei weitem nicht mit denen der österreichischen Gastarbeiterroute der 1970er-Jahre – eine Todesstrecke, deren damaliger Zustand im Spiegel 35/1975 im Artikel „E 5: Terror von Blech und Blut“ eindrucksvoll beschrieben wurde – zu vergleichen, doch in Ansätzen ähnlich. Das Verkehrsaufkommen wächst und wächst, doch die Durchreisenden lassen nur wenig Geld, dafür umso mehr Müll entlang der Strecke zurück. Davon zeugen auch die wachsenden Mengen Müll, die sich neben der Straße anzuhäufen beginnen – leere Lebensmittelverpackungen und Zigarettenschachteln mit russischen Aufschriften machen schon einen bedeutenden Teil der Abfälle aus.

Transitreisende fahren mit ihren Autos direkt ins Denkmal der Russo-Grusinischen Völkerfreundschaft, um für das Erinnerungsfoto nicht zu weit gehen zu müssen

Beim Denkmal der Russo-Grusinischen Völkerfreundschaft in Gudauri stehen inzwischen einige neue Kaffeehäuser und sogar kostenpflichtige Picknicktische, das Angebot wird aber hauptsächlich von Georgiern und ausländischen Touristen wahrgenommen. Dort waren auch 25 Briten und Amerikaner eingekehrt und ließen sich die Mtsvadi schmecken. Ihr Bus ist ein umgebauter Scania-LKW, ausgestattet mit Toilette und Dusche und einem Brennholzdepot am Heck. „Wir fahren von London nach Sydney, etwa sechs Wochen sind wir bereits unterwegs und insgesamt wird es ein halbes Jahr dauern“, sagt einer der Mitreisenden, Christopher Tidmore, Journalist aus New Orleans. Die Fahrtroute führt die Gruppe nun weiter über Russland, die Mongolei und China; in Stepanzminda soll ein zweitägiger Campingstopp eingelegt werden. Die Fahrt durch die halbe Welt kostet ca. 6000 Pfund und ist damit, laut dem Expeditionsleiter William Thomson, bewusst als Billigtrip konzipiert. Meist wird wild campiert, in Städten in Jugendherbergen übernachtet. Er selbst fährt, gemeinsam mit seiner Frau Karen Brown, zweimal jährlich diese Strecke und ist ob der Veränderungen entlang der georgischen Heeressstraße durchaus überrascht. „Voriges Jahr gab es bei diesem Denkmal noch nichts, aber heute stehen hier plötzlich zwei Restaurants“.  Russen oder Armenier bleiben dort zwar auch stehen, aber mehr als ein kurzer Fotostopp beim Aussichtspunkt ist nicht drin – und natürlich fährt man mit dem Auto direkt bis ins Denkmal hinein.

In diesem zum Bus umgebauten LKW fahren 25 Personen ein halbes Jahr von London nach Sydney

Auch in Stepanzminda kann man bisher vom Transitverkehr nicht profitieren. Eine Reiseunternehmerin in Stepanzminda, die Bergtouren und Mountainbikes vermittelt, sagt, dass die meisten ihrer Kunden aus Polen, Tschechien und Israel stammen; Russen kehren nicht einmal im danebenliegenden Café, direkt an der Fernstraße, ein, geschweige denn, dass sie hier Urlaub machen würden. Dennoch boomt der Tourismus und Stepanzminda ist voll mit europäischen und nordamerikanischen Bergsteigern, die Einheimischen wittern ihre Chance auf Profit. Gästehäuser und Kaffeehäuser wachsen wie die Pilze aus dem Boden und unterbieten sich gegenseitig bei den Preisen – eine Übernachtung im Privatquartier ist bereits ab 25 Lari zu bekommen. Auch die Niva-Piloten, die in der Stadt Kundschaft keilern, um sie zur Gergeti-Kirche zu führen, sind inzwischen so zahlreich, dass sie sich gegenseitig die Preise ruinieren.

Christen und Moslems gemeinsam bei Misakzieli am Marsch für Frieden und Einigkeit von Kasan nach Mekka

Und eine Begegnung bei Misakzieli zeigt, dass die Heerstraße durchaus zur Freundschaftsstraße werden kann. Eine Gruppe von acht Männern und einer Frau wandert fahnenschwenkend in Richtung Tiflis. Mit dabei sind zwei Begleitfahrzeuge und es werden auch Flugblätter auf russisch verteilt: Es stellt sich heraus, dass es sich um einen „Marsch für Frieden und Einigkeit“ handelt, Christen und Moslems marschieren gemeinsam von Kasan über Grosnyj nach Jerusalem und weiter nach Mekka, um der Welt zu beweisen, dass unterschiedliche Völker, Kulturen und Religionen sehr wohl friedlich miteinander auskommen können. Ein wichtiges Symbol für den Südkaukasus im Speziellen, aber auch für die gesamte Welt.

Text und Fotos: Daniel Nitsch